Denn dass in dem Land, in dem angeblich der „Antimuslimische Rassismus“ grassiert, gerade der Islamische Religionsuntericht an öffentlichen Schulen eingeführt wird und islamische Verbände längst politische Partner der Regierenden sind, ist den Autoren offenbar ebenso entgangen, wie die zahlreichen „Biodeutschen“ in muslimischen Strukturen (auch in leitenden Funktionen wie etwa Ayyub Axel Köhler, Norbert Müller
oder Pierre Vogel). Und wer suggeriert, dass der alltägliche Rassismus sich gegen Muslime richtet, also gegen Menschen, die sich zum Islam bekennen, müsste nachweisen, dass christliche, atheistische oder religiös nicht interessierte Türken, Iraner, Tunesier oder Indonesier signifikant seltener diskriminiert werden. Çetin & Wolter führen solchen Nachweis nicht, sie setzen die Existenz eines „Antimuslimischen Rassismus“ voraus und verwenden den Begriff mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie die konservativen Islamverbände. Folgerichtig beschließt auch ein Zitat des Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime, Ayman Mazyek, ihren Aufsatz.
Weitere Hinweise, wo die Autoren politisch anzusiedeln sind, tauchen bei genauer Lektüre des Textes auf und können auch von den eingestreuten Foucault-Zitaten und der Bezugnahme auf die Dialektik der Aufklärung nicht verdeckt werden. So schreiben Çetin & Wolter, das Ergebnis der Kopftuchdebatte sei gewesen, dass „Frauen, die ‘islamisch korrekt’ bekleidet bleiben wollen“, der schlechte Ausweg geblieben sei, auf soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu verzichten (S. 18). Allein: Über drei Viertel der in Deutschland lebenden Musliminnen tragen überhaupt kein Kopftuch. Die Formulierung, das Kopftuch sei notwendig, um „islamisch korrekt“ gekleidet zu sein, ist insofern falsch. Die Autoren übernehmen die Auffassung bestimmter Strömungen im Islam, mit einem ganz bestimmten reaktionären Männer- und Frauenbild und behaupten diese als allgemein verbindlich. So betätigen sich Çetin & Wolter letztlich als Türöffner für rechte religiöse Positionen, sagen Antirassismus und meinen Kulturrelativismus, stellen sich – gegen individuelle Abweichung – auf die Seite der Orthodoxie.
Die gute Nachricht zum Schluss: Auf Seite 93 wird in einer verlegerischen Notiz angekündigt, dass der Programmrat „Veröffentlichungen zu Religion und Autorität, die die spezifischen historischen Bedingungen in Deutschland reflektieren und in geeigneter Weise die in allen Religionen bestehende Zurichtung von Menschen, respektive Kindern, problematisieren und kritisieren“, beabsichtigt. Dem sehe ich hoffnungsvoll entgegen.
Gunnar Schedel
Zülfukar Çetin / Heinz-Jürgen Voß / Salih Alexander Wolter: Interventionen gegen die deutsche „Beschneidungsdebatte“. Münster: edition assemblage 2012. 92 Seiten, kartoniert, Euro 9,80, ISBN 978-3-942885-42-3
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.