BERLIN. (hpd) Die Initiative für ein Wahlpflichtfach Religionsunterricht, das dem Ethikunterricht gleichgestellt wird und zwischen denen sich die Eltern / SchülerInnen entscheiden müssen, hat im Volksentscheid keine Mehrheit bekommen und ist damit abgelehnt worden.
Der Landesabstimmungsleiter ist in seinen Mitteilungen betont lapidar: „Zum Volksentscheid am 26. April 2009 sind 2 445 686 Berlinerinnen und Berliner stimmberechtigt. Damit der zur Abstimmung stehende Gesetzentwurf durch Volksentscheid angenommen ist, muss die Mehrheit der Teilnehmer und zugleich mindestens 25 % der Stimmberechtigten zustimmen, das sind nach der heute festgestellten Zahl der Stimmberechtigten mindestens 611 422 Ja-Stimmen.“
In einer ersten Mitteilung war zudem mitgeteilt worden, dass für den Volksentscheid insgesamt 179 091 Abstimmungsscheine für die Briefwahl ausgestellt wurden, rund 3,5 Prozent weniger als beim ersten Volksentscheid 2008 für den Erhalt des Flughafens Tempelhof.
Diese Grundtendenz, dass die Wahlbeteiligung noch geringer war, als beim Volksentscheid Tempelhof, sollte den Tag begleiten.
Abstimmungsbeteiligung und Ergebnis
Bis 12:00 Uhr hatten 11,4 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme abgegeben. Damit lag die Beteiligung zu diesem Zeitpunkt um 3,5 Prozentpunkte niedriger als beim Volksentscheid über den Flughafen Tempelhof am 27. April 2008 (14,9 Prozent).
Bis 16.00 Uhr hatten 22,6 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme abgegeben. Das waren 5,7 Prozentpunkte weniger als beim Volksentscheid zum Flughafen Tempelhof 2008. Damals hatten zur selben Zeit 28,3 Prozent abgestimmt.
Die Abstimmungsbeteiligung betrug 2008 am Ende 36,1 Prozent, 2009 betrug sie nach dem vorläufigen Ergebnis nur 29,2 Prozent, also 6,9 Prozent unter 2008.
Das war nicht ganz so gravierend niedrig erwartet worden, infratest-dimap hatte noch mit 35 Prozent Wahlbeteiligung gerechnet, doch die Erwartungen waren in die Richtung gegangen, dass Pro Reli bei einer niedrigen Wahlbeteiligung zwar das Quorum von 611.000 Stimmen nicht erreichen würde, in der Abstimmung selber jedoch die Mehrheit erreichen könnte, da sie ihre Anhänger flächendeckend mit großem Aufwand mobilisiert hätte. Das Gegenteil war der Fall: 48,5 Prozent der Teilnehmer stimmten für Pro Reli und 51,3 Prozent für Pro Ethik. Das hatte so niemand erwartet: ein doppelter Sieg.
714.000 Wahlberechtigte haben sich an der Abstimmung beteiligt, 366.000 lehnten den Antrag von Pro Reli mit einem „Nein“ ab, 346.000 bestätigten ihn mit „Ja“. Von dem Quorum von 611.000 Stimmen wurden also nur 57 Prozent erreicht. Eine doppelte Niederlage.
Stimmen von Pro Ethik
Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer, der Pro Ethik unterstützt hatte, antwortete auf die Frage, ob er ein zwar so knappes aber so eindeutiges Ergebnis erwartet habe. „Nein, das habe auch ich nicht. Aber ich glaube, es geht den Menschen in der Stadt wie mir selber auch. Sie stehen auf, fahren zur Arbeit und wie sie diese Materialschlacht gesehen und sich gefragt haben, was das soll. Ich selbst habe mich das bei einem Plakat gefragt, auf dem drauf stand: Es geht um die Freiheit! Es ging mitnichten um die Freiheit. 1989 ging es um die Freiheit, heute ging es um eine Sachfrage, sicherlich auch eine sehr wichtige. Ich bin zufrieden. Zufrieden, weil die Grundlagen für ein gemeinsames Zusammenleben hier in der Stadt gestärkt wurden. Und ich will das auch noch einmal für mich sagen: Das ist für mich kein Votum gegen die Kirchen. Ich halte die Kirchen für wichtig und wir arbeiten auch in vielen Fragen mit Ihnen zusammen, auch der Religionsunterricht ist ja weiter garantiert, lassen Sie uns nun wieder zur Realität übergehen in dieser Stadt.“
Walter Momper, der Schirmherr des Bündnis Pro Ethik, war zufrieden. „Man sieht in dem Ergebnis, die Berlinerinnen und Berliner sind helle, sie lassen sich nicht durch noch so schöne Formeln in die Irre jagen, sondern wissen sehr genau, was los ist. Und meine Erfahrungen in den letzten drei Monaten besagten, dass die Leute sehr gut informiert waren, dass es eine sehr gute Aufklärung gegeben hat, was die gegenwärtige und das mögliche zukünftige Regelung bedeutet und sie haben sich sehr bewusst entschieden. Ich hätte auch nicht gedacht, dass es eine Mehrheit der Nein-Stimmen geben würde, da ja normalerweise der Antragsteller seine Leute mehr mobilisieren kann und die, die es nicht wollen, eher sagen, lass mich damit zufrieden. Das ist aber dieses Mal ganz anders geschehen.“
In der Frage, ob die SPD auf die Kirchen zugehen wird, sieht er: „Das einige von Kirchenkampf geredet haben, das ist doch dummes Zeug. Wir haben traditionell, aus gutem Grund, immer ein gutes Verhältnis zur Kirche und dabei soll es bleiben. Nur ein Punkt ist jetzt klar, ein verbindlicher Ethik-Unterricht bleibt und darüber gibt es auch kein Vertun. Die Kirche selber muss sich allerdings fragen, was Bernhard Schlink bereits gesagt hat, ob die Kirche nicht schon vorher verloren hatte. Wer sich auf das politische Terrain begibt, der muss auch nach den Konditionen arbeiten, die dort gelten. Und an den Viertel- und Halbwahrheiten, die dort produziert worden waren, da wird die Kirche noch dran zu kauen haben.“
Horst Groschopp, der Präsident des Humanistischen Verband Deutschlands, ist fröhlich über dieses Ergebnis. „Das hätte niemand gedacht. Die Mobilisierung des konservativen Klientel hat nicht funktioniert. Die Ansicht, dass Ethik für alle eine gute Sache ist, reicht weit in die CDU hinein, sonst hätte man mehr dieses Klientel mobilisieren können.“
Gerd Eggers, der Koordinator des Bündnis Pro Ethik ist noch skeptisch, ob das Ergebnis schon stabil ist. Als das bestätigt wird, lächelt er. „Ich freue mich, dass die Berliner die Propaganda Kampagne von Pro Reli durchschaut haben.“ Und was wird nun mit dem Bündnis Pro Ethik passieren? „Das Bündnis löst sich jetzt auf, da es ja nur ein Zweckverbund war. Aber ich denke, es wird einen Kreis der Zusammenarbeit von einem Teil der Mitglieder des Bündnisses geben, auch um den Ethikunterricht weiter zu verbessern.“
Franziska Eichstädt-Bohlig, MdA und Fraktionschefin der Grünen, bleibt gelassen und will Brücken bauen. „Ich finde, es ist erstaunlich nah an dem, was man erwartet hat. Bei diesem sehr komplizierten Thema konnte man keine sehr hohe Wahlbeteiligung erwarten, schon gar nicht bei schönem Wetter, und Berlin ist nun eine sehr gemischte Muliti-Kulti-Stadt, nicht nur wegen der Migranten, sondern auch wegen der Ost-West-Konstellation.“„Ich hatte weniger Nein-Stimmen erwartet, doch mit dem Ergebnis zeigt sich, dass der Bürgersinn doch einigermaßen funktioniert. Ich habe inhaltlich noch ein jetzt weiteres Ziel. Da sich beide, Pro Reli und Pro Ethik, für Wert-Orientierung engagiert haben, glaube ich, dass es sehr wichtig ist, wieder schnell eine Brücke zu schlagen. Es ist unser gemeinsames Ziel und da wollen wir doch Konzepte finden, dass der Unterricht qualifiziert wird um Module, in denen sich intensiver mit Religion beschäftigt wird, so dass insgesamt die Wertorientierung einen deutlicheren Stellenwert in der Erziehung unserer Kinder bekommt.“ Auf die Frage, ob sie meint, dass der Senat jetzt auf die Kirche zugehen wird, meint sie, dass die Grünen auf jeden Fall dafür werben werden.
Werner Schultz, Abteilungsleiter für Lebenskunde im Humanistischen Verband in Berlin, freut sich zwar über das Ergebnis, ist aber auch nachdenklich: „Die CDU und Pro Reli haben vergessen, dass der Berliner Wähler gefährlich ist, der lässt sich nämlich nichts vormachen. Und eine Kampagne, die meint ‚Wir wollen Freiheit’ und tatsächlich soll Religion Pflichtfach werden, das fällt in Berlin irgendwann einmal auf. Und jetzt haben sie die Quittung bekommen, die sie seit fünfzehn Jahren bekommen, mit ihrer ‚Rote Socken’-Kampagne.“ Und: „Ich hoffe, dass ein paar Dinge klarer geworden sind. Die Kirche haben registriert, dass sie mit einer Dreißig-Prozent-Gruppe keine Volkskirche mehr darstellen und dass sie die sechzig Prozent Konfessionslose berücksichtigen müssen. Ich hoffe allerdings, das wir für die Stadt, für die Schüler in der Schule gemeinsam arbeiten können, an der Werteerziehung, der ethischen Urteilsbildung, und die Werte entwickeln können, die für alle gelten können, ob sie Humanisten sind, Christen sind oder Muslime. Wir haben Werte, die für eine demokratische Gesellschaft nötig sind und die werden im Ethikunterricht vermittelt. Und das ist auch gut so.“
C.F.
Fotografien © Evelin Frerk