Wie die EKD Verfassungsrichter manipuliert

Ebenso merkwürdig muten Aufrufe zum Kirchenaustritt und zur Störung der Karfreitagsruhe in Berlin an. Die Evolutionären Humanisten Berlin-Brandenburg (EHBB) jedenfalls hatten wenige Tage vorher eher zufällig, aber im Rahmen einer bundesweiten Aktion, den Kirchenaustritt eines ihrer Mitglieder gefeiert („Es ist ja schon fast schwer, in Berlin noch Gläubige zu finden“). Da die bundesweiten Kirchenaustrittsaktionen am Gründonnerstag stattfanden, erscheint es etwas merkwürdig, dass zwei Tage später irgendwelche Aktionen mit Aufrufen zum Kirchenaustritt hätten stattfinden sollen. Und da das Tanzverbot am Karfreitag in Berlin nur eingeschränkt gilt – von 4 Uhr morgens bis 21 Uhr abends, also quasi außerhalb der „Party-Zeit“ – erscheint auch zweifelhaft, ob dort großartige Aktionen gegen das Tanzverbot veranstaltet wurden. Von meinen Bekannten in Berlin – die in der kirchenkritischen Szene gut vernetzt sind – wusste jedenfalls keiner etwas von einem solchen Aufruf. Der einhellige Eindruck war: Frau Bahr hat sich das aus den Fingern gesogen.

Es geht hier nicht darum, dass Frau Bahr derartige Begegnungen nicht – zu anderer Zeit oder an anderen Orten – durchaus gehabt haben könnte. Sondern es geht darum, dass man ahnt, dass hier Dichtung und Wahrheit vermischt werden, und dass nicht erkennbar ist, wo die Wahrheit aufhört und die Dichtung beginnt. Theologen haben damit bekanntlich keine Probleme – So etwas ist aber nicht hinnehmbar, wenn über andere Auffassungen doziert wird.

Deshalb wäre es ein Gebot des Anstands gewesen, die Ausführungen über „Salafisten, Atheisten und Co.“ nicht auf Anekdoten aufzubauen, sondern auf nachprüfbaren Belegen wie Büchern, Webseiten oder offiziellen Verlautbarungen.

Die obige Passage über Frau Bahrs angebliche Begegnung mit dem Kirchenkritiker veranschaulicht aber auch noch zwei weitere durchgängige Merkmale von Frau Bahrs Ausführungen: Frau Bahr kritisiert gerne, ohne ihre Kritik zu begründen. Später wird sie zum Beispiel über die Piratenpartei sagen, die hätte „das humanistisch-laizistische Programm gekapert […], mit durchaus stalinistischen Zügen.“ [S. 8] Ohne zu erläutern, was sie damit meint.

Es ist unredlich, gegenüber Kontrahenten den Vorwurf des Stalinismus einfach mal so in den Raum zu stellen, ohne dass diese sich wehren können. Noch dazu vor Verfassungsrichtern und Juristen der Bundesanwaltschaft.

So auch Frau Bahrs Darstellung ihrer angeblichen Begegnung mit dem Kirchenkritiker:

„Dann lädt er noch zur nächsten Party ein und erzählt stolz von den Karfreitagsstöraktionen des letzten Tages. „Heidenspaß statt Todesangst“ heißt die Bewegung, die im ganzen Bundesgebiet kein anderes Ziel hat, als die Karfreitagsruhe zu torpedieren.“ [S. 2]

Aktionen gegen den Papstbesuch letztes Jahr liefen unter dem Motto „Heidenspaß statt Höllenangst“. Ich vermute, Frau Bahr ist dieser Unterschied bei der Wortwahl durchaus bewusst. Während aber nur Gläubige Höllenangst haben können, klingt Frau Bahrs Version des Mottos geradezu, als ob die spaßigen Heiden gegen ihre eigene Todesangst anfeiern wollten. Aber das nur am Rande.

Frau Bahr spricht also von „Karfreitagsstöraktionen“, die „kein anderes Ziel“ haben, „als die Karfreitagsruhe zu torpedieren“. Leider erfahren wir nicht, was das für „Störaktionen“ sein sollen. Etwa „Heidenspaß-Partys“? So etwas hat der Bund für Geistesfreiheit in München vor fünf Jahren mal versucht, die Party wurde aber verboten. Zu weiteren „Heidenspaß-Partys“ findet sich im Internet nichts.

Die „Religionsfreie Zone“? Die wurde dieses Jahr zum fünften Mal veranstaltet. Das Motto war „Heidenspaß statt Höllenqual“. Dabei wurden am Karfreitag im Kölner Filmhaus ab 18 Uhr die beiden Filme „Religulous“ und „Das Leben des Brian“ gezeigt. Offenbar ganz legal. Ist es das, was Frau Bahr unter „Karfreitagsstöraktion“ versteht?

Oder bezieht sie sich auf die Flashmobs gegen das Tanzverbot, wie in Köln? Die richten sich allerdings nicht gegen die Religionsausübung – es werden ja keine Gottesdienste gestört – sondern gegen das Tanzverbot. Was sofort deutlich wird, wenn man „Flashmob“ und „Karfreitag“ googelt: Praktisch überall wird schon in den Google-Treffern deutlich, dass sich diese Aktionen gegen das Tanzverbot richten und nicht gegen Christen, die den Karfreitag begehen wollen. So hieß das Motto der diesjährigen Aktion in Köln auch „Zum Teufel mit dem Tanzverbot“ und nicht etwa „Zum Teufel mit dem Karfreitag“. Es geht eben nicht darum, die Karfreitagsruhe zu torpedieren, sondern gegen das Tanzverbot zu protestieren, wie eine diesbezügliche Mitteilung der Piratenpartei Köln zeigt:

„Anlass des Protests war das Tanz- und Musikverbot, das in Deutschland nicht nur am Karfreitag angesetzt ist. Tatsächlich betrifft dieses Verbot je nach Bundesland bis zu 16 weitere kirchliche Feiertage, an denen es mehrstündig oder sogar ganztags gilt. Die Piraten halten die Regelung für einen unverhältnismäßigen Eingriff in der Freiheitsrechte der Bürger, für fragwürdig im Sinne des Grundgesetzes und auf jeden Fall für revisionsbedürftig.

Man kann allerdings Frau Bahr nicht vorwerfen, dass sie dies verdreht – denn sie sagt ja gar nicht, worauf sie sich bezieht. Vielleicht war ihr Gegenüber ja auch Schachspieler?

Was man Frau Bahr allerdings vorwerfen kann ist, dass sie von einer Bewegung spricht, „die im ganzen Bundesgebiet kein anderes Ziel hat, als die Karfreitagsruhe zu torpedieren“ – obwohl sich die einzige Bewegung, die in dieser Hinsicht aktiv ist, gegen das Tanzverbot richtet und nicht gegen den Karfreitag als solchen. Wie auch bei anderen Gelegenheiten ist Frau Bahr gerne dann undifferenziert, wenn es darauf ankommt. Und wenn sie mal „differenziert“, klingt das so:

„Nicht jeder, der seine Konfession nicht mehr an eine Mitgliedschaft binden will, ist ein oberflächlicher, ganz dem materiellen Glanz der Konsumgesellschaft verfallener Mensch.“ [S. 4]

Mit solchen Sätzen sagt Frau Bahr mehr über sich selbst als über die Leute, von denen sie redet.

Ein noch schwererer, aber ebenso unbelegter Vorwurf macht den Kern von Frau Bahrs Nicht-Argumentation aus:

„Diese antiklerikale Bewegung gibt sich libertär, ist aber nicht liberal, wenn es um die Freiheit anderer geht. Die Intoleranz im Gewand einer kämpferisch-aufklärerischen Weltanschauung ist überraschend etatistisch, erhofft sie sich doch vom Staat und seinen Gerichten die Befreiung von den Zumutungen der Religion. […] Auch hier entwickelt sich ein geschlossenes Milieu, das für Religionsfreiheit streitet, aber dem Anspruch nach gerade die Neutralität des Staates gegenüber den religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen seiner Bürger unterläuft.“ [S. 8]

Man fragt sich, wo Frau Bahr auch nur ansatzweise die Freiheit der Gläubigen bedroht sieht? Wenn Leute am Karfreitag tanzen? Wenn in öffentlichen Schulen und Gerichtssälen keine Kreuze mehr hängen? – Selbst bei der Abschaffung zweier Privilegien von Verfassungsrang – der Kirchensteuer und dem konfessionellen Religionsunterricht – könnte man doch immer noch nicht davon sprechen, dass die Religionsfreiheit dadurch eingeschränkt sei. (Schließlich ziehen die meisten Religionsgemeinschaften keine Kirchensteuer ein und haben auch keinen eigenen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen.) Sind z.B. die USA – wo ja genau die strikte Trennung von Staat und Kirche gilt, die Frau Bahr ablehnt – nicht liberal und intolerant? Es geht nicht darum, den Gläubigen ihre Religionsausübung einzuschränken, sondern um die Herstellung der staatlichen Neutralität!

Abgesehen davon: Das beste Beispiel für ein geschlossenes Milieu, das vorgeblich für die Religionsfreiheit streitet, tatsächlich aber dem Anspruch nach gerade die Neutralität des Staates unterläuft – dürfte das „Foyer Kirche und Recht“ selbst sein.

Jedenfalls stellt Frau Bahr erneut einen schweren Vorwurf in den Raum, ohne auch nur den geringsten Hinweis zu geben, worauf sie sich bezieht.