Higgs-Boson: Alles nur Theorie?

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Simulation des Zerfalls eines Higgs-Teilchens am CMS-Detektor / Quelle: wikimedia commons

MEYRIN. (hpd) Zum Nachweis des Higgs-Bosons überschlagen sich zurzeit in der Presse die Meldungen über den offenbar gelungenen Nachweis des so genannten „Gottesteilchens“. Ein Physiker würde nie auf die Idee kommen, eine solch unsinnige Bezeichnung zu kreieren. Man könnte sie vielleicht so interpretieren: Es ist das Teilchen, das Gott als Schöpfer des Universums endgültig und restlos überflüssig macht.

Ein Kommentar von Bernd Vowinkel

Das gefundene Teilchen schließt eine lange vorhandene Lücke in der so genannten „Great Unified Theorie“ (große vereinigte Theorie), abgekürzt GUT. In dieser Theorie werden drei der vier grundlegenden Kräfte der Natur, nämlich die starke Kraft, die schwache Kraft und die elektromagnetische Kraft vereinigt. Die starke Kraft hält die Atomkerne zusammen. Die schwache Kraft ist Ursache des so genannten Beta-Zerfalls der Atomkerne und die elektromagnetische Kraft deckt alle Phänomene der elektromagnetischen Strahlung (zu der auch das Licht gehört), des Magnetismus und der Elektrostatik ab. Die Theorie führt zu zwei Gruppen von Elementarteilchen, den Fermionen und den Bosonen. Die Fermionen sind Teilchen mit halbzahligem Spin (quantenmechanisches Analogon zum Drehimpuls) und werden als Bausteine der Materie angesehen. Die Bosonen haben ganzzahligen Spin und werden als Vermittler der jeweiligen Kraft bzw. Wechselwirkung angesehen. Bisher (ohne das Higgs-Boson) kam man auf insgesamt 16 Elementarteilchen. Das überall im Raum vorhandene Higgs-Feld (nicht das gefundene Teilchen!) verleiht den Bosonen der schwachen Kraft sowie den Fermionen ihre Masse. Das Higgs-Boson selbst stellt einen Anregungszustand des Higgs-Feldes dar.

Die drei Kräfte der GUT einerseits und die Gravitationskraft andererseits haben normalerweise extrem unterschiedliche Stärken, so dass man in der Regel die jeweiligen Phänomene vollkommen voneinander getrennt betrachten kann. In Schwarzen Löchern und beim Urknall kommen sie aber in die gleiche Größenordnung. Dort versagt die GUT, denn sie sieht die Elementarteilchen als punktförmig an, was dann z.B. beim Urknall zum Wert "unendlich" für einige physikalische Parameter führen würde. Hier hilft nur eine umfassendere Theorie weiter, die auch die Gravitation mit einbezieht. Die Superstringtheorie bzw. die ihr übergeordnete, allgemeinere M-Theorie haben das Potenzial, diese Probleme zu lösen. Sie begrenzen die kleinsten räumlichen Abmessungen auf die Größenordnung der Planck-Länge (1,6 x 10exp(-35)m). Allerdings sind diese Theorien noch nicht vollständig erforscht.

Das Messergebnis der Masse des Higgs-Teilchens mit 125GeV/c² ist im Einklang mit der Superstringtheorie bzw. der Supersymmetrie, denn diese fordert einen Wert von unter 135GeV/c². Die Theorie der Supersymmetrie fordert zusätzlich zu den bekannten Elementarteilchen supersymmetrische Partnerteilchen. Die Berechnung ergibt, dass diese Teilchen eine höhere Masse haben müssten, was wohl der Grund dafür ist, dass man sie bisher noch nicht experimentell nachweisen konnte. Zumindest ein Teil von ihnen könnte am der Beschleunigeranlage bei CERN in Zukunft gefunden werden. Darunter könnten dann auch Kandidaten für die so genannte dunkle Materie sein. Der Nachweis dieser Teilchen würde zwar die Superstringtheorie stützen, wäre aber für sich allein noch kein vollständiger Beweis für die Richtigkeit der Theorie.

Als Steuerzahler fragen sich viele Menschen, ob denn der immense Aufwand von mehreren Milliarden Euro für diese Art der Forschung gerechtfertigt ist. Welche Auswirkungen auf unser Leben hat die Entdeckung des Higgs-Bosons?

Nun, hier geht es wirklich um die elementare Frage, wie die Welt entstanden ist und sie hat damit Auswirkungen auf unser Selbstverständnis und unsere Beurteilung von Schöpfungsgeschichten. Bewahrheitet sich die M-Theorie, dann unterliegt die Welt nach der Vorstellung der Physiker Paul Steinhardt und Neil Turok einem ewigen Kreislauf. Unser Universum ist zwar mit dem Urknall entstanden und wird irgendwann wieder vergehen, aber dieser Zyklus wiederholt sich ständig. Die Welt, in der unser Universum nur einen Teil darstellt, existiert dagegen seit ewigen Zeiten und wird für immer existieren. Sie ist nicht entstanden und schon gar nicht von einem Schöpfer erschaffen worden. Noch ist dieses physikalische Weltbild nur eine Hypothese, aber die Forschungsergebnisse der letzten Jahre und insbesondere die Entdeckung des Higgs-Bosons stützen sie und immer mehr Physiker sind von ihrer Richtigkeit überzeugt.

In dem folgenden Video mit dem Titel „Was war vor dem Urknall?“ erklärt Morgan Freeman die Zusammenhänge etwas detaillierter:

 

In der Philosophie spielt die Idee der ewigen Wiederkehr schon lange eine große Rolle. Sie gründete sich zunächst auf alltägliche Phänomene wie den Zyklus der Jahreszeiten und eine Reihe von Periodizitäten in der Astronomie, wie die Mondphasen, der Lauf der Sonne durch die Tierkreiszeichen und die Tatsache, dass die Planeten nach einer gewissen Zeit wieder an der gleichen Stelle am Himmel stehen. So berechneten die Babylonier den Zyklus des Universums anhand der Planetenbewegung auf 424 000 Jahre. Im antiken Griechenland vertraten die Stoiker die Idee der ewigen Wiederkehr. Sie waren der Ansicht, dass kein Ereignis einzigartig ist. Es gilt vielmehr für jedes Geschehen, dass es unaufhörlich stattgefunden hat, stattfindet und stattfinden wird. Konsequenterweise bedeutet das letztlich auch, dass jede Ich-Identität unendlich oft existiert hat und wieder existieren wird. Da ein Informationsaustausch bzw. Speicherung zwischen den Zyklen grundsätzlich nicht möglich ist, können wir keine fortlaufende Geschichte der Ereignisse über einen Zyklus hinaus schreiben und bewahren.

Das Christentum richtete sich dagegen von Anfang an gegen die Vorstellung der ewigen Wiederkehr, mit dem Argument, dass Christus nur einmal für unsere Sünden gestorben und von den Toten auferstanden ist. Im Gegensatz dazu lag der Philosoph Friedrich Nietzsche aus heutiger Sicht wohl sehr viel näher an der Wahrheit. Er erkannte in vollem Umfang die Folgerungen, die sich aus der ewigen Wiederkehr ergeben. Wenn sich alles wiederholt, dann hat das Leben keinen höheren, letzten Sinn und Gott kann nicht existieren. In „Also sprach Zarathustra“ schreibt er:

„Alles geht, Alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.
Alles bricht, Alles wird neu gefügt; ewig baut sich das gleiche Haus des Seins. Alles scheidet, Alles grüsst sich wieder; ewig bleibt sich treu der Ring des Seins.
In jedem Nu beginnt das Sein; um jedes Hier rollt sich die Kugel Dort. Die Mitte ist überall. Krumm ist der Pfad der Ewigkeit.“

Dass die Mitte überall ist, muss als eine der wichtigsten, grundlegenden Erkenntnisse über die Wirklichkeit überhaupt angesehen werden. Sie formuliert das Symmetrieprinzip, dass es keine besonders ausgezeichneten Positionen im Raum gibt. Die Idee der ewigen Wiederkehr erweitert das Symmetrieprinzip auf die Zeit. Wenn sich alles wiederholt, kann man keinen absoluten, ausgezeichneten Zeitpunkt festlegen. Ein Schöpfungsakt stünde dazu in absolutem Widerspruch. Die Symmetrieprinzipien, die wir in der Natur vorfinden, bilden die Grundlage zur Formulierung von Naturgesetzen.

Nach solch bahnbrechenden Erfolgen der Wissenschaft wie die Entdeckung des Higgs-Bosons, versuchen die Vertreter des organisierten Glaubens häufig die Dinge klein zu reden, indem sie aufzählen, was die Wissenschaft alles noch nicht erklären kann. Aber die Fragen, ob das Glas der Wahrheit nun halb voll oder halb leer ist, oder wie hoch der Füllstand überhaupt ist, kann man als zweitrangig ansehen. Entscheidend ist, und das hat das Experiment bei CERN wieder einmal eindeutig gezeigt, dass wir in der Lage sind, das Glas zu füllen und die einzige Methode, die dazu in der Lage ist, ist die wissenschaftliche Methode. Esoterik, Metaphysik und Theologie haben dagegen absolut nichts zur Erkenntnis der Wirklichkeit beigetragen. Im Gegenteil, der organisierte Glaube hat insbesondere im so genannten dunklen Zeitalter des Christentums (ca. 500 – 1500) die wissenschaftliche Forschung massiv behindert und er versucht es auch heute noch. Allerdings, der Aufklärung sei Dank, nur noch mit geringem Erfolg. So bat Papst Johannes Paul II. den bekannten Astrophysiker Stephen Hawking bei einer Audienz im Jahr 1981, den Urknall nicht weiter zu erforschen, da dies der Schöpfungsakt gewesen sei und damit eine Frage der Theologie. Hawking ließ sich natürlich davon nicht beeindrucken und hielt kurze Zeit später in Rom einen Vortrag zu genau diesem Thema.

Die Erklärungskraft naturwissenschaftlicher Theorien wird von Gläubigen häufig in Zweifel gezogen mit der Bemerkung, das sei ja alles nur Theorie. Sie versuchen damit, eine gewisse erkenntnistheoretische Gleichrangigkeit mit ihrem Glauben herzustellen. Dazu ist anzumerken, dass z.B. die Quantenelektrodynamik Vorhersagen macht, die eine Präzision von bis zu eins zu einer Milliarde haben. Eine Bestätigung, von der die Theologie nur träumen kann. Manche vertreten die Meinung, dass die grundlegenden physikalischen Theorien ja keinerlei Einfluss auf ihr Alltagsleben hätten und somit für sie bedeutungslos seien. Dabei übersehen sie, dass z.B. in Deutschland etwa ein Drittel des Bruttosozialprodukts mit Produkten erzielt wird, zu deren Entwicklung eine tief reichende Kenntnis der Quantenmechanik notwendig ist. In unseren alltäglich gewordenen Navigationsgeräten werden zur Positionsbestimmung sowohl die Effekte der speziellen als auch der allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigt. Ohne diese Korrekturen wären diese Geräte völlig unbrauchbar.

Im Islam werden die Naturwissenschaften besonders geringgeschätzt, denn nach einem allgemeinen Glaubensgrundsatz lenkt Allah alle Dinge und Ereignisse dieser Welt und daher kann es gar keine allgemeingültigen Naturgesetze geben. Es ist daher auch kein Wunder, dass bisher nur ein einziger Moslem einen Nobelpreis erhalten hat, und der lebte in den USA. Die tiefe Abneigung gegenüber den Naturwissenschaften hält die Gläubigen allerdings nicht davon ab, moderne Dinge wie Mobilfunk- und Navigationsgeräte zu benutzen.

Naturwissenschaft und Glaube driften ständig weiter auseinander. Ihre Unvereinbarkeit wird immer offensichtlicher. So ist es auch nicht verwunderlich, dass man mittlerweile Gläubige unter den Physikern mit der Lupe suchen muss. Wer sich täglich mit der harten Realität auseinandersetzt, kommt zwangsläufig zu der Erkenntnis, dass die Religionen nichts anderes als Aberglaube und Wunschdenken sind. So schreibt Albert Einstein in einem Brief:

Das Wort Gottes ist für mich nicht mehr, als der Ausdruck und das Produkt menschlicher Schwächen. Die Bibel ist eine Sammlung ehrbarer, aber dennoch primitiver Legenden, welche doch ganz schön kindisch sind. Keine Interpretation, wie feinsinnig sie auch sein mag, kann das (für mich) ändern… Für mich ist die jüdische Religion wie jede andere der Inbegriff des kindischsten Aberglaubens.