Die Kirchen als Arbeitgeber

(hpd) Eva Müller berichtet in ihrem Buch vom Schicksal der Leiterin eines katholischen Kindergartens, die nach der Trennung von ihrem Mann und dem Beginn einer neuen Liebesbeziehung entlassen wird. Der skandalöse Fall macht exemplarisch deutlich, wie sehr der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland inhaltliche Beurteilungen des Privatlebens von Mitarbeitern zur Umsetzung von Kündigungen nutzen kann.

In Deutschland sind die Kirchen nach dem Staat mit etwa 1,2 Millionen Beschäftigten der zweitgrößte Arbeitgeber. Selbst die beiden Wohlfahrtsverbände Caritas mit 560.000 und Diakonie mit 453.000 Mitarbeitern stehen für sich allein vor dem drittplazierten Siemens-Konzern mit etwas mehr als 400.000 Mitarbeitern. Doch wie steht es um die Arbeitsrechte der in Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft beschäftigten Menschen? Diese Frage hört sich etwas merkwürdig an, wenn man erstaunliche Fallbeispiele nicht zur Kenntnis nimmt: Mitunter führt etwa die Neuverheiratung nach einer Scheidung zur Entlassung von Ärzten oder Kindergärtnerinnen. Solche privaten Entscheidungen gelten als nicht mit der kirchlichen Lehre vereinbar und können auch heute noch zu entsprechenden Konsequenzen führen. Dies macht Eva Müller, die als freie Journalistin für den WDR arbeitet, in ihrem Buch „Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt“ deutlich. Dabei stellt sie ein konkretes Fallbeispiel ins Zentrum ihrer Darstellung.

Bernadette Knecht hatte seit neun Jahren einen katholischen Kindergarten in Rauschendorf bei Bonn geleitet. Sie galt bei Eltern und Kindern, Mitarbeitern und Vorgesetzten als engagiert und kompetent. Dann kam es in Knechts Ehe zu Konflikten, sie verließ ihren Ehemann. Nachdem die Frau einen neuen Partner gefunden hatte, zog sie mit ihm zusammen. Der zuständige Pfarrer bezeichnete Knecht daraufhin als „schädliches Ärgernis“ und kündigte ihr den Arbeitsplatz. Geht das? Ja, zeigt Müller: „Jede dritte Ehe in Deutschland geht auseinander. Normalerweise interessiert das den Arbeitgeber nicht. Aber bei der katholischen Kirche gilt: Wenn die Ehe scheitert, ist der Job in Gefahr. Denn eine neue Beziehung nach einer katholisch geschlossenen Ehe ist einer von vielen möglichen Kündigungsgründen, die über die sogenannte Grundordnung des kirchlichen Dienstes im kirchlichen Arbeitsrecht festgelegt sind“ (S. 19). Gegen das damit einhergehende „kirchliche Selbstbestimmungsrecht“ lässt sich bislang auch auf gerichtlichem Wege nur in seltenen Fällen etwas unternehmen.

Dies gelang in einem ähnlichen Fall einem Arzt an einer katholischen Klinik, der seine neue Partnerin geheiratet hatte. Da er zuvor aber in allgemeiner Kenntnis mit ihr zusammengelebt und die Kirche dagegen keinen Einspruch erhoben hatte, hob das zuständige Gericht die Kündigung wieder auf. Hier handelt es sich aber nur um eine Ausnahme von der Regel. Doch wie legitim ist ein solches Agieren? Darf ein Arbeitgeber von seinen Beschäftigten nicht Loyalität erwarten? Besteht eine Bank bei ihren Mitarbeitern nicht auch auf adäquate Kleidung? Kann ein Mitarbeiter von „Borussia Dortmund“ mit einem „Schalke 04“-T-Shirt arbeiten? Sicherlich nicht! Doch diese Einschränkungen beziehen sich auf das Arbeits-, nicht auf das Privatleben. Hinzu kommt noch ein ganz anderer Gesichtspunkt, worauf Müller aufmerksam macht: „Kein Kindergarten, keine Schule, kein Krankenhaus, kein Altenheim in Trägerschaft der christlichen Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbände wird zum Hauptteil aus der Kirchensteuer finanziert“ (S. 42). Weit über 90 Prozent kommt vom Staat.

Gleichwohl beanspruchen die Kirchen, nicht nur allein in Einrichtungen wie Kindergärten und Krankenhäusern zu bestimmen. Sie schränken darüber hinaus die Arbeitsrechte ihrer Mitarbeiter ein und leiten aus deren Privatleben rechtlich tragende Gründe für eine Entlassung ab. Dies geschieht in einer Gesellschaft, worin einerseits immer mehr Gläubige ihre Kirchen verlassen und andererseits die Kontrolle der Kirchen über Sozialeinrichtungen kontinuierlich steigt.

Müller macht diese Situation im Sinne einer journalistischen Reportage anhand des Schicksals von Bernadette Knecht deutlich. Darin eingestreut sind Hintergrundinformationen zu anderen Fällen ebenso wie zu rechtlichen Fragen. Insgesamt macht die Autorin so auf einen kontinuierlich bestehenden, weil strukturell gegebenen Skandal aufmerksam. Denn: Die konsequente Trennung von Kirche und Staat ist immer noch nicht erreicht.

Das Buch enthält aber auch einen Lichtblick und nicht nur Schattenseiten: Er besteht in dem hohen Engagement der Eltern für die Kindergartenleiterin - als Bestandteil einer demokratischen Zivilgesellschaft.

Armin Pfahl-Traughber

Eva Müller, Gott hat hohe Nebenkosten. Wer wirklich für die Kirchen zahlt, Köln 2013 (Kiepenheuer & Witsch), 190 S., 14,99 €

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.