Lookismus – Was ist das?

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HAMBURG. (hpd) Im Gespräch mit dem Spiegel stellte die ehe­malige taz-Chef­redak­teurin Bascha Mika ihr neues Buch “Mutprobe” vor. Hatte sie sich in der Ver­gangen­heit all­gemein mit Sexis­mus befasst, konzen­triert sie sich nun vor allem auf die Dis­krimi­nierung von Frauen jenseits der 50.

 

Für Bascha Mika ist George Clooney das beste Beispiel einer Doppel­moral: Männer würden im Alter vor allem als "reif", Frauen hin­gegen nur als "alt" ange­sehen. Die Gesell­schaft müsse ihre Vor­ur­teile über­denken und auch Frauen über 50 als attraktiv wahr­nehmen. Statt­dessen häuften sich die weiblichen Singles in dieser Alters­klasse. Bascha Mika sieht die Gesell­schaft in der Pflicht, "Schönheit neu zu ent­werfen".

Ähnlich äußerte sich auch die Grünen-Politikerin Marianne Burkert-Eulitz, die jüngst beklagte, Miss­wahlen seien eine Dis­krimi­nierung der weniger schönen Frauen. Sie wandte sich gegen “längst über­holte Schön­heits­ideale”. In ihrer Argu­menta­tion folgt Bascha Mika, mehr noch Marianne Burkert-Eulitz, den Forderungen der Anti-Lookismus-Bewegung. 

Was bedeutet das?

 Lookismus ist ein Kunst­wort, das sich aus den Be­griffen look und -ismus zusammen setzt. Es zielt analog zu den Be­griffen Rassis­mus und Sexis­mus auf die Ab­wertung einer Person wegen ihres Aus­sehens (Looks) ab. Existiert eine solche Dis­krimi­nierung tat­sächlich?

Neben der offen­sicht­lichen Tat­sache, dass hübsche Menschen größeren Erfolg bei der Partner­suche haben, zeigen Studien einen Zusammen­hang auf, der sich eben nicht auf den ersten Blick er­schließt. Attraktivere Menschen verdienen mehr Geld. Eindeutige Zahlen gibt es nicht, doch Unter­suchungen kommen zu dem Befund, dass Schön­heit mit ca. 10–15 Prozent höherem Gehalt ein­hergeht. Ebenso dürfen schönere Menschen vor Gericht auf weniger harte Gefängnis- oder Geld­strafen hoffen.

Eine solche Gehalts­differenz ist geringer als beispiels­weise die zwischen Männern und Frauen oder die Lücke zwischen Weißen und Afro­amerikanern. Die Unge­rechtig­keit mag vergleichs­weise klein sein, doch unge­recht bleibt sie. Nun ist es aber nicht damit getan, einen Miss­stand anzu­prangern – ohne konkrete Lösungs­vor­schläge wird sich nicht viel ändern.

Eine Lookismus-neutrale Politik könnte also häss­liche Menschen besser ent­lohnen oder ihnen in einem Quoten­modell eine bestimmte Zahl an Führungs­positionen zuge­stehen. Doch eine solche Maßnahme wäre pauschal. Verdient der Niedrig­löhner wegen seines Aus­sehens oder seiner mangelnden Quali­fikation wenig? Und wäre es ge­recht, eine un­qualifi­zierte Führungs­kraft, die nur wegen ihres guten Aus­sehens an den Job gekommen ist, durch eine ebenso un­qualifi­zierte Person weniger guten Aus­sehens zu er­setzen? Ähnliche Probleme stellen sich auch bei der Ein­führung einer Frauen­quote, mit dem Unter­schied, dass eine Frau durch ihre Klassi­fizierung als Frau nicht be­leidigt wird. In diesem Fall aber würde einer Person staat­licher­seits ihre Häss­lich­keit attestiert.

Diskriminierung aufgrund des Aus­sehens zu verbieten, erweist sich als ähnlich sinn­los. Welcher Personal­chef weiß schon im Einzel­fall, ob er eine Person nur wegen ihrer Schön­heit ein­stellt? Schließ­lich könnte er dem attrak­tiveren Bewerber auch nur unter­bewusst die höhere Kompetenz im Beruf unter­stellen. Selbst dann, wenn der Personal­chef sich bewusst für die hübschere von zwei Frauen ent­schieden hat, dürfte es äußerst schwierig sein, ihm dies auch nach­zu­weisen.

Eine simple Methode könnte Abhilfe schaffen. Seit mehreren Jahren greifen Orchester auf das “blind auditioning” zurück, wenn sie über die musi­kali­schen Fähig­keiten ihrer An­wärter befinden. Die Jury lauscht dem Musiker hinter einer Trenn­wand und kann daher nur über dessen Talent be­finden. Einge­führt wurde diese Maß­nahme mit dem Ziel, sexis­tischer Dis­krimi­nierung vorzu­beugen – tat­sächlich wurden viele Orchester dadurch weib­licher. Es liegt auf der Hand, dass diese Methode nicht nur Frauen all­gemein, sondern auch den weniger Attraktiven beider Ge­schlech­ter zugute kam. Leider ist das “blind auditioning” nicht auf alle Berufs­sparten übertragbar. Manche Personal­chefs wollen die Ver­handlungs­fähigkeit oder das Selbst­bewusst­sein ihrer Anwärter testen – und das geht eben besser von Ange­sicht zu Ange­sicht.

Tatsächlich will die Anti-Lookismus-Bewegung häss­lichen Menschen aber gar nicht nicht helfen – ja, sie darf es nicht einmal. Nach ihrem Selbst­ver­ständ­nis wendet sie sich nur gegen die Dis­krimi­nierung wegen des Aus­sehens, nicht aber gegen die Dis­krimi­nierung häss­licher Menschen. Täte sie dies, würde sie nämlich die Häss­lich­keit als objektiven Tat­bestand aner­kennen.

Laut Anti-Lookismus-Bewegung gibt es aber nicht besser oder schlechter, sondern nur anders aus­sehende Menschen. Der Kapi­talismus habe will­kürlich einige Merk­male heraus­ge­griffen und als attraktiv fest­gelegt. Mit dieser Unter­teilung der Menschen in hübsch und häss­lich lässt sich nämlich eine Menge Geld ver­dienen. Die Kosmetik­industrie macht einen Millionen­profit mit Make-up, Pflege­shampoos, Pickel­cremes, Schlank­heits­pillen, Fit­ness­programmen, schönen statt häss­lichen Brillen, Kontakt­linsen statt schönen Brillen, Nasen­korrek­turen, Botox­injek­tionen, Brust­ver­größerungen, Zahn­spangen, Zahn­auf­hellungen usw.

Angeblich hat der Kapita­lismus ein Interesse daran, unser Empfinden für hübsch und häss­lich zu ver­festigen. Die Models in der Werbe­kampagne eines Mode­hauses sollen also nicht nur den Ver­kauf von Kleidung an­kurbeln, sondern Schön­heits­ideale ver­festigen und damit in­direkt in jedem Menschen den Wunsch aus­lösen, selbst so perfekt wie auf dem Plakat auszu­sehen. Aber beweist dieser Nutzen für den Kapita­lismus auch, dass er die treibende Kraft hinter diesem Trend dar­stellt? Nach der Logik des “cui bono?” lässt sich auch “beweisen”, dass die US-Regierung die Sprengung des World Trade Centers befahl, um einen Vor­wand für Aus­beutungs­feldzüge in der islamischen Welt zu konstruieren.

Lässt sich unser Empfinden für Schönheit also tat­sächlich kulturell ver­ändern, oder ist es ebenso bio­logisch bedingt wie die An­ziehungs­kraft, die ein farben­prächtiger Pfau mit seinem Feder­kleid ent­faltet?

Die Anti-Lookismus-Bewegung verweist darauf, dass der Mensch eben nicht von seinen Instinkten ge­leitet sei, sondern seine kultu­rellen Prägungen die biolo­gischen An­lagen über­winden könnten. Noch vor einigen Jahr­zehnten galten fülligere Damen als hübsch, heute bevor­zugen Männer schlankere Frauen. Auch von Volk zu Volk ist dieses Muster erkennbar. In manchen Kultur­kreisen gelten dickere Frauen als attraktiv. Wenn sich also in nur wenigen Jahr­zehnten ein Wandel voll­zieht, kann dieser nicht bio­logisch bedingt sein. Das stimmt, aber es ist nur die halbe Wahr­heit.

Während es tatsächlich ein kulturell beding­tes Muster bezüg­lich der Leibes­fülle von Frauen gibt, gibt es keine Ent­sprechung auf männlicher Seite. Quer durch die Kulturen werden große und starke Männer als besonders attraktiv wahr­genommen. Natürlich kann auch der kleine, dicke Mann gut bei Frauen ankommen, dann aber trotz und nicht wegen seines Körpers. Ist er hier im Hinter­treffen, muss er seinen Wert auf andere Weise aus­drücken, zum Beispiel durch Erfolg im Beruf. Zwar mag die Kultur ent­scheiden, ob dicke oder dünne Frauen attraktiv wirken, die Biologie gesteht diesen Spiel­raum aber nur einem der beiden Ge­schlechter zu. Ebenso gibt es eine Ober­grenze, ober­halb derer zu­sätzliches Gewicht bei Frauen nicht mehr als attraktiv gilt. Auch hier gibt die Biologie die Rahmen­bedingungen vor, innerhalb derer der kulturelle Ein­fluss sich ent­falten kann.

Ein evolutionärer Mechanismus, der hin­sicht­lich des Fort­pflanzungs­erfol­ges nach den passenden Genen selek­tiert, kann diesen Spiel­raum ge­währen, denn die Leibes­fülle einer Frau wird weniger durch ihre Gene be­stimmt, sondern viel­mehr darüber, wie viel sie isst. Hin­sicht­lich anderer Körper­merk­male, die klarer genetisch bedingt sind, ist der kulturelle Ein­fluss auf das Schön­heits­ideal sehr viel schwächer. Zwar zeigt sich, dass in ver­schie­denen Kulturen die Leibes­fülle der Frau unter­schied­lich bewer­tet wird, dennoch existieren Ge­meinsam­keiten. Ein be­stimm­tes Verhält­nis von Hüfte zu Taille wird von Männern als attraktiv wahr­genommen. Dieser Zusammen­hang folgt dem Sand­uhr­schema. Brüste und Hüfte sollten mehr Umfang als die Taille haben. Eine dicke Frau kann als attraktiv wahr­genommen werden. Ragt ihr Bauch jedoch weiter vor, als ihre Brüste, gilt sie als un­förmig. Die Gene bestimmen nicht, wie dick eine Frau wird, doch sie be­stimmen die Größe des Beckens, wobei ein breiteres Becken einen größeren Geburts­kanal dar­stellt und daher einen Fort­pflanzungs­vorteil bedeutet. Eine Ver­teilung des Körper­fetts eher auf Brüste und Hüften, statt gleich­mäßig auf den ganzen Körper, deutet auf einen hohen Östrogen­spiegel und damit ebenso auf Frucht­barkeit hin. Die starre biologische Komponente fügt sich in also in das flexiblere Schön­heits­ideal ein, wie auch im weichen Frauen­körper harte Knochen stecken.