Gehorsam, Unterordnung, elitäres Denken

(hpd) Waldorfschule ohne Sitzenbleiben, „sanfte Medizin“ von Weleda, gesundes Gemüse von Demeter – viele Menschen kennen diese Angebote mit alternativem Anstrich. Was hingegen nur wenige wissen: Ihre Grundlage haben sie in der Anthroposophie, einer esoterischen Lehre Rudolf Steiners.

Diese jedoch hat es in sich, ist eher im Zusammenhang mit autoritären Vorstellungen des frühen 20. Jahrhunderts zu sehen als mit der Idee eines „alternativen“ Lebens. Irene Wagner hat in einem soeben erschienenen Buch herausgearbeitet, wie sich Steiners Auffassungen bis heute in Waldorfpädagogik, Anthroposophischer Medizin und biologisch-dynamischer Landwirtschaft niederschlagen und warnt vor den politischen Folgen eines wachsenden Einflusses der Anthroposophie. hpd sprach mit der Autorin über „Temperamente“, Bio-Möhren und Misteltherapie.

Frau Wagner, wenn ein Buch mit Kritik an Rudolf Steiner und seiner Lehre erscheint, unterstellen die Anthroposophen gerne persönliche Motive. Also, ist Ihnen mal ein Eintopf mit Demeter-Möhren missraten?

Irene Wagner: Nein, ganz sicher nicht, weil bei mir keine Demeter-Möhren in den Topf kommen. Dass Anthroposophen Kritik schwer ertragen können, ist mir bekannt. Ich hege keinen Groll gegen sie, weil sie mir nicht wirklich etwas getan haben. Die Leserbriefkampagne, die ich in meinem Buch erwähne, hat mich allerdings dazu animiert, mich intensiver mit der Materie zu befassen.

Der Titel Ihres Buches lautet „Rudolf Steiners langer Schatten“ und damit ist gemeint, dass die Vorstellungen des Begründers der Anthroposophie sich bis heute auf die sogenannten Praxisfelder auswirken. Zunächst: Was ist ein „Praxisfeld“?

Irene Wagner: Rudolf Steiner unterscheidet zwischen der Theorie Anthroposophie und ihrer Anwendung in der Praxis, nämlich den drei Bereichen Schule, Landwirtschaft und Medizin. Da er selbst erfahren hat, dass man nicht genügend Menschen für die Anthroposophie begeistern konnte, dass sich daraus eine weltweite Bewegung ergeben hätte, was ja sein Anliegen war, setzte er auf diese drei Praxisfelder, um so indirekt Anhänger zu gewinnen.

Ich würde sagen, dass diese Strategie sich bewährt hat, denn die Anthroposophen verfügen heute über ein dichtes Netz von Einrichtungen in den genannten Bereichen. Von der Wiege bis zur Bahre ist alles abgedeckt.

Wie eng lehnen sich diese Bereiche in der Realität denn an Rudolf Steiners Vorgaben an?

Irene Wagner: Ein Waldorflehrer, dem ich unterstellte, dass Rudolf Steiners Lehre für seine praktische Arbeit in der Schule wohl keine Bedeutung habe, wies dies weit von sich. Er meinte, ohne die Lehre im Hinterkopf könnte er seine Arbeit gar nicht durchführen.

Im medizinischen Bereich geht man von den drei Leibern, von denen Rudolf Steiner ständig spricht, aus und erklärt Krankheiten als eine Disharmonie der drei Leiber. Entsprechend wird die Therapie vorgenommen, man versucht die drei Leiber wieder in Einklang zu bringen. Dazu benutzt man in ritualisierten Verfahren hergestellte Medikamente, Maltherapie oder andere Therapieformen und natürlich Heileurythmie.

In der Landwirtschaft hält man sich immer noch an die ritualisierten Verfahren zur Herstellung von Schädlingsbekämpfungsmitteln und zur Düngung. Auch die Ablehnung von künstlichem Dünger und synthetisch hergestellter Pflanzenschutzmittel geht direkt auf Steiner zurück, ebenso die Annahme von „kosmischen Rhythmen“, was sich im jährlich neu erscheinenden Saat- und Sternkalender niederschlägt.

Was die Waldorfschulen angeht, wird aber häufig bestritten, dass die Anthroposophie sich überhaupt im Unterricht niederschlägt...

Irene Wagner: Es gibt kein Unterrichtsfach Anthroposophie, das heißt aber noch lange nicht, dass sie keine Rolle spielt; im Gegenteil, und das sagen sogar Anthroposophen: ohne Anthroposophie keine Waldorfschule. Das heißt im Umkehrschluss keine Waldorfschule ohne Anthroposophie. Das äußert sich ganz konkret in der Zuordnung der Schüler zu den vier Temperamenttypen, an der Vermittlung des Unterrichtsstoffs in Form von Märchen, Sagen und Bibelgeschichten in den ersten acht Schuljahren und generell in der gefühlsmäßigen Herangehensweise.

Aber der schlagendste Beweis, dass Anthroposophie eine Rolle spielt, ist das Fach Eurythmie. Dieses vielfach abgelehnte, sogar gehasste Fach, ist eine Heilige Kuh der Waldorfschule und wird für die Öffentlichkeit so dargestellt, als handle es sich um eine besondere künstlerische Verbindung von Sprache und Bewegung. Tatsächlich wird damit aber eine Verbindung des Menschen mit „Höheren Welten“ angestrebt.

Nun stellt sich die Frage, was daran problematisch ist, wenn Steiner seinen Schatten auf die Waldorfschule wirft. Lassen sich seine pädagogischen Auffassungen bei freundlicher Interpretation nicht mit heutigem Wissen in Einklang bringen, zum Beispiel die von ihm angenommenen kindlichen Entwicklungsstufen?

Irene Wagner: Steiners pädagogische Auffassungen waren schon zu seiner Zeit nicht fortschrittlich; dazu waren sie viel zu autoritär und wissenschaftsfeindlich. Esoterik und Wissenschaft lassen sich nun mal nicht vereinigen.

Wenn Schüler unter dem Aspekt ihres Karmas, ihres Temperamentes oder ihrer Haarfarbe begutachtet werden und daraus ihre Leistungsfähigkeit abgeleitet wird, dann entspricht das in keiner Weise den Kategorien einer wissenschaftlichen Pädagogik.

Selbst bei einer freundlichen Interpretation reichen die mageren Kenntnisse Steiners nicht für eine moderne Pädagogik aus. Seine Einteilung in Sieben-Jahres-Schritte ist ein starres Korsett, das der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen heute in keiner Weise gerecht wird. Da wird Eltern dringend von der Einschulung eines Sechsjährigen abgeraten, weil Steiner die Einschulung eben erst mit sieben Jahren vorgesehen hat. Das wird den Eltern nicht gesagt, sondern behauptet, das Kind sei nicht schulreif, auch wenn das objektiv gesehen nicht stimmt.

Nach Steiner soll ein Kind zwischen sieben und 14 Jahren nur nachahmen, erst mit 14 soll es allmählich zum Denken hingeführt werden, allerdings auch wieder mit Einschränkung. Die eigentliche Persönlichkeitsentwicklung finde erst mit 21 Jahren statt. Das ist heutzutage geradezu lächerlich. Die Volljährigkeit liegt heute bei 18; es wird darüber nachgedacht, das Wahlalter auf 16 zu senken.

Wie starr die Entwicklungsstufen gesehen werden, zeigt sich schon an der Tatsache, dass eine Wiederholung einer Klasse ausgeschlossen ist, es sei denn, es handelt sich um Quereinsteiger für die man in der Jahrgangsklasse keinen Platz hat. Es wird nicht eine individuelle Entwicklung vorausgesetzt, sondern eine in Jahrgangsstufen.

Ein Punkt, den Sie besonders kritisieren, ist die Rolle des Klassenlehrers und die ihm zugewiesene Autorität. Welche negativen Folgen sehen Sie hier?

Irene Wagner: Der Klassenlehrer gilt in der Waldorfschule als absolute Autorität, unabhängig von seinen tatsächlichen Kompetenzen. Insbesondere die fachlichen Kompetenzen lassen oft zu wünschen übrig, im Extremfall wird dann mal eine Epoche von einem Fachlehrer übernommen. Die Fachlehrer müssen ohnehin in der neunten Klasse nachholen, was vorher nur unzureichend vermittelt wurde.

Der andere Aspekt ist, dass der Klassenlehrer acht Jahre lang eine Klasse begleitet; das bedeutet für Schüler, die mehr eine Bezugsperson als einen Lehrer suchen, dass sie eine kontinuierliche Begleitung durch die ersten acht Schuljahre haben, zu der sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Für Schüler, die keine weitere Bezugsperson suchen und eher fachlich, womöglich intellektuell ausgerichtet sind, kann diese lange Klassenlehrerzeit zur Qual werden, weil sie in ihrer Entwicklung eher gehemmt als gefördert werden und dem Klassenlehrer komplett ausgeliefert sind.

Zur Problematik des Klassenlehrers gibt es eine umfassende Untersuchung des Erziehungswissenschaftlers Heiner Ullrich, der zu dem Ergebnis kommt, dass Schüler in sogenannten „Passungsverhältnissen“ durchaus von der starken Bindung an den Klassenlehrer profitieren können, dass aber Schüler, die der Lehrererwartung nicht entsprechen, häufig als verhaltensgestört etikettiert werden und wenig Chancen zur eigenen Entfaltung haben.

Meine Hauptkritik der Klassenlehrerrolle in der Waldorfschule ist die Führerfunktion, die ihr zugrunde liegt und die natürlich als Gegenpart Gehorsam und Unterordnung verlangt. Der Kontakt läuft auf der Beziehungsebene ab statt auf der Sachebene. Dem entspricht Steiners Sprachgebrauch. Er redet meistens vom Kind, auch bei 14-Jährigen, und vom Erzieher, selten vom Schüler und Lehrer. Die Erziehung zu selbständigem, kritischem Denken, zu Partnerschaft und demokratischen Basiskompetenzen wird vernachlässigt.

Dieses Problem dürfte im Bereich der anthroposophischen Medizin ja nicht vorkommen. Was ist gegen die Produkte von Wala und Weleda einzuwenden?

Irene Wagner: Autoritäre Strukturen gibt es nicht nur in der Waldorfschule, sondern auch in den heilpädagogischen Einrichtungen, die sich anmaßen, Pädagogik und Medizin verknüpfen zu können. Grundlage dafür ist Rudolf Steiners „Heilpädagogischer Kurs“, der auch heute noch unkommentiert haarsträubende Behandlungsmethoden anbietet. Dieser soll Kenntnisse zum Umgang mit behinderten Kindern – bei Steiner minderwertigen Kindern – vermitteln. Ich greife nur einige besonders abstruse Methoden heraus: Kinder mit einem Wasserkopf sollen überwiegend in einem dunklen Raum untergebracht werden, damit sie möglichst wenig Reize von außen aufnehmen. Bei verhaltensauffälligen Kindern empfiehlt Steiner, gewisse Charaktereigenschaften zu brechen, eventuell unter Gewaltanwendung. Bei phlegmatischen Kindern oder Kindern mit einer Phobie soll öfter ein leichter Schock ausgelöst werden.

Neben diesen sonderbaren Behandlungen hat Steiner von ihm ersonnene Arzneimittel eingesetzt, z.B. Injektionen mit Nikotin oder Blei, Verabreichung von Arsen. Außerdem benutzte er für seine Diagnose Horoskope, phantasierte sich das Karma eines Patienten zusammen oder schloss von Äußerlichkeiten wie Haarfarbe, Augenfarbe und Kopfform auf den psychischen und physischen Zustand.

Da Steiner bei den Anthroposophen absolute Autorität besitzt, muss man davon ausgehen, dass man in allen drei Praxisfeldern versucht, seine Anweisungen zu befolgen.

Und was spricht gegen die sonstigen alternativmedizinischen Angebote anthroposophisch orientierter Firmen?

Irene Wagner: Wie man im Internet sehen kann, beruft sich die Firma Weleda ganz auf Rudolf Steiner. Sie fühlt sich sogar bemüßigt, die drei bzw. vier Leiber oder Wesensglieder, von denen Steiner ständig redet, zu erläutern, da diese ja die Grundlage für all ihre Therapieangebote sind.

Aus anthroposophischer Sicht stehen Krankheiten im Zusammenhang mit dem Karma. Sie sind also entweder eine Chance zur Höherentwicklung oder die Folge von Fehlverhalten in diesem oder in vorherigen Erdenleben. Geradezu abenteuerlich ist die anthroposophische Auffassung über Masern. Von dieser hochansteckenden, lebensbedrohlichen Kinderkrankheit versprechen sich viele Anthros einen Entwicklungsschub, weshalb sie ihre Kinder nicht gegen diese Krankheit impfen lassen und dadurch dazu beitragen, dass in anthroposophischen Kindergärten und in Waldorfschulen immer wieder mal Masernepidemien auftreten. In diesem Punkt kann man nicht mehr von harmloser Spinnerei reden, es handelt sich um Fahrlässigkeit.

Was Steiner in Zusammenarbeit mit Ita Wegmann als Grundlagen für die anthroposophische Heilkunst zusammengestellt hat, gilt anscheinend heute noch. Ich habe es an zwei Beispielen überprüft. Das erste ist „Scleron“, das aus Blei, Honig und Zucker besteht. Wie schon Laien wissen, ist Blei hochgiftig. Die Firma Weleda bietet das Mittel gegen Sklerose an, wie Steiner. Da das Mittel zusätzlich Weizenstärke und Lactose enthält, wird Patienten, die gegenüber diesen beiden Stoffen überempfindlich sind, von der Einnahme abgeraten. Eine Warnung wegen des Bleis sucht man vergebens.

Das zweite Mittel ist „Biodoron“ gegen Migräne. Es besteht aus Eisen, Schwefel und Quarz. Weleda weist darauf hin, dass das Mittel rezeptfrei in Apotheken erhältlich sei.

Wird sowas eigentlich von den gesetzlichen Krankenkassen gezahlt?

Irene Wagner: Wenn die anthroposophisch orientierte Medizin sich nach wie vor auf Steiner beruft, dann heißt das ganz einfach, dass nicht die normalen wissenschaftlichen Kriterien zur Anwendung kommen. Deshalb haben die Anthroposophen eine Kampagne gestartet und mit Unterstützung anderer alternativer Anbieter eine Ausnahmeregelung durchgesetzt. Das heißt, die alternativen Medikamente müssen nicht eine Testreihe wie andere Medikamente durchlaufen und auf ihren therapeutischen Wert hin überprüft werden. Die Beweislast wurde umgekehrt. Die Zulassungsstelle müsste den Beweis erbringen, dass ein bestimmtes Medikament nicht den angegebenen therapeutischen Nutzen hat. Das ist jedoch nicht möglich, weil auch Placebos einen gewissen Erfolg bringen können. Also wird der Verbraucher nicht vor fragwürdigen Arzneimitteln geschützt, was eigentlich der Sinn von Prüfverfahren ist.

Besonders perfide ist der Umgang mit Krebspatienten, denen Mistelpräparate verordnet werden, weil Steiner davon ausging, dass Krebs den Menschen befällt wie die Schmarotzerpflanze Mistel den Wirtsbaum. Dieses Analogiedenken entspricht nicht wissenschaftlichen Kriterien und braucht es auch nicht wegen der Ausnahmeregelung.

Auch die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Behandlung bezahlen. Ein Gericht hat entschieden, dass aufgrund der Häufigkeit der Verordnung das Medikament bezahlt werden muss. Außerdem hat es bestätigt, dass es nicht nach dem normalen Standard beurteilt werden darf.

Ihre landwirtschaftliche Methode nennen die Anthroposophen „biologisch-dynamisch“. Gibt es in der Produktionsweise wesentliche Unterschiede zu dem Gemüse, das in normalen Bioläden oder Reformhäusern zu kaufen ist?

Irene Wagner: Die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise unterscheidet sich von anderen ökologisch orientierten Betrieben in der Hauptsache durch den Hokuspokus, der dort betrieben wird bezüglich der Düngung und der Schädlingsbekämpfung. Was die Qualität der Produkte betrifft, so kann man feststellen, dass es weder im Nährwert noch im Geschmack wesentliche Unterschiede bei den verschiedenen Produktionsweisen gibt. Der einzige Vorteil der Bio-Produkte ist, dass sie im Allgemeinen weniger Rückstände von Pestiziden enthalten. Im Übrigen bieten Reformhäuser auch konventionell erzeugte Produkte an, sofern sie schadstofffrei sind.

Lässt sich eigentlich sagen, wer die vorrangige Klientel dieser Praxisfelder ist?

Irene Wagner: Mir ist keine spezifische Untersuchung dazu bekannt. Ich kann nur aus dem Material, das mir vorlag, eine gewisse Tendenz herauslesen. Da alle Bereiche mit höheren Kosten, direkt oder indirekt, verbunden sind, können sich eher finanziell besser Gestellte die Teilhabe daran leisten.

Dennoch muss man etwas differenzieren. Bezüglich der Waldorfschule sind es nicht ausschließlich gut Betuchte, das wäre schon vom Gesetz her nicht erlaubt. Aber überwiegend sind es laut einer Waldorf-Studie dennoch eher Leute aus der Mittel- und Oberschicht, die ihre Kinder dort hinschicken. Häufig sind es Akademiker, die ein gewisses Bildungsbewusstsein haben, aber aufgrund ihrer beruflichen Auslastung sich nicht ausreichend um den Nachwuchs kümmern können. Zudem wünschen sie für sich und ihre Kinder eine stressfreie Schulzeit, die ihnen die Waldorfschule verheißt. Nicht wenige alleinerziehende Mütter erhoffen sich von der Waldorfschule eine Unterstützung in der Erziehungsarbeit, die sich in kompletten Familien auf beide Elternteile verteilt.

Bezüglich der Ökoprodukte ist das Konsumverhalten sowohl vom Geldbeutel als auch vom Bildungsstand abhängig. Hier sind es häufig Leute aus der Alternativszene, die meinen, sich damit gesünder zu ernähren. Notfalls schränken sie sich in anderen Bereichen ein. Für Hartz-IV- Empfänger dürfte es indiskutabel sein.

Im medizinischen Bereich sind es ebenfalls die alternativ Ausgerichteten oder solche, die mit der wissenschaftlichen Medizin, die gerne als „Schulmedizin“ negativ apostrophiert wird, nicht den gewünschten Erfolg hatten.

Am Ende Ihres Buches kommen Sie zu dem Fazit, dass die Anthroposophie eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Nun sehe auch ich einige antidemokratische Tendenzen bei den Anthroposophen, vor allem was ihren Umgang mit Kritik angeht, aber hieße es nicht, ihre Möglichkeiten überschätzen, wenn sie als Bedrohung gesehen werden?

Irene Wagner: Dass Anthroposophen dazu neigen, aufgrund ihrer Unfähigkeit, mit Kritik angemessen umzugehen, die Meinungsfreiheit einschränken zu lassen, z.B. durch entsprechende Gerichtsurteile, ist die eine Sache. Eine andere Sache ist ihr zunehmender Einfluss auf die Politik, sogar auf die Europapolitik. Auch versuchen sie, soziale Bewegungen für ihre Zwecke zu nutzen und treiben die Privatisierung der gesundheitlichen Versorgung voran. Aber das Entscheidende ist das Bildungswesen, auf das sie schon sehr viel Einfluss genommen haben. Da in ihren Einrichtungen aber ein elitäres Denken vorherrscht und nicht zur Demokratiefähigkeit erzogen wird, sehe ich darin eine reale Gefahr, zumal sie enge Beziehungen zum Geldadel und zur Politik haben und häufig im Verborgenen agieren.

Ich danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Irene Wagner: Rudolf Steiners langer Schatten. Die okkulten Hintergründe von Waldorf & Co. Aschaffenburg: Alibri 2012. 405 Seiten, kartoniert, Euro 24.-, ISBN 978-3-86569-069-2

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.