Aufklärung und Solidarität bitter nötig

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Rote Schleife zur Solidarität

BERLIN. (hpd) Mit "Positiv zusammen leben!" ruft die diesjährige Kampagne zum Welt-Aids-Tag zu mehr Solidarität mit HIV-positiven Menschen auf. Das ist nach 30 Jahren Aids und trotz Aufklärung und guten Behandlungs­möglich­keiten immer noch dringend nötig.

Zur Solidarität mit Menschen mit HIV findet seit 1988 am 1. Dezember der Welt-Aids-Tag statt. An diesem ersten welt­weiten Tag zu einem Gesund­heits­thema steht also weniger die HIV-Prävention als die Aufklärung über die Situation der Infizierten im Mittel­punkt. Zu dieser lässt sich recht Wider­sprüch­liches fest­stellen.

Aufgrund guter Behandlungs­möglich­keiten hat ein Großteil der derzeit etwa 78.000 HIV-positiven Menschen in Deutschland eine annähernd normale Lebens­erwartung. Die Zahl der Todes­fälle durch HIV/Aids nimmt gegenüber der Anzahl der Neu­infektionen ab, wodurch es in den kommenden Jahren immer mehr Menschen geben wird, die mit HIV leben.

Sie arbeiten, führen Beziehungen, haben One-Night-Stands, zeugen bzw. gebären HIV-negative Kinder usw. So sieht die in den letzten Jahren nicht nur propa­gierte, sondern auch von vielen gelebte Normali­sierung aus. Der Begriff trifft jedoch auf zahl­reiche, meist bereits seit Längerem Infizierte oder Erkrankte in Früh­rente oder Grund­sicherung wenig zu. Sie leben nicht selten schon in jungen Jahren an der Armuts­grenze und sind nicht nur zur Kontrolle der Medikamente, sondern aufgrund viel­fältiger Gesund­heits­probleme regel­mäßige Arzt­besucher. Ungeachtet dieser Unter­schiede erfahren HIV-Infizierte oft Diskriminierungen.

Harte Fakten

Die Befragung "Positive Stimmen" ergab aussage­kräftige Daten zu Stig­mati­sierung, Dis­krimi­nierung und Aus­grenzung HIV-Positiver. Knapp 77 Prozent gaben an, Diskrimi­nierung durch Tratsch, Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen erlebt zu haben. Rund 20 Prozent wurde eine medizinische Behand­lung verweigert, was sich wiederum negativ auf die Bereit­schaft zu nötigen Arzt­besuchen auswirkte.

Immerhin 13 Prozent waren im letzten Jahr zumindest einmal gesell­schaftlich aus­geschlossen worden, sei es von Vereins­aktivitäten, Familien­feiern oder durch Freunde. Fast die Hälfte der sexuell aktiven Befragten wurde im letzten Jahr aufgrund der Infektion von potenziellen Partnerinnen oder Partnern zurück­gewiesen, immerhin 61 Prozent haben Angst davor.

Ihre Arbeit verloren mehr Infizierte durch Diskriminierung als aufgrund gesund­heitlicher Gründe. 29 Prozent der Befragten gehen auf der Arbeit offen mit ihrer Infektion um und 74 Prozent der Arbeitgeber reagieren darauf positiv – 26 Prozent mit Diskrimi­nierungen. Die Hälfte der Befragten engagiert sich im HIV-Bereich, von ihnen stellen 58 Prozent Leute zur Rede, die sie diskriminieren.

ungetestet = nicht therapiert

Den an den Folgen von Aids Verstorbenen wird in anderen Ländern am Aids Memorial Day Ende Mai gedacht. In Deutschland gedenkt man ihrer 1. Dezember gleich mit. Womit wir bei der weiteren schlechten Nachricht wären: Das Robert-Koch-Institut schätzt die Zahl der Todesfälle im Jahre 2012 alleine in Deutschland auf immerhin 550. Seit Beginn der Epidemie wird von 30.000 Todesfällen in Deutschland ausgegangen.

Wer die HIV-Medikamente mit ihren teils erheblichen Neben­wirkungen nicht nehmen möchte oder kann oder bei wem sie nicht mehr wirken, profitiert eindeutig weniger von deren potenziell lebens­verlängernden Wirkungen. Das gilt auch für sogenannte Late Presenter – also die schätzungsweise 820 Personen (2012), die erst durch Gesundheits­probleme von ihrer HIV-Infektion erfahren haben. Bei ihnen wirkt die HIV-Therapie nur noch entsprechend schlecht oder gar nicht mehr.

Von den 78.000 HIV-Infizierten, die Ende 2012 in Deutschland lebten, wissen geschätzte 14.000 nichts von ihrer Infektion. Das ist nicht nur für sie selbst im Hinblick auf vertane Therapie­möglichkeiten ein Problem. Diese Grauzone zeigt auch, dass es wenig Sinn macht, erst dann Safer Sex zu praktizieren, wenn eine Infektion bekannt ist.

Nach wie vor denken nämlich viele, ihr Gegenüber würde es ihnen schon erzählen oder gar ganz auf Sex verzichten, wenn er oder sie HIV-positiv wäre. Selbst wer nachfragt, sitzt häufig dem Irr­glauben auf, der oder die andere könnte ein Über­tragungs­risiko mit Sicherheit aus­schließen. Wer sich beim anderen ver­gewissern möchte, blendet außerdem aus, dass er oder sie ohne Safer Sex genauso gut selbst ein Risiko dar­stellen könnte, nur eben ohne es zu wissen.

it takes two to tango

Wer durch einen positiven HIV-Anti­körper­test (HIV-Test) von seiner Infektion weiß, handelt laut Statistik verant­wortungsvoller. Gleich­zeitig wird ihm oder ihr oft die volle Verantwortung für Safer Sex zuge­schoben. Selbst Negative und Unge­testete, die sich schon viel mit dem Thema auseinander­gesetzt haben, lassen sich auf diese Weise ihre eigene Verantwortung auch abnehmen, statt konsequent Safer Sex zu praktizieren oder die bekannten Risiken bewusst in Kauf zu nehmen.

"Jeder trägt Verantwortung", "es gehören immer zwei dazu" oder "geteilte Verantwortung" werden allzu häufig leere Wort­hülsen, wenn es um den berühmten Finger­zeig auf den qua Bluttest "Schuldigen" geht. Auch wenn keine HIV-Über­tragung statt­gefunden hat, fallen immer wieder Sex- und Ex-Partner aus allen Wolken, wenn der HIV-Status des oder der anderen sich als positiv heraus­stellt.

Erstatten sie Anzeige, wird vor Gericht versucht zu klären, wer das Kondom hätte einbringen können bzw. müssen. Richter finden immer wieder Begründungen, Haft­strafen für Positive auszu­sprechen, egal ob eine Infizierung statt­gefunden hat und auch wenn ganz und gar nicht aus Vorsatz gehandelt wurde. Diese Form der Kriminalisierung HIV-Positiver sieht zum Beispiel die Deutsche AIDS-Hilfe als ein Hindernis, sich testen zu lassen.

Neuinfektionen

Tatsache ist, dass sich in Deutschland jährlich circa 3.500 Menschen mit HIV infizieren. Rund 80 Prozent davon sind Männer, die sich im sexuellen Kontakt mit Männern infizieren. Circa 400 der 3.500 sind Frauen, die sich über hetero­sexuellen Sex oder intra­venösen Drogen­gebrauch (gebrauchte Spritzen) infizieren.

Die Zahlen sind seit einigen Jahren auf diesem recht hohen Niveau stabil. Im europäischen Vergleich steht Deutschland damit gut da, im welt­weiten sowieso.
Weltweit infizierten sich nämlich nach Schätzungen von UNAIDS täglich etwa 6.000 und somit jährlich 2,3 Millionen Menschen mit HIV (darunter 260.000 unter 15 Jahren).

Am stärksten betroffen ist Afrika südlich der Sahara mit 69 Prozent aller HIV-Infizierten und 71 Prozent aller Neu­infektionen weltweit. Festzu­stellen ist aber auch eine deutliche Zunahme der Neu­infektionen in Ost­europa und Zentral­asien.

Neben den gesellschaft­lichen Aus­wirkungen sind hier der Zugang zu medizinischer Ver­sorgung und den teuren HIV-Medikamenten die größten Probleme. Dank internationalem Therapie-Aktivismus, Patent­abkommen für billigere Medikamente und Hilfs­programmen erhalten zwar immer mehr Betroffene die lebens­wichtigen Medikamente, diese kommen aber immer noch in vielen Ländern nur einer kleinen Minder­heit zu. Zudem sind die Budgets für Prävention immer wieder in Gefahr, wie UNAIDS gerade wieder warnt.

Was tun?

An Aktionen zum Welt-Aids-Tag teil­nehmen, Rote Schleife tragen, Forderungen nach größeren offiziellen Hilfs­programmen unter­stützen, privat Geld spenden, einen selbst­verständ­lichen und - wo nötig solidarischen - Umgang mit HIV-Infizierten pflegen und Bewusst­sein für die eigene Verant­wortung im Infektions­geschehen, die Menschen­rechts­situation (potenziell) Betroffener in den ost­euro­päischen Nachbarländern aufmerksam verfolgen: Was bleibt in Deutschland sonst noch zu tun?

Aktuell könnte man sich zum Beispiel für die Kampagne "Saubere Spritzen für Gefangene" ein­setzen, indem man dazu beiträgt, dass bis zum Tag der Menschen­rechte am 10. Dezember möglichst viele Unter­schriften zusammen­kommen.
Die Situation in deutschen Haft­anstal­ten ist bezüglich Diskrimi­nierung und Gesund­heits­versorgung HIV-Infizierter sowieso in weiten Bereichen proble­matisch.

Hinzu kommt das Risiko, sich über bereits benutzte Spritzen mit HIV und Hepatitis zu infizieren. Dass bei einem nicht gerade geringen Anteil der rund 20.000 Menschen in Haft auch intra­venöser Drogen­gebrauch vor­kommt, ist kein Geheim­nis. Trotzdem haben in Deutschland nur 0,16 Prozent der Gefangenen Zugang zu sterilen Spritzen und Nadeln. "Das war nicht immer so: In den 90er Jahren gab es mehrere Spritzen­tausch­projekte in Deutschlands Haft­anstalten, sie waren erfolg­reich, aber fast alle wurden aus drogen­politischen Gründen ein­gestellt. Seitdem wird die Gesund­heit der Gefangenen aufs Spiel gesetzt, denn Drogen werden auch in Haft genommen", so die Kampagne.

Katholiken geben tödlichen "Ratschlag"

Ein anderes wichtiges Betätigungs­feld bieten die christlichen Präventions­verhinderungs­projekte. Auf inter­nationaler Ebene schaffen es religiöse Wort­führer nicht nur, die sexuelle Selbst­bestimmung und Schwanger­schafts­verhütung aus Hilfs­programmen zu streichen. Auch die ver­heerenden Folgen der Kondom­feindlichkeit für die HIV-Infektions­zahlen zum Beispiel in katho­lischen Ländern sind bekannt. Trotzdem gelingt den Katholiken gerade im Aids-Bereich immer noch regel­mäßig eine Einfluss­nahme darauf, dass Projekte keine offiziellen Gelder bekommen, die Kondome verteilen oder dazu aufklären. Und zwar zum Beispiel in den USA selbst und in deren inter­nationalen Projekt­hilfen!

So ruft die Caritas Inter­nationalis zum dies­jährigen Welt-Aids-Tag auch zum "unverminderten Kampf gegen Neu­infektionen und gegen die Diskrimi­nierung HIV-Infizierter" auf. Der Präsident des im Vatikan ange­siedelten Dach­verbands von 165 nationalen Caritas-Verbänden, Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, erklärt, was damit gemeint ist: Als Haupt­weg im Kampf gegen Aids nannte der Kardinal sexuelle Enthalt­samkeit und Treue. "Das Ziel 'Null neue HIV-Infektionen' kann erreicht werden durch verant­wort­liche Beziehungen und verant­wortliches Individual­verhalten, ein­schließ­lich der Beschränkung sexueller Kontakte auf eine dauer­hafte und wechsel­seitig treue Ehe zwischen einem Mann und einer Frau", erklärte Maradiaga (Quelle: KNA).

Corinna Gekeler