Bezeichnung Studium erscheint übertrieben
Nebenbei stammt sie selbst nicht einmal aus Indien. Sie wurde in Europa geboren und ging erst als junge Erwachsene nach Indien. Dass ihr "Studium" mehrere Jahre gedauert hat, sagt auch wenig aus. Die Homepage des "Medical College" an dem sie war, erweckt nicht den Eindruck, als sei die Einrichtung nur annähernd mit einer europäischen Medizinischen Universität vergleichbar. Ganz stolz meldet man dort etwa, die Bibliothek umfasse 20.000 Bücher, traditionelle Texte inklusive. Das erscheint etwas mager für eine Universität. Auch das Uni"spital" mit 210 Betten, angeblich das größte Ayurveda-Spital Indiens, wirkt nicht wahnsinnig beeindruckend. Dass laut Homepage ein Tempel auf dem Gelände die "Heiligkeit des Campus" unterstreicht, sollte bei einem halbwegs skeptischen Betrachter ebenfalls Zweifel laut werden lassen, ob dort Wissenschaft im engeren Wortsinn betrieben wird.
Rückschlüsse auf den Stellenwert, den die Ayurveda-Ausbildung in Indien genießt, drängen sich auf. Vergleicht man das mit der Ausstattung medizinischer Unis im Land (oder den sonstigen akademischen Bildungsmöglichkeiten), wirkt das "Medical College" lächerlich.
Schlamperei im Tagungsprogramm
Auch beim TCM-Vortragenden erscheinen Zweifel gerechtfertigt. Der stammt übrigens auch nicht aus China sondern einem anderen asiatischen Land. Er arbeitet auch nicht in dem renommierten Schweizer Spital, das im Programm für die Fachtagung angegeben ist. Dieses Spital hat nicht einmal eine TCM-Abteilung.
Der gute Mann hat eine TCM-"Akademie" an einem anderen Krankenhaus. Wer für die Schlamperei am Tagungsprogramm verantwortlich ist, kann und soll an dieser Stelle nicht geklärt werden. Nur kann man mit Sicherheit davon ausgehen, dass so ein Fehler nicht dafür spricht, dass die wissenschaftliche Leitung sich kritisch mit den Vortragenden zur alternativen "Medizin" auseinandergesetzt hat.
Das Pseudo-Argument Tradition
In der Antwort des p.t. a.o. Univ-Prof. findet sich ein Argument, das in keiner Apologie der Pseudomedizin fehlen darf. Einige der Praktiken hätten eine ganz alte Tradition. Das stimmt erstens so nicht. Was bei uns als traditionelle "Heil"methode präsentiert und praktiziert wird, ist eine ethno- und sozialromantisierende Projektion mit dem Bild des "edlen Wilden" im Hintergrund. Post-68er-Eso-Kitsch.
Zweitens wäre das Argument einer jahrtausendealten "Heil"tradition an sich auch keines. Die westliche Medizin hat unsere Lebenserwartung verdoppelt im Vergleich zu Zeiten als traditionelle "Heil"methoden gebräuchlich waren. Mehr ist dazu nicht sagen. Ein Arzt, der sich halbwegs ernst nimmt, sollte das wissen.
Niemand würde Galen oder Paracelsus propagieren
Nebenbei würde vermutlich kein seriöser wissenschaftlicher Leitung einer medizinischen Fachtagung auf die Idee kommen, Vertreter der "Heil"methoden eines Galen oder Paracelsus Werbung für ihr Gedankengut machen zu lassen. Diese Methoden gelten als überholt bis gemeingefährlich. Bei exotischen Methoden ist das merkwürdigerweise kein Thema.
Alternativ"medizin" ist soziales Phänomen, kein medizinisches
Bleibt von den Argumenten, mit denen der werte außerordentliche Professor sein Programm verteidigt nur die Feststellung, die Alternativ"medizin" habe in der westlichen Gesellschaft einen gewissen Stellenwert erreicht. Das bestreitet niemand. Nur sagt das nichts aus. Auch der Tabakkonsum hat in der westlichen Welt einen gewissen Stellenwert. Das dürfte kaum einen wissenschaftlichen Leiter einer medizinischen Fachtagung verleiten, einen Vertreter eines Zigarettenherstellers als gleichberechtigten Vortragenden einzuladen.
Dass in Europa Millionen von Menschen an Alternativ"medizin" glauben, ist eine traurige Realität. Ebenso, dass Lobbyvereine Ausnahmeregelungen für pseudomedizinische Präparate auf EU-Ebene durchgesetzt haben und sich mit viel öffentlichem Druck ihren Hokus Pokus von den Krankenkassen bezahlen lassen wollen. Mit dieser Realität muss man sich auseinandersetzen. In diesem Punkt hat der werte Herr außerordentliche Professor Recht. Allein, was macht er?
Auseinandersetzung wird verhindert
Er verhindert nach Kräften, dass man sich mit dem sozialen Phänomen auseinandersetzt. Es gibt keine Vorträge, warum Menschen in Scharen unwissenschaftlichen Heilsversprechen nachlaufen. Es gibt nicht einmal Vorträge, wie verbreitet das Phänomen ist. Placebo-Effekt? Kein Thema. Kritische Analyse der Studien zur Alternativ"medizin"? Sucht man vergeblich am Programm. Dass der Lobbyismus der Alternativ-Konzerne thematisiert würde, erwartet man vergeblich. Nicht einmal eine Veranstaltung zu den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es.
Das einzige, was es gibt, ist der Auftritt mehrerer Vertreter diverser alternativ"medizinischer" Methoden. Sie dürfen gleichberechtigt mit seriösen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, mit erfolgreichen Ärztinnen und Ärzten, auf einer wissenschaftlichen Fachtagung referieren. Sie dürfen unwidersprochen Thesen verbreiten, die längst wissenschaftlich widerlegt sind. Das sieht das Programm so vor.
Wenn das nicht eine Gleichberechtigung der dubiosen Praktiken mit wissenschaftlicher Medizin suggeriert, was dann? Das ist keine Auseinandersetzung, das ist Werbung.
Programm erschwert wissenschaftliche Aufklärung
Das wäre vielleicht vernachlässigbar. Selbst an einer Fachtagung dieser Größenordnung nimmt nur ein sehr kleiner Anteil der Medizinerinnen und Mediziner des deutschsprachigen Raums teil. Ein paar hundert Jungärzte mehr verwirrt, das ist verkraftbar. Allein, das hat auch eine Außenwirkung.
Die auftretenden Alternativ"medizin"-Vertreter werden sich diesen gleichberechtigten Auftritt auf ihre Fahnen heften. Dass sie gleichberechtigte Referate auf einer wissenschaftlichen Fachtagung halten durften, werden sie als Bestätigung auslegen, dass ihre kruden Thesen wissenschaftlich anerkannt sind – ja, dass sie die Avantgarde der medizinischen Forschung seien. Das wird sich in der Szene herumsprechen und über kurz oder lang werden viele Homöopathen Kritikern diese Teilnahme um die Ohren werfen.
Das erschwert wissenschaftliche Aufklärungsaufarbeit. Vereine wie die Skeptiker haben schon mit dem Informationsmangel der heimischen Journalisten zu kämpfen, die sie den Hokus-Pokus-Medizinern so leicht auf den Leim gehen lässt. Und jetzt das. Das hat man wirklich gebraucht wie einen Kropf.
Christoph Baumgarten
[1] Der Mailverkehr sollte zunächst privat bleiben. Leider zeigt die Antwort in ihrer Unhöflichkeit und ihrem Unverständnis genau das Problem auf, das ich angesprochen hatte. Sie sei hier aus dokumentarischen und journalistischen Gründen veröffentlicht. Da ich mich im Vorfeld nicht als Journalist zu erkennen gegeben habe (ich hatte ursprünglich nicht vor, etwas dazu zu veröffentlichen), geschieht die Veröffentlichung anonymisiert. Das Gegenüber hätte mit Sicherheit anders geantwortet, hätte es gewusst, dass ich Journalist bin, obwohl ich hier nur als Privatperson tätig werden wollte.