Werte der Aufklärung als Kulturform etablieren

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Prof. Dr. Gerhard Schurz / Fotos: Ricarda Hinz

DÜSSELDORF. (hpd/DA) Der Wissenschafts-Philosoph Prof. Dr. Gerhard Schurz hielt einen Gastvortrag im soziokulturellen Zentrum „zakk“. Über hundert Gäste nutzten die Gelegenheit, den Uniprofessor zum Thema: „Religion und Aufklärung aus evolutionärer Perspektive“ zu hören und mit ihm zu diskutieren.

Prof. Schurz stellte die zentrale Frage: "Warum halten die Menschen in der heutigen Zeit immer noch an ihren Religionen fest, obwohl die Wissenschaften die Kernthesen der Religionen längst widerlegt haben und obwohl die Ethik mit den überkommenen, religiösen Moralvorstellungen gebrochen hat?"

Die Antwort gab er uns aus seinem Forschungsgebiet der „verallgemeinerten Evolutionstheorie“ heraus. Es gibt zwei Ebenen der Evolution: die biologische Ebene der Gene und die kulturelle Ebene der Meme, also der erworbenen kulturellen Fähigkeiten und Ideen, die durch Nachahmung und Bildung tradiert werden.

Ob eine Idee, ein Mem erfolgreich reproduziert wird, hängt eben nicht von seinem Wahrheitsgehalt ab, sondern von seiner Nützlichkeit:Religion nützt, weil sie dem erwachsenen Verantwortungsträger das Gefühl der kindlichen Geborgenheit unter einer großen himmlischen Mutter oder einem großen himmlischen Vater (je nach Vorliebe) konserviert.

Religion entspringt auch dem generell im Menschen verwurzelten Wunsch und Drang zur Welterklärung. Herr Schurz nannte es den „Erklärungswahnsinn des Menschen“. Wobei der Wahrheitsgehalt der fantastischen Welt-Erklärungen offensichtlich keine Rolle spielt: Hauptsache irgendeine abstruse Erklärung wird an den Haaren herbeigezogen und besänftigt die Angst vor dem Unerklärlichen.

Homo sapiens projiziert munter seine zwischenmenschlichen Erfahrungen in das unerklärliche Dunkel der Natur. Und so, wie er seine Mitmenschen manipuliert indem er mit ihnen kommuniziert, so versucht er auch mit den Naturgewalten zu kommunizieren. Dafür muss er aber der Natur menschliche Eigenschaften zuschreiben, sonst ließe es sich schlecht mit ihr kommunizieren. Also müssen Geister und Götter her.

Placebo-Effekt der Religion und seine Risiken und Nebenwirkungen

Außerdem verfügt Religion über den sträflich vernachlässigten Placebo-Effekt: durch den religiösen Glauben treten beim Gläubigen gewünschte Effekte ein, oder es werden unerwünschte zurück gedrängt und die jeweilige Situationsverbesserung auf den Glauben zurückgeführt.

Von den Mitgliedern wird Glauben dadurch im persönlichen Leben als positiv wahrgenommen.

Also allein der Glaube an etwas zeigt die erwünschte, stärkende Wirkung, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt des Geglaubten. Der irrealen, positiven Illusion folgt das reale, positive Gefühl. Darum hat sich auch ein gewisses Maß an positiver Selbstüberschätzung bewährt, sowohl auf individueller, als auch auf kollektiver Ebene. So haben Gruppen mit religiösem Zusammenhalt einen Selektionsvorteil gegenüber Gruppen ohne diesen Klebstoff.

Dieser Placebo-Effekt liegt aber nun einmal jenseits der Aufkärungsrationalität.

Für die Aufklärung besteht der Weg zum Glück in der Erkenntnis der Wahrheit. Wenn die Erkenntnisse aber falsch sind und uns in die Irre führen, dann können wir damit auch nicht glücklich werden, war eine Kernthese der Aufklärung.

Darum bringen sich aufgeklärte und zweifelnde Menschen um die Früchte geglaubter Illusionen.

Das wäre gewiss bedauernswert, wenn diese Illusionen ausschließlich positive Wirkungen hätten. Leider liegen in Religionen eben auch erhebliche Risiken und Nebenwirkungen: neben dem Fundamentalismus nannte der Philosoph die ausgeprägte Feindschaft zwischen den einzelnen durch ihre Religion gestärkten Gruppen als Kehrseite der Medaille. Also neben dem bestehenden Denkverbot, der Unkorrigierbarkeit, Indoktrination und Intoleranz auch die erhöhte Gewaltbereitschaft und die Gefahr der Glaubenskriege.

Es gilt Aufklärung als Kulturform zu etablieren

Die Aufklärung, die immer auf der Suche nach dem besseren Argument ist und den Zweifel ausdrücklich fordert hat also den Vorteil, dass sie jeden Gedanken und jede Überlegung zulassen kann, diese aber auch ständig überprüft und auf diese Art permanent korrigierbar bleibt.

Prof. Schurz fasste es so zusammen: „Aufklärung bleibt als Gegengewicht zur menschlichen Disposition zur Religion eine fortwährende Aufgabe des Menschengeschlechts. Sie wird nie garantiert sein, sondern muss immer aufrechterhalten werden durch die Institutionen von Erziehung, Bildung und Wissenschaft.“ Es gelte Aufklärung endlich als eigene Kultur und kulturelles Erbe zu begreifen und zu etablieren.

Wenn christliche Publikationen immerzu die Re-Vitalisierung des christlichen Erbes und der Rückbesinnung auf „christliche Werte“ propagieren, dann solle man dem die Werte der Aufklärung entgegenhalten. Herr Schurz betonte: „Ich finde es wahnsinnig wichtig, Aufklärung als Kulturform zu etablieren! Es muss uns gelingen die Werte der Aufklärung dem Common Sense klar zu machen.“

Er machte aber auch deutlich, dass dies keine leichte Aufgabe sei und wies darauf hin, dass Religionen auch in der Zukunft global gesehen weiter auf dem Vormarsch sind und begründete dies mit den deutlich höheren Geburtenraten in religiösen Gruppen.

Eine Durchbrechung dieser mathematischen Prognose gelingt nur dann, wenn Aufklärung es schafft, die Mitglieder dieser Gruppen zu erreichen und Einstellungsänderungen zu bewirken. Der einzig richtige Weg bestehe darin, in der Zukunft die domestizierten Religionen im Rahmen eines kleinsten gemeinsamen Nenners an einen Tisch zu bringen um so langfristig zu einer allgemein anerkannten "Weltordnung" zu kommen.

Die anschließende Diskussion wurde rege mit zahlreichen Beiträgen des sachkundigen Publikums geführt. Dabei kam mehrfach die Idee auf, den der Religion zugesprochenen positiven Placeboeffekt durchaus auch auf religionsfreie Menschen übertragen zu können, da eben gerade das bewusste aufgeklärte Nichtglauben Kräfte freisetzt, Sinn stiftet und sich auf das persönliche Leben positiv auswirkt.

Dirk Imhof und Ricarda Hinz
vom DA! (Düsseldorfer Aufklärungsdienst)