BERLIN. (hpd) Nach dieser Wahl ist das Europäische Parlament zersplitterter und hat einen stärkeren rechten Rand. Aber genaues Hinschauen zeigt den Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Kritikern der momentanen Europapolitik. Eine stärkere Unterstützung progressiver, aufgeklärter Kräfte kann ein sozialeres Europa stärken.
Jeder vierte Franzose wählte europafeindlich. Jede dritte Britin will raus aus der EU. In Österreich kommt die FPÖ auf gute 20 Prozent. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei ist stärkste Kraft. Da kommen sieben Prozent für die Alternative für Deutschland schon fast harmlos daher. Und in den Niederlanden wurde Gert Wilders sogar abserviert.
Der Dammbruch fand nur in Ländern Kerneuropas statt, die anders als Deutschland spürbar unter der Finanzkrise leiden. Ganz anders in den knallhart betroffenen Ländern Südeuropas, zum Beispiel in Griechenland. Hier wurde die neofaschistische Morgenröte zwar drittgrößte Kraft, aber mit noch nicht einmal zehn Prozent. Eindeutiger Gewinner ist die linke Syriza als stärkste Fraktion, die sich gegen die maßgeblich von Deutschland verordnete Sparpolitik einsetzt.
Ähnlich in Portugal, wo die oppositionellen Sozialisten mit einem guten Drittel der Stimmen klare Sieger sind. Auch in Spanien fanden die Rechten keine Mehrheiten und in Italien wurde die amtierende Demokratische Partei von Ministerpräsident Matteo Renzi bestätigt. Hier hatten die rechten Stimmungsmacher wenig Chancen, weil man eher den europakritischen, aber nicht anti-europäischen Populisten Beppe Grillos mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung wählte.
Auf Kritiker hören statt sich Populisten anzunähern
Seit dem umstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Aufhebung der Drei-Prozent-Hürde für die Europawahl war klar, dass es mehr als die bisherigen sechs Parteien nach Straßburg schaffen würden. Jetzt sind es voraussichtlich 14 aus Deutschland, viele mit nur einem Sitz. Und den haben sie auch nur, weil bei einer Wahlbeteiligung von 48% (2009: 43%) jede Stimme stärker ins Gewicht fällt.
Im Europaparlament werden über 160, meist sehr kleine Parteien vertreten sein. Davon sind 85 Mandate den rechten, populistischen Kräften zuzurechnen - was immerhin gute elf Prozent ausmacht.
Die Fraktionen der progressiven und bürgerlichen Parteien werden im Europaparlament aber weiterhin das Zentrum der Macht ausmachen. Entscheidend wird sein, ob die Konservativen sich wie die CSU den Populisten annähern wollen oder ob man eine Vertiefung und Erweiterung des Zusammenlebens jenseits eines gemeinsamen Finanzraums stärken möchte.
Vielleicht fällt es ja auch immer mehr Deutschen auf, dass anti-europäische und ausländerfeindliche Gruppierungen sowie Stimmungsmacher gegen angebliche „Schmarotzer“ keine guten Ratgeber oder gar Gefährten sind. Sehr wohl aber die Betroffenen und Kritiker des bisherigen Sparkurses, die ein starkes und vor allem sozialeres und gerechteres Europa nicht nur unterstützen, sondern dringend brauchen.
Stärkere Allianzen schmieden
Die parlamentarische Arbeit wird durch die Zersplitterung komplizierter werden, was insgesamt eine Schwächung Europas bedeuten kann. Die Progressiven werden ihre Allianzen also stärken müssen, auch mit NGOs und Gewerkschaften.
Die Bedeutung einer konstruktiv-kritischen Beschäftigung mit Europapolitik in atheistischen, humanistischen und kirchenkritischen Kreisen wird vor diesem Hintergrund wachsen können. Dazu muss man den 96 Europaabgeordneten aus Deutschland besser auf die Finger schauen, wenn sie „in Europa“ besseren Diskriminierungs- oder Datenschutz verhindern, gegen die Rechte von Frauen und Homosexuellen stimmen und für weitere Privilegien für Religionsgemeinschaften oder gar für einen Gottesbezug in der europäischen Verfassung eintreten.
Eine Strategie, zu der auch die tatkräftige Zusammenarbeit mit kirchenkritischen Europaparlamentariern und allerlei NGOs sowie Gewerkschaftsinitiativen gehört.
Corinna Gekeler