Das Referendum zur Sterbehilfe in Slowenien

Wie ein gut organisiertes "Nein" siegte

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Der Sitz des slowenischen Parlaments in Ljubljana
Sitz des slowenischen Parlaments

Eine konservativ-kirchliche Allianz nutzte Angst, Werteframing und starke Netzwerke, um ein bereits beschlossenes Gesetz zu Fall zu bringen. Obwohl die Bevölkerung 2024 in einer unverbindlichen Befragung mehrheitlich ein Sterbehilfegesetz befürwortete, scheiterte die Reform nun an einem bindenden Referendum. Verantwortlich war eine koordinierte Allianz konservativer Gruppen, die den wichtigsten gesellschaftlichen Wert der Slowenen – Fürsorge für nahestehende Menschen – gezielt politisch instrumentalisierte.

Am 24. November lehnten rund 53 Prozent der Slowen:innen das "Gesetz über die Hilfe bei der freiwilligen Beendigung des Lebens" (ZPPKŽ) ab, während etwa 47 Prozent dafür stimmten. Mit einer Beteiligung von knapp 41 Prozent erreichte das Votum die nötige Schwelle, so dass das vom Parlament im Juli beschlossene Gesetz nicht in Kraft treten darf. Zuvor hatte im Juni 2024 eine unverbindliche Volksbefragung eine Mehrheit von 55 Prozent für eine gesetzliche Regelung der assistierten Lebensbeendigung ergeben. Doch nur das Referendum von 2025 war bindend: Ein "Nein" bedeutet, dass das beschlossene Gesetz nicht in Kraft tritt und das Parlament für ein Jahr nicht erneut über ein Gesetz zur Suizidassistenz beraten darf.

Im europäischen Vergleich gilt der verabschiedete Entwurf als das restriktivste Gesetz. Er hätte ausschließlich unheilbar kranken und geistig voll zurechnungsfähigen Erwachsenen den Zugang eröffnet – und nur dann, wenn alle medizinischen Optionen ausgeschöpft sind und zwei Ärzt:innen unabhängig voneinander zugestimmt hätten. Dies war ein dreistufiges Prüfverfahren und hätte weitere Schutzmechanismen geregelt, unter anderem eine verpflichtende Beratungsphase. Menschen mit psychischen Erkrankungen waren ausdrücklich ausgeschlossen. Während Länder wie die Niederlande, Belgien oder die Schweiz deutlich weitergehende Regelungen kennen, hätte Slowenien mit seinem Gesetz einen der engsten rechtlichen Rahmen in Europa geschaffen. Befürworter betonten gerade diese restriktiven Schutzmechanismen als Garant gegen Missbrauch, doch die Gegner rahmten sie nicht als Sicherheitsnetz, sondern als Einfallstor für eine "Kultur des Todes".

Die Gegner: Akteure, Methoden und Netzwerke

Auch ein vom Parlament beschlossenes Gesetz kann in Slowenien durch ein Referendum noch scheitern. Möglich wurde dies im Fall des assistierten Suizids durch eine strategisch geschickt abgestimmte Kampagne konservativer Kräfte, die ihre institutionellen, medialen und religiösen Netzwerke aktivierten. Im Zentrum stand der Aktivist Aleš Primc, Vorsitzender der Partei Glas za otroke in družine ("Stimme für Kinder und Familien"). Diese Kleinstpartei ist nicht im Parlament vertreten und erhielt bei der Wahl 2018 gerade einmal 0,24 Prozent der Stimmen. Dennoch spielte sie beim Referendum eine wichtige Rolle. Mit über 40.000 Unterschriften erzwang man das Referendum und prägte die Debatte mit alarmistischer Sprache. Man werbe für eine Koalition "Gegen die Vergiftung von Patienten!", heißt es auf der Website.

Unterstützt wurde Primc von der konservativ-nationalen Slowenischen Demokratischen Partei, die das Gesetz als Angriff auf die Menschenwürde darstellte. Eine ebenso zentrale Rolle spielte die katholische Kirche, die trotz abnehmender formaler Religionsbindung weiterhin eine starke kulturelle Autorität besitzt. Die Bischofskonferenz berief sich auf Artikel 17 der slowenischen Verfassung ("Das menschliche Leben ist unantastbar") und forderte statt Sterbehilfe einen Ausbau der Palliativ-Versorgung. Besonders einflussreich war der Erzbischof von Ljubljana, Stanislav Zore, der von "Gottes Wirken" sprach und die Gläubigen aufforderte, "dem politischen Druck zu widerstehen".

Auch konservative Ärzteverbände beteiligten sich, indem sie warnten, das Gesetz dränge Ärztinnen und Ärzte in eine Rolle, in der sie zu Handlungen verpflichtet werden könnten, eine aktive Rolle bei der Suizidassistenz zu übernehmen. Kirchliche Strukturen erwiesen sich als hocheffektiv: Predigten, Pfarrgemeinden und kirchliche Veranstaltungen mobilisierten vor allem ländliche Regionen. Parallel verstärkten konservative Medien wie Radio Ognjišče und Nova24TV die Kampagne und schufen eine Gegenöffentlichkeit zur Kommunikation der Regierung.

Die Sprache war bewusst drastisch gewählt. Begriffe wie "Patientenvergiftung", "Kultur des Todes" oder "Gefahr für die Schwächsten" dominierten die öffentliche Debatte und verdrängten die sachliche Auseinandersetzung mit den Schutzmechanismen des Gesetzes.

Das Nein-Lager bleibt argumentativ schwach

Die Argumente der Gegner des "Gesetzes über die Hilfe beim freiwilligen Lebensende" (ZPPKŽ) basieren auf einer Reihe von häufig wiederholten, aber vielfach als fehlerhaft oder manipulativ eingestuften Argumentationsmustern:

Die Gegner bedienen das Argument der rutschigen Ebene und prognostizieren eine Ausweitung auf vulnerable Gruppen, ohne dies durch Nachweise oder Mechanismen zu stützen. So erzeugen sie Befürchtungen einer unkontrollierbaren Entwicklung.

Sie verwischen die Begriffe, wenn sie etwa von aktiver Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) sprechen, obwohl das Gesetz ausschließlich die Suizidhilfe regelt und eine aktive Tötung ausdrücklich ausschließt. Diese gezielte Begriffsverfälschung soll Emotionen wecken und die Debatte verzerren.

Die Gegner stellen einen künstlichen Gegensatz her, indem sie behaupten, es könne entweder bessere Palliativ-Versorgung oder das Suizidhilfegesetz geben. Dabei übersehen sie, dass beides sich sinnvoll ergänzen lässt.

Sie greifen auf das Autoritätsargument zurück und verweisen auf berufsethische Prinzipien wie den Eid des Hippokrates, ohne dabei die moderne medizinethische Praxis oder das Recht auf Gewissensverweigerung einzubeziehen.

Die Gegner verzerren oder verkürzen die Darstellung des Gesetzes und seiner Schutzmechanismen, um Ängste vor angeblich fehlenden Vorkehrungen zu wecken.

Einzelbeispiele aus dem Ausland werden verallgemeinert und als unvermeidliche Folge des Gesetzes dargestellt, ohne die spezifischen Kontrollmechanismen des eigenen Gesetzes zu würdigen.

Komplexe gesetzliche Bestimmungen und mehrstufige Kontrollmechanismen werden ausgeblendet, um den Eindruck mangelnder Kontrolle und drohenden Missbrauchs zu erwecken.

Es werden falsche Ursachen angeführt. Die Behauptung, das Gesetz diene der Kostenersparnis im Gesundheitswesen durch "Entsorgung" von Pflegefällen, entbehrt jeder empirischen Grundlage und verzerrt Motivation wie Wirklichkeit.

Zusätzlich greifen Gegner Befürworter persönlich an. Ziel ist es, mit emotional aufgeladenen und vielfach fehlerhaften Argumenten eine breite Ablehnung des Gesetzes zu erzeugen – obwohl dieses strenge Schutzvorkehrungen enthält und klar zwischen Suizidassistenz und aktiver Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen) unterscheidet.

Strategisches Framing: Fürsorge gegen Selbstbestimmung

Die Gegner stützen ihre Strategie gezielt auf das Werteprofil der slowenischen Bevölkerung, das im Wertebericht der Europäischen Kommission "Values and Identities of EU citizens" dokumentiert ist. Fürsorge für nahestehende Menschen gilt in Slowenien als wichtigster persönlicher Wert. 83 Prozent der Befragten stellten ihn in der Umfrage an die erste Stelle. Damit ist er stärker ausgeprägt als der ebenfalls geschätzte Wert der Selbstbestimmung. Religion wiederum ist als persönlicher Wert wenig von Bedeutung, bleibt jedoch institutionell einflussreich.

Die Gegner der Reform griffen diese Wertestruktur auf und stellten Fürsorge ins Zentrum, während sie Selbstbestimmung abwerteten – als egoistisch und im Widerspruch zur Fürsorgepflicht. So entstand ein Framing, das die moralische Erzählung der Kampagne tief in den kulturellen Wertestrukturen verankerte. Besonders in ländlichen Regionen, wo kirchliche Netzwerke dichter sind, gelang es den Gegnern, die Bevölkerung in hoher Zahl zu mobilisieren und das städtisch-liberale Ja-Lager zahlenmäßig zu übertreffen.

Ein Vergleich mit Deutschland verdeutlicht die Spannweite der europäischen Debatte. Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) für verfassungswidrig. Es stellte klar, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließt nicht nur die Freiheit ein, das eigene Leben zu beenden, sondern auch die Möglichkeit, dafür die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Damit verlieh das Gericht der Selbstbestimmung über das Lebensende einen menschenrechtlichen Status. Während Deutschland Selbstbestimmung ausdrücklich als Grundrecht anerkennt, rahmten die slowenischen Gegner der Reform Selbstbestimmung als Gefahr für die Fürsorgepflicht und mobilisierten so erfolgreich gegen das Gesetz.

Es ist noch nicht zu Ende

Die Ablehnung des slowenischen Sterbehilfegesetzes war kein Zufall, sondern das Ergebnis einer koordinierten, strategisch geführten Kampagne einer konservativ-kirchlichen Allianz, die ihre institutionellen Netzwerke, ihre mediale Reichweite und ein rhetorisch wirkungsvolles Werteframing effektiv einsetzte. Indem sie den zentralen Wert der slowenischen Gesellschaft – die Fürsorge für nahestehende Menschen – politisch instrumentalisierte, gelang es ihr, Ängste zu wecken, moralische Empörung zu erzeugen und eine Mehrheit zu mobilisieren, obwohl ein Jahr zuvor eine Mehrheit grundsätzlich für ein Gesetz zur Hilfe bei der Freiwilligen Beendigung des Lebens gestimmt hatte. Das Referendum hat zwar die Gesetzgebung gestoppt, doch die Debatte ist damit nicht beendet. Viele Befürworter des Gesetzes deuten das knappe Ergebnis als Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels, der sich auf lange Sicht nicht aufhalten lässt. Oder wie es die Abgeordnete Tereza Novak ausdrückte: "Wir werden eine solche Lösung früher oder später bekommen, aber es ist eine Schande, dass sie nun aufgehalten wurde."

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