BERLIN. (hpd) „Unter Menschen“ ist ein Film über eine versuchte Wiedergutmachung. Kein Tierfilm. Obwohl er von 40 Affen handelt, Schimpansen, die 15 Jahre lang für Experimente mit AIDS- und Hepatitis-Viren herhalten mussten. 20 Jahre lang lebten sie voneinander isoliert auf engstem Raum. Claus Striegel und Christian Rost begleiteten über zwei Jahre ihre Gewöhnung an ein neues Leben in einem Safaripark.
Die junge Tierpflegerin Bettina Graupmann kann die Szene auf dem Laptop auch noch zehn Jahre danach nur mit sichtlicher Rührung betrachten. Die Schimpansinnen Ingrid und Pünktchen umfassen sich minutenlang mit ihren langen Armen, pressen ihre mittlerweile fast haarlosen Körper regungslos aneinander. Das hatte ihnen über all die Jahre gefehlt: Berührung. 15 Jahre lebten sie jeder für sich in bloß sechs Quadratmeter großen Käfigen.
Ihre Pflegerinnen durften sich ihnen wegen der Infektionsgefahr nur in sperrigen Plastikanzügen nähern, die selbst ihr Gesicht mit einem durchsichtigen Schutzschild abschirmten. Jane Goodall im Film: „Das ist das einzige, was sie von den Menschen zu sehen bekamen, diese schrecklichen Raumanzüge.“ Und auch jetzt besteht der einzige direkte Kontakt zwischen Mensch und Tier darin, dass die Pflegerinnen vorsichtig durch die Gitter die ausgestreckten Finger der Gefangenen streicheln.
Claus Striegel und Christian Rost begleiteten ein Resozialisierungsprogramm und geben einem Skandal eine Öffentlichkeit. Ihr Film erlebte auf der 63. Berlinale seine mit viel Applaus bedachte Welturaufführung. Bereits 1982, ein Jahr nach der offiziellen Benennung von AIDS, begann das Pharma-Unternehmen Immuno seine Experimente an Schimpansen. Obwohl das CITES-Abkommen, dem Österreich 1982 beitrat, schon seit 1975 den Handel mit bedrohten Arten begrenzte, zu denen von Anfang an die Schimpansen gehörten, importierte die Firma bis 1986 die Primaten illegal, mittels eines dubiosen Tierhändlers und ebenso fragwürdigen österreichischen Konsuls – unter Einsatz gefälschter Papiere und reichlich für die Bestechung des damaligen Präsidenten von Sierra Leone fließenden Gelder. Ausgegeben für kostbare Geschenke wie große Kristalllüster für den Regierungschef des westafrikanischen Küstenlandes.
Der ehemalige Leiter des Sierra Leone Nationalparks, Geza Teleki, kommt in dem Streifen zu Wort und erzählt, wie so etwas vonstatten ging. Gefangen wurden ausschließlich Jungtiere. Um an die heranzukommen, mussten nicht nur die Muttertiere erschossen werden, sondern auch die anderen Tiere der Gruppe, weil die gewöhnlich zur Verteidigung des Jungen ansetzten. Auf ein gefangenes Jungtier kamen also 10 bis 15 getötete Schimpansen.
Doch die Protagonisten des Films sind die drei Pflegerinnen der Tiere und ihre Schützlinge. Die Frauen sorgten für die Tiere im Labor mitten in Wien, und nun auf dem Gut Aiderbichel. Die Firma Baxter, die Immuno 1999 übernommen hatte, entschied 2001, ein Refugium für die ausgedienten Affen zu errichten. In einem ehemaligen Safari-Park. Doch auch dies Unternehmen ging, ehe es realisiert wurde, in die Pleite. 2010 übernahm der durchaus geschäftstüchtige Michael Aufhauser das Affenhaus in den Verbund seiner Gnadenhöfe. „Redemption impossible“ – „Wiedergutmachung unmöglich“ lautet der englische Titel des Films. Weinend sagt die junge Pflegerin, Bettina Graupmann: „Wiedergutmachen kann man das nicht. Sie müssen von vorn anfangen, zu erfahren, wie es ist, einen Vogel zu hören.“ Sie blickt verständlicherweise lieber nach vorn: „Wie schön ist es, dass die Affen jetzt ganz einfach wieder einen normalen Affenalltag haben.“
Der Weg dahin war mühsam. Johannes, 1981 noch in Afrika geboren, muss weiter in Einzelhaltung gehalten werden. Er fürchtet sich vor seinen Artgenossen, wurde immer wieder von ihnen verletzt. Seine einzige Bezugsperson bleibt seine Pflegerin Renate Foidl. Denn die Schimpansen haben über die Jahre das Gefühl für ihre eigene Kraft verloren und verletzen sich, auch ohne es zu wollen. Makabres corpus delicti: ein ausgerissener Finger in einem Einweckglas mit Spiritus konserviert...
„Entweder du gehst raus und vergisst, was du getan hast, oder du bist gefangen – für immer“, sagt Annemarie Kothi. Sie blieben. Die Pflegerinnen taten, was sie konnten. So sind die eindrucksvollsten Szenen im Film diejenigen, die festhalten, wie sie versuchen, durch Gitter und Glasscheiben so etwas wie Zärtlichkeit herzustellen. Mensch und Tier verständigen sich durch Mimik, die Frauen halten Hände und Gesichter ganz dicht an die der Primaten. Affen und Pflegerinnen entwickeln sprechende Gesten der Annäherung, nach denen die Gefangenen förmlich betteln – um dann doch immer wieder allein gelassen zu werden. Überdeutlich wird und bleibt der Alltag, in dem sich für die Affen ein Käfig mit dem andren abwechselt. Vor unter hinter ihnen schwere Schiebetüren mit eisernen Riegeln.
Ende gut alles gut? Fast. Die meisten der Affen finden sich schließlich zur Gruppe zusammen. Sie groomen sich und räkeln sich. Sichtlich genießen sie die Nähe der Artgenossen. Als dann endlich draußen die Baufahrzeuge abgefahren sind und sich die Klappe zum ersten Freigang ins Außengehege geöffnet, schauen die Schimpansen nicht lange erschrocken nach draußen. Erst einer, dann noch einer wagt sich einzeln vor, um dann doch wieder schnell Sicherheit in der Umarmung eines auf der Schwelle zögernden Artgenossen zu suchen. Schließlich halten sie sich alle aneinander fest, sehen staunend ins Freie und in die Sonne. Der Mutigste erklimmt einen Baumstamm und hat sie nun alles im Blick, die Menschen und die Anlage.
Die richtige Freiheit ist das freilich nicht. Selbstironisch nimmt die Kamera die ganze Entourage aus Filmleuten und Eröffnungskomitee ins Visier und die hohen Außenmauern. Sie umschließen die Anlage wie den Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses. Auf den Mauern haben Scharfschützen mit Gewehr im Anschlag Position bezogen, um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein.
Vor dem Haus der Berliner Festspiele, dem Ort der Filmpremiere, wies eine Gruppe der Tierversuchsgegner Berlin und Brandenburg e. V. mit Flyern darauf hin, dass die Zeit der Versuche mit Affen noch längst nicht vorbei ist. Sie protestierte gegen ein erst unlängst vom Oberverwaltungsgericht Bremen gefälltes Urteil. Es hatte entschieden, dass die Versuche an Rhesusaffen zur Hirnforschung mittels den Tieren eingepflanzter Elektroden weiter erlaubt sind, die von Andreas Kreiter mit seinem Team an der Universität Bremen betrieben werden.
Simone Guski