"Kipppunkt erreicht" – Kirche erwartet sinkende Einnahmen

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Symbolbild
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Rückläufige Mitgliederzahlen und sinkende Kirchensteuereinnahmen zwingen die Kirchen zum Sparen. In der Evangelischen Kirche Mitteldeutschland (EKM) fehlen in den kommenden zwei Jahren rund 15 Millionen Euro – ein Minus von 3,4 Prozent. Deutschlands Kirchen drohen schwere Zeiten.

Als Ende November die Finanzdezernentin der EKM, Barbara Füten, den "nominalen Steuerkipppunkt" für das Jahr 2026 ausrief, klang das in kirchlichen Ohren wie ein Menetekel. Der Präsident des Landeskirchenamtes, Jan Lemke, sprach von deutlichen Einschnitten, da sich die Kirche künftig nicht mehr alle Tätigkeiten und Angebote leisten könne. Christoph Stolte, der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland, zeichnete ein düsteres Zukunftsbild: "Wir müssen mit einem Rückbau der sozialen Infrastruktur rechnen. Wir machen uns Sorgen um die soziale Zukunft in den Bundesländern Sachsen-Anhalt und Thüringen" und leitete daraus sogar ein mögliches Erstarken der AfD bei den kommenden Landtagswahlen ab.

Ein Blick auf die Fakten entzaubert den Alarmismus

Bevor man nun in Mitleid verfällt, lohnt der Blick auf das, was die Kirche selbst einräumt: Die EKM erwartet einen Rückgang aktuell von knapp 600.000 Mitgliedern auf 500.000 im Jahr 2030. Es ist eine logische Konsequenz, dass mit weniger Mitgliedern auch weniger Kirchensteuern fließen. Jeder Sportverein würde sich bei einem solchen prozentualen Exodus fragen müssen, warum Menschen austreten, was man falsch gemacht hat – und wo man sparen kann. Die Kirche hingegen inszeniert finanzielle Realität gern als sozialpolitische Katastrophe.

Dabei wird oft verschwiegen: Die Diakonie finanziert sich zu 98,2 Prozent aus staatlichen Mitteln. Die restlichen 1,8 Prozent ermöglichen es der Kirche, ihre ideologischen Botschaften schon in Kindergärten zu verbreiten und ihr Sonderarbeitsrecht zu verteidigen – ein Relikt, das angesichts des modernen Arbeitsmarktes wie aus der Zeit gefallen wirkt.

Wenige Mitglieder – viel Drama

Wenn sich in Sachsen-Anhalt und Thüringen bald weniger als ein Achtel der Bevölkerung der evangelischen Kirche zugehörig fühlt, dann ist das kein gesellschaftlicher Kollaps, sondern eine demokratische Normalität: Menschen entscheiden sich gegen religiöse Bindungen. Der Staat bleibt dennoch verpflichtet, soziale Infrastruktur zu finanzieren – aber nicht, sie über kirchliche Parallelstrukturen zu subventionieren.

Stoltes Versuch, sinkende Kirchenfinanzen mit dem Aufstieg der AfD in Verbindung zu bringen, ist dabei ein Ablenkungsmanöver. Dass die AfD bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt voraussichtlich Stimmen gewinnen wird, ist ein fatales Signal für Demokratie, Pluralität und Meinungsfreiheit in Deutschland – aber es hat nichts mit der Haushaltslage der Diakonie zu tun. Die Ursachen liegen in sozialer Ungleichheit, politischer Entfremdung und rechtsextremen Netzwerken und nicht im Budget einer kirchlichen Sozialorganisation. Wer hier Ursache und Wirkung vertauscht, versucht vor allem eines: die eigene Relevanz künstlich aufzublasen.

Wenn der Kipppunkt ein Weckruf wäre

Der tatsächliche Kipppunkt liegt nicht in den Finanzen begründet, sondern im fehlenden gesellschaftlichen Vertrauen. Die Kirchen verlieren Mitglieder, weil ihre Antworten auf die großen Fragen der Gegenwart nicht mehr überzeugen – und weil ihre Privilegien aus staatlicher Finanzierung, Sonderrechten und politischem Einfluss immer weniger akzeptiert werden.

Vielleicht liegt gerade in der finanziellen Schrumpfung eine Chance: für die Kirchen, ihre Strukturen zu erneuern. Für den Staat, religiöse Trägerschaften zurückzubauen. Und für die Gesellschaft, soziale Aufgaben demokratisch, transparent und weltanschaulich neutral zu organisieren. Der Kipppunkt ist erreicht – nicht für die soziale Infrastruktur, sondern für das Selbstbild der Kirchen. Und das könnte ein Fortschritt sein.

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