Notizen aus Ungarn (2)

UNGARN. (hpd/SzF) Bemerkenswertes aus säkularer Sicht von Mitte März bis Mitte April 2013. Es geht um sinkende Religiosität, rollendes Geld, Aufruf zum Denunzieren, eigenartige Ehrungen, recycelte Werbetafeln, einen liebevollen Malteser, Spitzenleistungen per Dekret, weitere Milliarden und religiöse Erziehung.

Weniger religiös als jemals zuvor
Daten zur Religionszugehörigkeit des Zensus 2011

Das Ungarische Zentrale Statistische Amt hat die detaillierten Zahlen der im Oktober 2011 durchgeführten Volkszählung veröffentlicht, die einen enormen Rückgang der Zahl der Menschen zeigen, die sich mit traditionellen Kirchen verbinden.

Die Zahl der Personen mit „anderem“ Bekenntnis erhöht sich um 70 Prozent, während die Zahl der Personen, die angeben, dass sie zu keiner Konfession gehören, sich innerhalb von zehn Jahren um ein Fünftel erhöht hat. Diese letztere Zahl beinhaltet auch die Atheisten.

Während die Volkszählung von 2001 keine separaten Daten speziell für Atheisten erbracht hat, ist das bei der Volkszählung 2011 der Fall. Absicht dabei ist, religiöse Menschen / Gläubige ohne Zugehörigkeit in die Rubrik „keine Verbindung“ zu setzen und die Atheisten getrennt zu zählen. Doch streng genommen ist „Atheist“ nicht die richtige Antwort auf die gestellte Frage, besonders wenn man bedenkt, dass es keine Atheistengemeinschaft im Land gibt.(„Agnostiker“ war keine mögliche Antwort). Die genaue Frage lautete: „Was für einer Religionsgemeinschaft, Konfession fühlen Sie sich zugehörig?“ („Melyik vallási közösséghez, felekezethez Erzi tartozónak Magat?“), das heißt, die Daten beziehen sich auf die konfessionelle Zugehörigkeit zu Gemeinschaften, nicht aber auf den Glauben selber. Die „sprachlich natürliche“ Antwort für Atheisten, Agnostiker, Nicht-Gläubige und Nicht-konfessionell-Gläubige ist „keine Verbindung“.

Wenn das Amt für Statistik wirklich Daten über den Glauben haben will, sollten sie das nächste Mal Fragen über den Glauben selbst stellen (oder Glaube in allen Antworten einschließen, wie „Gläubig mit Bekenntnis X angegliedert“, „Nicht-Gläubig, zu Bekenntnis X angegliedert“, „Gläubig, ohne Zugehörigkeit“ und „Nicht-Gläubig ohne Zugehörigkeit“), statt der Einführung einer einzigen Antwort zum Glauben über die „Bekenntnis“-Frage.

So wird es interessant sein, zu sehen, wie die Daten von religiösen Politikern interpretiert werden - meine Vermutung ist, dass sie die „keine Verbindung“-Gruppe im Rahmen der „Gläubigen“ über einen Kamm scheren (wie es ein Meinungsforschungsinstitut vor kurzem in Deutschland gemacht hat).

Aber betrachten wir einmal die Tabelle:

Beachten Sie, dass der Rückgang der Personen, die als Katholiken erfasst sind, in den letzten zehn Jahren fast so groß ist, wie in den 62 Jahren von 1949 bis 2001, die 40 Jahre Kommunismus enthalten, in denen der Kirchgang (in unterschiedlichem Ausmaß) nicht gefördert wurde.

Es sollte auch hinzugefügt werden, dass die Kirchen die Menschen dazu aufriefen, sich bei der Volkszählung als ihre Mitglieder zu identifizieren und ihre aktiven Mitglieder veranlasste, sich als Zensus-Interviewer zu bewerben und Daten sammeln zu gehen.

Die Daten können hier herunter geladen werden. (1.1.7 vallas ist derjenige über Religionszugehörigkeit). Alle detaillierten Daten für das Jahr 2011 finden Sie hier.

Das Geld rollt

Laut einem Dekret der Regierung gibt die Fidesz-KDNP Regierung weitere 1,9 Milliarden Forint (6,3 Millionen Euro, obwohl - seit der Ministerpräsident seinen Finanzminister, Herrn György Matolcsy zum Präsidenten der Nationalbank ernannt hat, und durch weitere Änderungen der Verfassung - der ungarische Forint schnell an Wert verliert) aus der Haushaltsreserve an die reformierte Kirche, um die Infrastruktur der kirchlichen Schulen in Debrecen zu verbessern. (Während gegenwärtig die staatlichen Schulen Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von genug Kreide haben.) Sie denken in langen Zeiträumen: Für das Jahr 2014 sollen 3 Mrd., für 2015 immer noch 2,7 Mrd. und für das Jahr 2016 2,4 Mrd. Forint für den gleichen Zweck zur Verfügung gestellt werden. (Quelle)

Aufruf zum Denunzieren

Der Koalitionspartner der Fidesz-Regierung, die christlich-demokratische Partei KNDP (die von etwa einem Prozent der Wähler unterstützt wird), brachte auf ihrer Webseite ihr Bedauern zum Ausdruck, dass anlässlich der Wahl des neuen Hauptes der katholischen Kirche viele Kommentare im Internet erschienen sind, die respektlos und beleidigend seien. Es seien Kommentare, die sich über religiöse Überzeugungen lustig machen und erniedrigend, antihuman seien und einen Hass gegenüber Christen zeigen. Nach ihrer Ansicht gab es unter den Blogger einen Wettbewerb, die Katholiken und den Heiligen Vater zu verunglimpfen und zu verspotten. Was ihrer Meinung nach zeigt, dass die ungarische Presse totale Freiheit genieße.

Sie ermutigen ihre Leser, Beschwerden gegen Websites und Blogger auf Grundlage des Grundgesetzes (früher als Verfassung bezeichnet) zu schreiben, was letztlich bedeutet, dass es keine Meinungsfreiheit geben dürfe, um die Menschenwürde der ungarischen und anderer Nationen sowie nationaler, ethnischer und religiöser Gemeinschaften zu verletzen.

Haben Sie weitere Fragen über die Haltung der KDNP zur Meinungsfreiheit? (Quelle)

Ehrungen

Ungarn hat die Revolution von 1848/49 Mitte März gefeiert und wie immer ist dies die Gelegenheit, um Medaillen zu verteilen. Werfen wir einen Blick auf diejenigen, die eine bekommen haben.

Natürlich gibt es wieder ein gutes Dutzend Mitarbeiter aus der Kirche, Pfarrer und administrative Arbeitnehmer bis hin zu nationalen Köpfen der katholischen Klöster, die verschiedene Kreuze des ungarischen Verdienstordens erhalten haben.

Es gibt eine ganze Reihe von weiteren interessanten Gewinnern. Zunächst der Gitarrist der rechtsextremen Band Kárpátia, dann Herr Tamás Fricz, der Organisator des "Friedensmarsches" und seine NGO, das bürgerliche Unity Forum (Civil Összefogás Fórum, COF), welche für die Regierung Demonstrationen veranstalteten, von polnischen Konservativen verstärkt, die dafür mit einem Sonderzug aus Polen geholt wurden; Herr Vilmos Lázár, Besitzer des Lebensmittel-Franchiseunternehmens CBA und lautstarker Befürworter der Regierung; Frau Tamás Adamik (Mädchenname Anna Jászó), die Fidesz gegen die ehemalige Regierung unterstützt und deren Mann, der Altphilologe Tamás Adamik, der für Kráter Műhely arbeitet, also für den Verlag, der die Bücher des Altnazis Albert Wass verlegt; schließlich Herr Imre Téglásy. Letzterer ist der Präsident der berüchtigten Alfa-Vereinigung, die 1998 bekannt wurde, als es um rechtliche Strategien ging, ein 13-jähriges Mädchen zu zwingen, ihre ungewollte Schwangerschaft auszutragen. (Der örtliche Pfarrer, der dieses Manöver unterstützt hatte, wurde dafür von Papst Johannes Paul II mit einer Medaille ausgezeichnet.)

Ungarn kann sich rühmen, auch mit einigen echten Spinner-Preisträgern aufzuwarten: Herr Ajándok Eőry, ein Arzt der für seine "alternativen" Ansätze wie Chi-Massage bekannt ist. Dieser hatte auch erklärt, dass er in der Lage sei, die Wahrscheinlichkeit von bestimmten Krankheiten voraus zu sagen, indem er unter Verwendung des Geburtsdatums des Patienten ein Pentagramm benutzt. Er bietet medizinische Dienstleistungen für die „Ungarische Nächstenliebe“ des Souveränen Malteser-Ritterordens an. Dessen Kopf, der katholische Priester Imre Kozma hatte erklärt, dass Afrikaner noch nicht befähigt seien, Papst zu werden. Schließlich haben wir noch Herrn Kornél Bakay, der die Ungarische Akademie der Wissenschaften verließ, um einen „Lehrstuhl“ der nie anerkannten Geisteswissenschaftlichen Vereinigung von Miskolc (Miskolci Bölcsész Egyesület) anzunehmen. Diese wurde von einem anderen Spinner gegründet, dem verstorbenen Herrn Ferenc Badinyi-Jos. Er bewarb sich auch zweimal für ein Abgeordnetenmandat für die rechtsextreme MIÉP des verstorbenen Herrn István Csurka und hielt eine Rede bei der Beerdigung des rechtsextremen Bischofs der reformierten Kirche, Herr Loránt Hegedűs. (Dessen Schwiegertochter, Frau Loránt Hegedűs, ist Mitglied des Parlaments für die weit-rechtsaußen stehende Jobbik-Bewegung). Seine Ansichten werden wie folgt zusammengefasst: Er zweifelt Darwins Evolutionstheorie  an und sieht die ungarische Runenschrift in den Höhlenmalereien als die älteste an, die er mit der sumerischen Schrift verbindet. Er leugnet die Existenz der alten jüdischen Herrschaft von David und Salomon und verknüpft die Ungarn mit den Hunnen und Skythen. Sogar die keltische, etruskische und griechische Kultur stamme seiner Meinung nach aus der der Magyaren. Er schreibt den mittelalterlichen Sklavenhandel den Juden zu, und natürlich war, seiner Ansicht nach, Jesus kein Jude, sondern ein Parther.

Das bringt uns zum letzten Punkt: Der Journalist Herr Ferenc Szaniszló erhielt den Michael Tancsics Preis für Qualitätsjournalismus vom Minister (und Pastor der reformierten Kirche) Zoltán Balog. In den letzten Jahren hat Herr Szaniszló recht innovative Aussagen wie die folgenden gemacht: Zigeuner (Roma) sind Primaten ("emberszabású majom"); sobald seine Öl-Vorkommen erschöpft sind, wird Israel Ungarn mit Juden bevölkern; der österreichische rechtsextreme Politiker Jörg Haider wurde wegen seines Erfolges von einer Drohne getötet und: Der Unfall in Kolontár (wo ein Deponiebecken einer Aluminiumhütte brach und mehrere Dörfer überschwemmte) war kein Unfall aufgrund natürlicher geologischer Prozesse (die hätten vorhersehbar sein können), sondern ein durch den IWF bei der NATO bestelltes Bombardement, um den Damm des Stausees zu zerstören, in dem ätzender und schwermetallhaltiger Schlamm gelagert wurde.

Nachdem Journalisten und der Ungarische Journalistenverband (MÚOSZ) protestierten und eine Erklärung verlangten, sagte Herr Balog, dass er traurig wäre und dass er nicht wusste, wem er die Medaille vergab. (Mehrere Journalisten, die früher geehrt wurden, haben beschlossen, ihre Medaillen aus Protest zurück zu geben.) Was vielleicht noch schlimmer ist, wenn es so ist: Kann eine Person, die nicht klug genug ist, ihre Mitarbeiter mit einer schnellen Google-Suche zu beauftragen, überhaupt als Minister tätig sein? (Quelle 1), (Quelle 2), (Quelle 3), (Quelle 4) und (Quelle 5).

Recycelte Werbetafeln

Die Regierung hat ihre Anti-Abtreibungs-Anzeigen aus dem vergangenen Jahr recycelt. Die Anzeigen stellen (wie in solchen Fällen üblich) einen bereits gut entwickelten Fötus dar und fordern auf: "Lass mich leben und gebe mich zur Adoption frei". Die Werbetafeln wurden ursprünglich mit EU-Mitteln produziert, um die Gleichstellung der Geschlechter zu verbessern. Die EU-Kommissarin Viviane Reding protestierte dagegen, so dass die Regierung beschloss, die Kosten (110 Millionen Forint, also ca. 38.000 Euro) aus anderen Mitteln abzudecken.

Nun hat die Regierung die Anzeigen für 25 Millionen Forint an die Ágota Stiftung (Ágota Alapítvány) übergeben, deren Gründer, Herr János Kothencz, von den Christdemokraten (KDNP) und dem Parlamentsabgeordneten Péter Harrach unterstützt worden war. Der wiederum hatte 2001/2002 einen Job in der Stadtverwaltung der Stadt Szeged und hatte sich im Namen der Fidesz für einen Sitz im Gemeinderat beworben. (Quelle)

Religiöse Erziehung

Kleinere Religionsgemeinschaften befürchten, dass die religiöse Erziehung, die stufenweise ab September 2013 an staatlichen Schulen obligatorisch wird, in der Praxis katholische Indoktrination bedeutet. Obwohl jeder der dreißig irgendwie anerkannten Religions gemeinschaften das Recht auf Religionsunterricht an Schulen hat, wird in der Praxis ein Minimum von sieben Kindern pro Klasse erforderlich sein.

In einem Vortrag im öffentlichen Fernsehen hat Herr László Donáth, ein lutherischer Pfarrer, gesagt, dass kleinere Religionsgemeinschaften wie seine, nicht in der Lage sein werden, genügend Kinder zusammen zu bekommen, so dass Eltern ihre Kinder dann in den katholischen Religionsunterricht schicken werden. Der Staatssekretär Bence Rétvári, selbst ein Katholik, Mitglied der KDNP versicherte ihm, dass an keine Missionierung gedacht sei. Der liberale Politiker Gábor Horn behauptet, dass der Staat nichts mit der Lehre religiöser Werte zu tun habe, da es keine Einigkeit darüber gibt, welche gelehrt werden sollen. (Quelle)

Der Liebende Malteser

Das Oberhaupt des katholischen Malteser Ordens „Ungarische Nächstenliebe“ (Máltai Szeretetszolgálat), der eigentlich angesehene Priester Imre Kozma, hat öffentlich - im Hinblick auf die Papstwahl - erklärt, dass die Wahl eines Afrikaners auszuschließen sei, denn „sie sind noch nicht bereit und in der Lage, sich mit den Problemen der weißen Bevölkerung zu befassen.“ (Quelle)

Noch ein paar Milliarden...

Nicht nur viele Privatpersonen nahmen billige Kredite in Euro oder Schweizer Franken auf, sondern auch die Kirchen. Zu der Zeit waren Kredite in Fremdwährungen viel billiger als Kredite in Forint, aber mit der Finanzkrise sank der Wert des Forint und heute kostet 1 Euro 300 Forint, im Vergleich zu 250 vor der Krise.

Viele Menschen sind nicht in der Lage, ihre Schulden zu bedienen, teils wegen der erhöhten Hypotheken, teils, weil sie arbeitslos wurden. Die obere Mittelklasse war in der Lage, sich selbst aus ihren Schulden zu einem günstigen Preis herauszukaufen (während ärmere Menschen nicht die Mittel dazu haben).

Aber auch die Kirchen sahen diese Kredite als eine gute Gelegenheit. Obwohl sie nicht eine einzige Wohnung verlieren würden, hat der Fidesz Abgeordnete János Lázár, ein enger Mitarbeiter des Premierministers, vorgeschlagen, dass der Staat Fremdwährungsschulden der Kirche übernehmen solle. Was noch ein paar Milliarden mehr an Steuergeldern für die Kirchen bedeuten würde. (Quelle)

Spitzenleistung durch Dekret

Universitäten, die eine besonders hohe Anzahl von Kriterien erfüllen, erhalten zusätzliche staatliche Finanzierungen für ihre Spitzenleistungen. Wie auch andere ungarische konfessionelle Einrichtungen kann die Pázmány Péter Katholische Universität (PPKE) diese Kriterien aber nicht erfüllen.

In einem Anfall von Ökumene plant Pfarrer und Minister Herr Zoltán Balog, die Kriterien für Spitzenleistungen zu ändern, um sie an die katholische Universität anzupassen: Nach seinen Plänen müssen Universitäten entweder die Standards der hervorragenden Leistungen erfüllen  oder sie müssen auf der Grundlage internationaler Verträge eingerichtet worden sein. Das würde auf die PPKE zutreffen, die Teil des Konkordats mit dem Vatikan ist. Diese hatte den stellvertretenden Ministerpräsidenten Zsolt Semjén für ein Papier von fragwürdiger Qualität mit einem Doktorgrad ausgezeichnet, in einem Fach, für die sie zur Vergabe von akademischen Graden keine Zuständigkeit besitzt. (Quelle)
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Die Nachrichten wurden von Szekularis Figyelo auf der englischsprachigen Version seines ungarischem Blog “Säkulares Ungarn“   zusammengetragen und von ihm dem hpd zur Verfügung gestellt. (Übersetzung: Carsten Frerk/Elke Schäfer)

 

Notizen aus Ungarn (12.03.2013)