BERLIN (hpd) Der sechste Band der „Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin“ ist erschienen. Er bringt Beiträge von elf Autorinnen und Autoren. Die Themen bewegen sich im Spannungsfeld von politischem Laizismus und positiver wie negativer Gleichbehandlung von Humanismus und Religionen in Deutschland.
Die Beiträge fragen nach den Dimensionen deutscher Erinnerungskultur, behandeln Staatsrituale und mögliche Strategien von Verbänden angesichts der Zunahme der Zahl konfessionsfreier Menschen. Herausgeber ist erneut der Kulturwissenschaftler Horst Groschopp, der selbst zwei Texte eingerückt hat. hpd sprach mit ihm über die Themen und Texte.
hpd: Der Titel verspricht Einblicke in aktuelle Debatten über säkularen Humanismus...
Horst Groschopp: Danke für das Stichwort. Zum Humanismus ja, zum „säkularen“ eher nein, jedenfalls nicht in der Variante, wie sie gegenwärtig – auch im Humanistischen Verband – diskutiert wird. Da gibt es einigen Mangel an konkretem Wissen.
hpd: Deshalb macht die Akademie ja wohl ihre Schriftenreihe. Was gibt es zu dem Thema im Sammelband?
Horst Groschopp: Es findet sich im Buch ein Text des Religionswissenschaftlers Horst Junginger, gewiss kein Kirchenmann, der sich der Entstehung dieses Begriffs widmet, sehr kritische Anmerkungen dazu macht und die Konzeptgeschichte wie die Methode, „säkularen Humanismus“ zu bestimmen, in die Nähe geoffenbarter Positionen und theologischer Stile rückt, weshalb der Artikel auch „Religiöser Humanismus“ heißt. Dass zudem das deutsche „säkular“ nicht identisch ist mit dem englischen Wort, hilft hier nicht weiter. Das alles mag die Leserschaft selbst beurteilen. Ich für meinen Teil habe vor einiger Zeit dazu einige Hinweise gegeben (vor allem S. 68 f.).
Was das öffentliche Ansehen dieses amerikanischen, stark antireligiösen Begriffs betrifft, findet sich ein schöner Hinweis in dem Woody Allen-Film „Whatever works – Liebe sich wer kann“ aus dem Jahr 2009. Das ist die Geschichte des mehr oder weniger genialen, aber atheistischen Physikprofessors Boris Yellnikoff, der im Verlauf des Film gefragt wird, ob er zu den säkularen Humanisten gehört und deshalb immer Pentobarbital in der Hosentasche mit sich führt.
hpd: Was ist der rote Faden im vorliegenden Band der „Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin“?
Horst Groschopp: Das Verbindende hat Thomas Hummitzsch in seinem Vorwort „Der Scheideweg des Laizismus – Die säkulare Szene zwischen positiver und negativer Gleichbehandlung“ fein herausgearbeitet und zugespitzt. Säkularität bezieht sich demnach auf den neutralen Staat als Tatsache oder Ziel. In diesem Staat wirken dabei auf ihn verschiedene gesellschaftliche, auch religiös bzw. weltanschaulich orientierte Akteure ein, darunter wieder solche, die sich als „säkulare Szene“ verstehen und ebenso diverse wie divergierende Konzepte haben, teils zu den grundsätzlichen Fragen, teils zu den Feldern, in denen sie sich bewegen, die sie verändern möchten. Andere gesellschaftliche Kräfte wirken in diesem sozialen Raum ebenfalls, darunter jene, die meinen, es sei genug säkularisiert, oder auch solche, die wollen, dass es nun im Wesentlichen so bleibt. Hier ist auf den profunden Beitrag des renommierten Juristen Jürgen Hartmann zum deutschen „Staatszeremoniell“ zu verweisen.
hpd: Die Frage der positiven oder negativen Gleichbehandlung von Weltanschauungsgemeinschaften wird in mehreren Aufsätzen angesprochen. Was liefert der Band hierzu an neuen Perspektiven?
Horst Groschopp: Die beiden in der „säkularen Szene“ wesentlichen Ansätze werden – ich verweise auf den hier sehr ausführlichen Ehren-Sammelband für Horst Herrmann („Lieber einen Knick in der Biographie...“) und erneut auf das engagierte Vorwort – kenntlicher. Auch wenn immer wieder verdienstvoll und aufwändig versucht wird, beide humanistischen Konzepte unter ein organisatorisches Dach zu bringen, bei allen Überschneidungen, bei aller gegenseitigen Zuneigung – sie passen politisch nicht zusammen. Ich spitze es in meinen Worten einmal so zu: Das „konfessionelle“ Konzept der Gleichbehandlung mit den Religionsgesellschaften und das „laizistische“ der Trennung von Staat und Kirche haben viele Konflikte miteinander, besonders dann, wenn die Vertretungen des letzteren Programms noch zusätzlich traditionell freidenkerisch oder neuatheistisch auftreten und Religion gleich mit abschaffen wollen.
hpd: Was gibt es dazu im Sammelband?
Horst Groschopp: In dem rechtswissenschaftlichen Beitrag von Thomas Heinrichs „So wenig wie möglich und so viel wie nötig – Überlegungen zum Verhältnis von Religion / Weltanschauung und Politik“ sehe ich einen Versuch, das Machbare wie das Verbindende beider „Richtungen“ zu formulieren – wohl wissend, dass der HVD „humanistische Beratung von Soldaten“ anstrebt, was Heinrichs grundsätzlich verneint. Das Beispiel zeigt doch aber zugleich, dass heute soziale bzw. pazifistische Fragen nicht mehr weltanschaulich oder religiös sind. Gleiche Antworten finden sich in beiden „Lagern“, nur mit anderen Begründungen. Beim Tierschutz ist das ähnlich, auch in der Staat-Kirche-Trennung, wie die Humanistische Union zeigt.
hpd: Wie bewerten die Autorinnen und Autoren, dass es hier zwei Strategien gibt? Sehen sie dies als legitimen Ausdruck der Vielfalt der säkularen Szene oder als Schwäche mit politischen Folgen?
Horst Groschopp: Vielfalt oder Schwäche? Beides. Aber diese Frage ist doch schon eine „innere“ Sicht, wie auch der Band vorführt. Eine Gruppe Autoren kennt diesen Unterschied gar nicht, mehr noch, er interessiert sie nicht in ihrer wissenschaftlichen oder kulturellen Arbeit oder gar in ihrer Lebenswelt. Dieser Blick entspricht demjenigen, den wohl eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung darauf hat: keinen.
Zahlreiche Referenten, wie in den vergangenen Jahren und Bänden, wurden erst durch die Tagungen der Akademie auf unsere Fragen aufmerksam. Hierzu würde ich Jürgen Hartmann, Jörg Rüpke („Überlegungen zur öffentlichen Festkultur aus ritualtheoretischer Perspektive“), Heinz-Bernhard Wohlfarth („Politischer Humanismus und universelle Veränderungspflicht“) und Insa Eschebach („Religiöse und nicht-religiöse Sprachen des Gedenkens – Totenehrung in Ravensbrück“) rechnen.
hpd: Und lassen sich die anderen auch irgendwie „rubrizieren“?
Horst Groschopp: Ich versuche es einmal in der Hoffnung, dieses „Eintüten“ wird mir nicht übel genommen. Eine zweite Gruppe behandelt vorrangige Themen dieser Szene, würde sich aber darin nicht ausdrücklich verorten: wie schon eingangs erwähnt Horst Junginger („Religiöser Humanismus“) und Dieter Deiseroth („In ‘Verantwortung vor Gott und den Menschen’. Aktuelle verfassungsrechtliche Probleme der ‘Nominatio Dei’“).
Eine dritte Gruppe versucht aus teilnehmender Beobachtung heraus begründete Ratschläge. Hier, wie immer sehr streitbar, Ingrid Matthäus-Maier („Laizismus in Deutschland? Eine juristische und politische Betrachtung“), die es dem Herausgeber tüchtig gibt, und Joachim Kahl („Ein kritischer Blick auf die öffentliche Trauer- und Gedenkkultur in Deutschland“), der in seine „wahre Ökumene“ unkonventionell die „Säkularen“ einbezieht.
Zu dieser dritten Gruppe würde auch ich mich rechnen mit meinen Versuchen, „Laizismus“ kulturell zu fassen mit dem Ergebnis, dass der Begriff hierzulande nicht nötig ist, und dies dann sozusagen auf „Geschichtskultur“ anwendend: Ohne Humanismus in den Kulturen des Erinnerns und Gedenkens hat dieser keine Perspektive.