„Benedikt war kein schwacher Papst“

hpd: Die Bewegung „Kirche von unten“ hofft nun auf einen neuen Papst, der die Rolle der Frau in der Kirche aufwertet, sich für die Gleichberechtigung homosexueller Menschen ausspricht und stärker auf die Protestanten zugeht. Sind diese Hoffnungen begründet?

Schmidt-Salomon: Nein, sie sind etwa so realistisch wie der schiitische Glaube, dass der „verborgene 12. Iman“ in Bälde aus einem vertrockneten Brunnen klettern und die Weltherrschaft übernehmen wird. Das Kardinalskollegium ist mit Männern bestückt, die durch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in ihr Amt kamen. Sie werden die Tradition dieser beiden Päpste fortsetzen. Denkbar ist allenfalls, dass ein Nichteuropäer zum Papst gewählt wird, was aber an der dogmatischen Ausrichtung der Kirche nichts ändern wird. Warum auch? Man muss sich hier vor Augen führen, dass die katholische Kirche keinerlei Vorteile davon hätte, wenn sie sich nun ausgerechnet der langsam dahinsiechenden lutherisch-reformierten Kirche annähern würde. Viel zukunftsfähiger ist es, auf die rasant wachsende evangelikale Bewegung zuzugehen. Und genau das hat Benedikt XVI. in seinem Pontifikat in die Wege geleitet.

hpd: Inwiefern?

Schmidt-Salomon: Nun, der Papst hat erstens die „absolute Glaubwürdigkeit der Bibel“ hervorgehoben und dabei der in evangelikalen Kreisen verhassten historisch-kritischen Theologie ebenso eine Absage erteilt wie der in diesen Kreisen nicht minder verhassten Evolutionstheorie. Er hat zweitens die „Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen“ in schillerndsten Farben ausgemalt und – beinahe im Stile eines evangelikalen Predigers – sämtliche Übel der Welt auf die „Todsünde“ der Gottlosigkeit zurückgeführt. Er hat drittens die „Bedeutung der christlichen Gemeinde“ herausgestellt und viertens die Notwendigkeit der „christlichen Mission“ betont, damit die Welt vom „Bösen“ errettet werde. Dies sind, wie man bei dem evangelikalen Theologen Stephan Holthaus nachlesen kann, die vier zentralen Merkmale des evangelikalen Glaubens – und Benedikt XVI. hat sie geradezu mustergültig bedient. Kein Wunder, dass seine Jesus-Bücher in evangelikalen Kreisen so gut ankommen…

hpd: Aber Joseph Ratzinger ist doch kein Evangelikaler!

Schmidt-Salomon: Nein, natürlich nicht! Dennoch war es kein Zufall, dass Benedikt XVI. so häufig Positionen bezog, die gerade bei evangelikalen Christen auf Zustimmung stießen. Ihm war klar, dass nur so die massenhafte Abwanderung von Katholiken ins evangelikale Lager gestoppt werden kann.

hpd: In Europa kam das aber nicht sonderlich gut an.

Schmidt-Salomon: Nein, aber der Papst musste Prioritäten setzen. Anfangs hat er sicherlich noch auf eine Neuevangelisierung Europas gehofft. Doch wahrscheinlich erkannte er recht bald, dass der Kampf um die ideologische Vorherrschaft in Westeuropa momentan nicht zu gewinnen ist. Hier kann es der Kirche in absehbarer Zeit eigentlich nur darum gehen, die alten Besitzstände und Privilegien zu wahren. Außerhalb Europas aber existieren noch expandierende Glaubensmärkte, die es aktiv zu erobern gilt. Benedikt XVI. hat seine Kirche für diesen Feldzug gerüstet. Darin liegt sein Vermächtnis: Er hat die katholische Kirche für den globalen Wettbewerb mit dem evangelikalen Spektrum fit gemacht.

hpd: Was bedeutet das für die Zukunft?

Schmidt-Salomon: Nun, es bedeutet, dass die „Kriminalgeschichte des Christentums“ in die nächste Runde gehen wird. Allerdings wird das einstige Zentrum des frommen Streits um Macht und Ressourcen – das „alte Europa“, das nach Jahrhunderten blutigster Glaubenskriege klüger, sprich: säkularer, geworden ist – in den religiösen Auseinandersetzungen der Zukunft wohl nur noch eine untergeordnete Rolle spielen…

 

hpd: Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch.

Die um ein ca. 50seitiges Nachwort von Michael Schmidt-Salomon ergänzte Neuausgabe von Karlheinz Deschners Monumentalwerk „Politik der Päpste“ (der inoffizielle 11. Band der „Kriminalgeschichte des Christentums“) erscheint Ende März im Alibri Verlag. Der 1.100 Seiten starke Band wird im Buchhandel 59 Euro kosten, kann jedoch zum günstigeren Subskriptionspreis von 49 Euro direkt beim Verlag bestellt werden.