10 Jahre Tierschutz im Grundgesetz

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Schimpanse im Zoo von Bad Pyrmont. / Photo: GAP

(hpd) Mit Wirkung vom 1. August 2002 wurde Tierschutz als Staatsziel in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Was wurde beschlossen und hat sich seitdem etwas geändert? Ein hpd-Gespräch mit dem Tierrechtler Colin Goldner.

 

hpd: Was genau wurde da vor zehn Jahren beschlossen?

Goldner: Es handelte sich um eine über Jahre hinweg heftig umstrittene Änderung des Grundgesetzes, dem letztlich in Artikel 20a exakt drei Worte hinzugefügt wurden: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“. Das war alles. Obwohl als Meilenstein gerühmt, hat sich für die Tiere dadurch nicht das Mindeste gebessert.

 

Welchen Status haben Tiere vor dem deutschen Gesetz?

Goldner: Durch das sogenannte „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht“ wurde schon 1990 ein Zusatzparagraph in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen, der aussagt, dass Tiere keine Sachen mehr sind, die sie bis dahin rechtlich waren, dass sie jedoch weiterhin rechtlich wie Sachen zu behandeln seien. Man kann nach wie vor ein Tier genauso kaufen oder verkaufen wie ein Fahrrad oder ein Auto. Bei diesem Zusatzparagraphen handelt es sich um eine dem Zeitgeist geschuldete Deklamation, eine Phrase ohne rechtlichen Inhalt. De facto gelten Tiere vor dem Gesetz nach wie vor als Sachen.

 

Welchen Schutz genießen Tiere durch das deutsche Tierschutzgesetz?

Goldner: Das deutsche Tierschutzgesetz geht auf das Reichstierschutzgesetz der Nazis von 1933 zurück, das diese als das fortschrittlichste der Welt rühmten. Tatsächlich war das Reichstierschutzgesetz ausschließlich an ökonomischen Zielen orientiert. Massentierhaltung etwa oder Jagd - das Steckenpferd von Reichsjägermeister Göring - wurden nicht angetastet. In bundesdeutsches Recht überführt hat sich daran nicht viel geändert, selbst die besagte Aufnahme von Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz gewährt Tieren keinerlei Schutz um ihrer selbst willen. Der Grundsatz nach § 1 Tierschutzgesetz: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügen“  ist insofern Farce, als ökonomische Gründe allemal als „vernünftig“ gelten, Tieren also aus ökonomischen Interessen jederart Schmerzen, Leiden oder Schaden zugefügt werden dürfen.

Die tierschutzgesetzlichen Vorgaben zur Haltung und Verwertung sogenannter Nutztiere, zum Gebrauch von Tieren in Tierversuchen, zu Zucht- und Handelsfragen sowie zur Tötung von Wirbeltieren - Nicht-Wirbeltiere können ohnehin von jedermann jederzeit getötet werden - sind ausschließlich an ökonomischen Interessen orientiert. Dem Tier kommt insofern nur der Rechtsschutz einer Ware zu. Das gleiche gilt für sportive oder sonstige Hobby- und Freizeitinteressen, die Tiernutzung selbst dann erlauben, wenn das Tier dabei Schaden nimmt.

 

Hat die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz überhaupt keinen Fortschritt gebracht?

Goldner: Von Seiten der Tiernutzer- und Tierausbeuterindustrie war Fortschritt nie gewollt. Insofern hat die Anhebung des Tierschutzes auf Verfassungsrang auch überhaupt nichts gebracht. Jeder noch so kleine Ansatz einer tatsächlichen Verbesserung wurde auf Bundes- und Länderebene von CDU/CSU und FDP unterlaufen. Das zentral wichtige Tierschutzverbandsklagerecht beispielsweise, gleichwohl seit Jahren als zwingende Konsequenz aus dem Staatsziel Tierschutz gefordert, gibt es immer noch nicht: Es würde anerkannten Tierschutzverbänden erlauben, als Anwalt der Tiere tierschutzrelevante Entscheidungen von Behörden gerichtlich überprüfen zu lassen.

Tierschutzorganisationen können Verstöße gegen Tierschutzrecht bislang lediglich anzeigen. Allein die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob sie Anklage erhebt oder die Ermittlung einstellt. Erfahrungsgemäß werden tierschutzrelevante Anzeigen sang- und klanglos eingestellt. Tiernutzer dagegen, z.B. industrielle Tiermäster oder Tierexperimentatoren in der Pharma- oder Kosmetikindustrie, können durch alle Instanzen gegen behördliche Tierschutzauflagen klagen. Aber niemand kann bei Gericht klagen, wenn die Behörden Tierschutzvorschriften nicht in vollem Umfang durchsetzen. Das Tierschutzverbandsklagerecht könnte diese rechtliche Schieflage korrigieren. Bisher gibt es das nur im Bundesland Bremen.

 

Wie sieht die Realität von Tieren in Deutschland heute aus?

Goldner: Der Ge- und Verbrauch von Tieren gilt nach wie vor als völlig "normal": die meisten Menschen betrachten Tiere ausschließlich als Mittel zum Zweck. Es gilt als unhintergehbare Selbstverständlichkeit, dass Tiere für menschliche Nahrung und Kleidung unterdrückt, ausgebeutet, gequält und getötet werden, dass sie für die Erforschung und Testung von Medikamenten oder Kosmetika vergiftet, verbrüht, verbrannt, vergast oder ertränkt werden, dass ihnen Augen, Magen und Haut verätzt, ihre Stimmbänder durchtrennt, ihre Knochen zertrümmert, zersägt, ihre Schädel zerschmettert werden, dass sie von Jägern gehetzt, erschlagen oder erschossen werden, sie zum Gaudium des Menschen in Zoos ausgestellt und in Zirkussen vorgeführt werden, dressiert und zu widernatürlichstem Verhalten genötigt, dass sie zu Sport und Freizeitvergnügen jedweder Sorte herhalten müssen.

Nach wie vor gilt das biblische Diktum aus dem 1. Buch Moses, in dem Gott selbst dem Menschen mit Nachdruck befiehlt, sich die Erde untertan zu machen. Wörtlich heißt es da: „Furcht und Schrecken vor euch über alle Tiere auf Erden und über alle Vögel unter dem Himmel, über alles, was auf dem Erdboden kriecht, und über alle Fische im Meer; in eure Hände seien sie gegeben.“ Solange dieses Diktum, das den Menschen zur „Krone der Schöpfung“ macht, nicht aus den Köpfen verschwunden ist, kann im Grundgesetz stehen was will: Der Mensch wird immer Furcht und Schrecken unter den Tieren verbreiten.

Die Fragen stellte Daniela Wakonigg