(hpd) Dieser Tage erschien im Alibri Verlag das neue Buch von Jürgen Beetz „Eine phantastische Reise durch Wissenschaft und Philosophie – Don Quijote und Sancho Pansa im Gespräch“. Es behandelt die wichtigsten Kernfragen der Wissenschaft und der Philosophie in Form von Dialogen. Der hpd sprach mit dem Autor.
Herr Beetz, zwei Seelen wohnen – ach! – in Ihrer Brust?
Jürgen Beetz: Das sieht fast so aus. Mit Hilfe der Personen des spanischen Dichters Cervantes – Don Quijote und Sancho Pansa – diskutiere ich praktisch mit mir selbst. Ein Stellvertreterkrieg, denn die beiden stehen für die Ansichten, Einsichten und Weltsichten der Philosophie und der Wissenschaft.
Noch einmal – Schizophrenie als Lebenseinstellung?
Jürgen Beetz: Wenn Sie auf die manchmal krankhafte Abneigung zwischen den Verfechtern dieser beiden Sichten anspielen – vielleicht. Aber bei mir endet es versöhnlich: Trotz heftiger Auseinandersetzungen bleiben die beiden – also Philosophie und Wissenschaft – ein Team, weil sie sich gegenseitig ergänzen und die gleiche Grundeinstellung haben. Ihr Blick auf die Welt ist der des kritischen Zweifels. Aber es kommt noch schlimmer: Nicht nur die zwei grundsätzlichen Haltungen der Wissenschaft und der Philosophie werden beleuchtet, sondern auch die Privatansichten der beiden Akteure. Da denkt manchmal der Philosoph wissenschaftlich, und der Wissenschaftler verblüfft mit philosophischen Meinungen.
Woher kommen diese Gedanken? Phantasie oder das Buch von Cervantes?
Jürgen Beetz: Vieles ist ein Kondensat aus zahlreichen Gesprächen und Diskussionen mit realen Menschen. Auch hier trifft man ja oft einen bunten Mix aus unterschiedlichen und oft auch miteinander unverträglichen Weltanschauungen. Fast jeder hat eine gespaltene Persönlichkeit. Ein Physiker zum Beispiel glaubt an etwas Metaphysisches. Ein Philosoph hat sich von der herkömmlichen Theologie verabschiedet.
Wieso kann denn Sancho Pansa, der Schildknappe eines Adligen, mit Don Quijote überhaupt mithalten? Die Wissenschaft also auf die Höhen der Philosophie hinaufsteigen?
Jürgen Beetz: Wer hat in unseren Schulen das Sagen, der Schulleiter? Nein, es ist der Hausmeister. Oder symbolisch: weil die Wissenschaft – so wie die Philosophie zu damaliger Zeit – große Teile unseres modernen Weltbildes formt.
Ihre Gesprächsprotokolle der beiden Helden haben ja oft ein sehr hohes Niveau, kommen aber auch manchmal bedenklich auf Stammtischhöhe…
Jürgen Beetz: Wie gesagt – das Spiegelbild realer Diskussionen. Das hat auch Cervantes in seinem Vorwort schon festgestellt. Er nennt mein Buch „eine Mär, die so dürr ist wie Dünengras, aller Erfindung bar, mangelhaft im Stil, arm an geistreichem Spiel der Worte“.
Der Dichter des Don Quijote hat ein Vorwort geschrieben?! Er ist doch schon tot!
Jürgen Beetz: Ist er nicht. Er ist unsterblich… Wie seine beiden Helden.
Es ist ja die Geschichte einer phantastischen Reise…
Jürgen Beetz: Sie beginnt mit Rückblicken auf die vier Jahrhunderte, die die beiden schon hinter sich gebracht haben. Seit etwa 1600, dem Beginn ihrer „Lebenszeit“, hat sich die Welt ja dramatisch verändert – und damit unser und ihr Weltbild. Das muss man verstehen, um ihre heutigen Ansichten nachvollziehen zu können. Nun sind sie in der Gegenwart angekommen und reisen in einem alten, klapprigen Auto durch Europa. Einfache Situationen des Alltags, die sie erleben, regen sie zu Diskussionen über verschiedene Themen an.
Zum Beispiel?
Jürgen Beetz: Sancho Pansa beobachtet einen Ameisenbau, und sie denken über die Frage nach, ob die Evolution vom Zufall oder der Notwendigkeit beherrscht wird. Oder sie können sich bei der Wahl eines Hotels nicht entscheiden und diskutieren, ob denn nun das Gefühl oder der Verstand unsere Entscheidungen steuert. Oder sie unterhalten sich über Ethik, Wirtschaft und Moral. Der Auslöser hierfür ist eine Beobachtung, wie ein Wirt einen Gast über den Tisch zu ziehen versucht. Oder Sancho Pansa konstruiert einen Roboter. Das ist zwar nur ein Gedankenexperiment, aber schon diskutieren die beiden über den freien Willen. Der Alltag ist eben voller philosophischer Probleme, ohne dass wir es merken.
Und welche Abenteuer führen zu Gesprächen über die Wissenschaft?
Jürgen Beetz: Ausgelöst durch einen Plattfuß erklärt Sancho Pansa seinem Herren die Prinzipien der Systemtheorie. Er muss ihm überhaupt viel erklären – wobei ich den Philosophen nicht zu nahe treten möchte. Viele „gebildete“ Menschen haben ja nur geringe naturwissenschaftliche Kenntnisse. Und sind seltsamerweise auch noch stolz darauf. Don Quijote macht da keine Ausnahme. Deswegen muss er das Prinzip der experimentellen Wissenschaften am Beispiel eines Kaugummiautomaten erklärt bekommen. Er versteht sogar die Heisenbergsche Unschärferelation an einem einfachen Beispiel: seinem alten Auto.
Sie steigen auch noch in die Quantenphysik ein?
Jürgen Beetz: Ja, aber nur am Rande. Mit diesem Thema wird viel Unfug getrieben. Gerne auch in Verbindung mit „Jahrtausende alten Weisheiten“. Es ist die Kehrseite unserer Wissenschaftsfeindlichkeit, nämlich eine extreme Wissenschaftsgläubigkeit. Vor allem bei Leuten, die davon nichts verstehen. In der Quantenphysik ist die Unverständlichkeit ja quasi eingebaut. Und da schließe ich mich ausdrücklich mit ein.
Sie verpacken also ihre Gedanken in Geschichten?
Jürgen Beetz: Ja, aber es sind keine Erzählungen, es sind Dialoge. Lehrgespräche. Die Freunde der Philosophie würden es „platonische Dialoge“ nennen. Manchmal sind es auch Streitgespräche…
Besonders im sechsten Kapitel. Da bricht der Streit zwischen Philosophie und Wissenschaft los...
Jürgen Beetz: Und es fliegen die Fetzen. Alle gängigen Vorurteile tauchen hier auf. Die Philosophie ist die „Kunst der folgenlosen Gedanken“, die Wissenschaftler sind Flachdenker oder Erbsenzähler.
Das ist Ihre Meinung?
Jürgen Beetz: Nein, das ist der O-Ton von Leuten, mit denen ich diskutiert habe. Philosophie gilt bei vielen als akademisch und alltagsuntauglich. Wissenschaft und Technik machen Angst, sind seelenlos oder sogar böse. Aber das ist ein Kategorienfehler. Ein Fernseher oder eine Atombombe haben diese Eigenschaften nicht – nur die Menschen, die sie benutzen.
Ein weiteres Streitthema?
Jürgen Beetz: Die Philosophie, also Don Quijote, vertritt das Wahre, Schöne und Gute und äußert sich etwas herablassend über Sancho Pansa, der allenfalls für das Wahre zuständig ist. Der wiederum hält seinem Freund vor, dass alleine die wissenschaftliche Sicht unser heutiges materialistisches Weltbild formt und Fragen der Ästhetik und Ethik einem kleinen Kreis akademisch Interessierter vorbehalten sind.
Wenn ich die Dialoge lese, die ja vermutlich auch Ihre Einstellung widerspiegeln, habe ich den Eindruck, dass Sie sich auch selbst auf die Schippe nehmen können.
Jürgen Beetz: Das stimmt. Das Leben ist zu ernst, um es ohne Ironie ertragen zu können.
Sie haben ja einige Themen aus ihrem ersten Buch „Denken – Nach-Denken – Handeln“ wieder verwendet.
Jürgen Beetz: Ja, das ist nachhaltiges Denken. Nichts ist Abfall. Der Systembegriff zum Beispiel taucht wieder auf. Aber 97 Prozent sind neu.
Jürgen Beetz / Foto: privatWie sieht Ihre Reise durch die Welt der bedeutenden Fragen der Menschheit aus?
Jürgen Beetz: Es werden viele klassischen Philosophie-Themen behandelt, zum Beispiel die Logik, Ursache und Wirkung, Wahrheit und Erkenntnis, Sprache und Denken, Wissen und Bildung, Gefühl und Verstand, der freie Wille, Ethik und Moral und der Sinn des Lebens. Und natürlich der ewige „Streit“ um die Erklärung der Welt: Wer „hat Recht“, Philosophie oder Wissenschaft?
Wittgenstein tritt auch auf...
Jürgen Beetz: Nicht persönlich – meine Helden halten in einem spanischen Dorf einen Vortrag über seine „Logisch-philosophische Abhandlung“. Niemand versteht etwas. Sancho Pansa muss Don Quijotes gelehrte Ausführungen erläutern. Wittgensteins Verknüpfung von Philosophie und Sprache ist zur Erklärung der Welt ja immens wichtig. Anschließend besaufen sich alle – im Wein liegt die Wahrheit.
Sie führen einen Rundumschlag durch alle Philosophie-Gebiete.
Jürgen Beetz: Das ist der Vorteil, wenn man von vielem wenig versteht – man kann über alles schreiben. Sogar über 300 Seiten, was der Verlag nicht gern gesehen hat.
Davon allein 40 Seiten mit Anmerkungen in Endnoten.
Jürgen Beetz: Auch das hat Cervantes hämisch kommentiert: „mit Notaten am Schluss des Buches, so voll von Aussprüchen des Aristoteles, des Plato und der ganzen Schar von Philosophen, dass sie die Leser in Staunen setzen und dass diese deren Verfasser für einen belesenen, gelehrten und wohlberedten Manne halten“.
Auch für Kalauer sind sie sich nicht zu schade.
Jürgen Beetz: Die großen und wichtigen Fragen des Lebens muss man auch manchmal mit einem Augenzwinkern betrachten. Nichts ist schlimmer als verbissener Dogmatismus.
Aber Sie selbst sind doch ein dogmatischer Wissenschaftler, ein realistischer Pragmatiker, ein fanatischer Materialist.
Jürgen Beetz: Ja und nein. Ein „dogmatischer Wissenschaftler“ ist ein Widerspruch in sich. Grundlage der Philosophie und der Wissenschaft ist der Zweifel. Erkenntnisse gelten für mich nur als wahr, wenn sie jedem vernünftigen Zweifel standhalten. Ich würde mich nicht mit philosophischen Fragen herumplagen, wenn ich nicht auch eine philosophische Seele in meiner Brust hätte. Da das Ihre Eingangsfrage nach den zwei Seelen in meiner Brust war, können Sie hier ja schlecht widersprechen.
Sancho Pansa erläutert seinem philosophischen Freund verschiedene Dinge oft mit einfachsten Gedankengängen. Halten Sie Philosophen für doof?
Jürgen Beetz: Das wäre ein trauriges Missverständnis. Damit zeige ich nur, wie wissenschaftliche Prinzipien im Alltag verankert sind. Und es gilt auch umgekehrt – Don Quijote erläutert ein ethisches, also philosophisches Dilemma an einem überfahrenen Hund.
Sie knüpfen ja alle Themen im Buch an Situationen des Lebens an…
Jürgen Beetz: Ja, meine beiden Helden reisen umher, erleben alltägliche Dinge und benutzen sie, um über grundsätzliche Probleme nachzudenken. Die innere Grundhaltung in Philosophie und Wissenschaft ist der Zweifel, also die Frage: „Ist das wirklich so?“. Der Zweifel sollte uns bis zu einem gewissen Grade immer begleiten, ob wir die Tagesschau sehen oder beim Arzt sind.
Immer und überall?
Jürgen Beetz: Nein, der absolute Zweifel ist die absolute Verzweiflung. Man muss Vertrauen in existenzielle Gewissheiten haben.
Aber wo liegt die Grenze zwischen dem berechtigten Zweifel und dem notwendigen Vertrauen in Gewissheiten?
Jürgen Beetz: Ja, weiß der Teufel, wo die liegt. Das ist ja ein erkenntnistheoretisches Grundproblem. Es macht uns täglich zu schaffen, und viele fallen manchmal übel herein.
Nicht zu verzweifeln fällt ja schwer in unserer heutigen Welt.
Jürgen Beetz: Nicht nur da. Schon in Goethes „Faust“ verzweifelt sogar der „eingeteufelte“ Gelehrte.
Erklären Sie uns die Welt, bieten Sie in Ihrem Buch die ultimativen Weisheiten?
Jürgen Beetz: Nein, das versuchen ja viele philosophische Strömungen mit unterschiedlichen Ansätzen. Realisten behaupten, sie sei real. Konstruktivisten sagen, wir basteln sie in unserem Kopf. Empiriker wollen sie sinnlich erfahren und anfassen, Idealisten sehen sie als Abbild abstrakter Ideen. Jeder beansprucht die absolute Wahrheit für sich. Nur meine Helden finden die wahre Wahrheit heraus: Die Welt ist unterschiedlich. Mal so, mal so. Denn es gibt nichts, was es nicht gibt – und es gibt viele solche Paradoxien, mein Hobby. Sag niemals „nie“. Es gibt auch sehr vieles, was es wirklich nicht gibt. Die Philosophen würden es als „das Seiende“ und „das Nicht-Seiende“ bezeichnen. Kommen Sie noch mit?
Nein. Aber das scheint ja auch stellenweise ihre Absicht im Buch zu sein. Sie wollen die Komplexität und Offenheit der Welt zeigen. Ihr Komplexitätsoktopus…
Jürgen Beetz: Dieses Tier mit den vielen Fangarmen kann einem wirklich Angst machen und Unsicherheit erzeugen. „Alles ist mit allem verbunden“ – auch so ein kategorischer Satz, der nur zum Teil wahr ist. Esoteriker benutzen ihn gerne mit geheimnisvollem Raunen. Wahr ist aber, dass mehr mit mehr verbunden ist, als wir glauben. Das führt dann zu dem erstaunten Ausruf: „O, daran haben wir ja gar nicht gedacht!“. Ob bei der Finanzkrise oder bei einem Flughafen-Neubau…
Don Quijote kämpfte bekanntlich gegen Windmühlen, und Sancho Pansa war sein allzeit gehorsamer Diener. Gilt das auch symbolisch für Philosophie und Wissenschaft?
Jürgen Beetz: So boshaft bin ich nicht. Sancho hat sich emanzipiert und ist selbständig geworden. Und nun, in der modernen Zeit, finden sie wieder zueinander. „Wieder“, weil Philosophie und Wissenschaft seit den alten Griechen bis zum Anbruch der Moderne vereint waren. Jetzt wachsen sie wieder zusammen. Aber der Kampf gegen die Windmühlen ist ein schönes Gleichnis. Sie kämpfen beide – vermutlich vergeblich – gegen die Windmühlen der Dummheit und des Geschwätzes. Auch das vereint sie. Und so friedlich endet auch mein Buch – der Streit wird begraben. Sie setzen ihre PR-Tour für ihre Gebiete fort, bis in alle Ewigkeit. Denn sie sind ja unsterblich.
Falls nicht die gesamte Menschheit mitsamt ihrer Kultur untergeht.
Jürgen Beetz: Ja, das ist auch die Klammer meines Buches: woher wir kommen und wohin wir gehen. Umgangssprachlich und alltagstauglich präsentiert. Denn auch das sind Themen, die die beiden Vertreter der Fachgebiete diskutieren – unseren Ursprung und unser Ende.
„Ende“ ist ein gutes Stichwort. Herr Beetz, wir danken Ihnen beiden für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin Bauer.
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.