„Wer ist denn dieser?"

Zum Jesus-Buch des Joseph Ratzinger.

Gewiß, ich bin kein Fachexeget, der Papst aber auch nicht. Doch wir waren ordentliche Professoren

der Theologie: So unbedarft wie die Ratzinger-Lemminge, darunter eine Journaille, die hinter einem alten Mann herhechelt und Sachinteresse heuchelt, sind wir nicht.

Die übliche Rezension eines Buches verwiese auf die Tatsache, dass der Papst die Auswahl seiner Texte nicht einleuchtend erläutert, sich Defizite in einzelnen Textanalysen erlaubt, Publikationen anführt, ohne deren zentrale Thesen in angemessener Ernsthaftigkeit zu referieren, Jahrzehnte intensiver Forschung augenscheinlich nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit ist.

Benedikt XVI. macht es sich einfach. Er sieht offenbar im „Jesus der Evangelien" den historischen Jesus. Die schwerwiegenden Unterschiede zwischen fiktionalen Texten und historisch verläßlichen Berichten interessieren ihn wenig. Ich habe sogar den Eindruck, er versuche sie „wegzubeten". Die Autoren des Evangeliums, die eine historisch-kritische Methode in durchaus nicht überholter Manier (als habe das beginnende 21. Jahrhundert auf den „Weg des Glaubens" zurückgefunden) angeht, erlauben sich nun einmal ihre Freiheiten. Dazu gehören eine passend gemachte Chronologie des Lebens Jesu und nicht zuletzt ein fiktional zurechtgerückter Nachvollzug der Passion.

Die Evangelisten, deren Namen wir nicht einmal kennen, waren keine Augenzeugen. Sie bleiben literarische Zeugen mit übergeordneten Erzählzielen. Umso dringlicher wäre es gewesen, ihre Erkenntnis- und Vermittlungsinteressen detailliert zu thematisieren, statt sie früher oder später „in den Glauben hinein" aufzuheben, wie Ratzinger das fernab vieler wissenschaftlicher Erkenntnisse wagt. Ein Beispiel für viele: Die Existenz unechter Jesusworte zu bestreiten, ist nicht nur fragwürdig, sondern unlauter.

Nähere Hinweise schenke ich mir an dieser Stelle. Was mir wesentlich unangenehmer auffällt: Hier schrieb ein Unentschiedener, der nicht weiß, was er sein will, Kirchenoberhaupt oder Hochschullehrer: Obwohl er sich nicht scheut, mit dem Jesus-Buch den Geschäftssinn eines südbadischen Gesangbuchverlags zu teilen, obgleich er als ein kirchlicher Karrierist reinsten Wassers gelten kann, der sich längst, nach der Zäsur des Bischofsamts, gegen die mühevoll suchende Existenz eines Hochschullehrers entschieden hat, lebt er weiterhin janusköpfig. Er scheint zu glauben, niemand bemerke das.

Dabei bevorzugt er ungewöhnlich unpräzise Fragestellungen. Ein verläßlicher methodischer Ansatz ist nicht auszumachen. Ich gehe daher davon aus, dass Ratzinger von einem homiletischen Hauptinteresse geleitet wurde: Seine Texte sind einmal mehr mit Sentimentalitäten garniert (ein stilistischer Unfug), und alles in allem möchte dieser Papstprofessor meditieren und predigen.

Umso bemerkenswerter, dass es ihm nicht gelingt, die Grundvoraussetzung auch einer Predigt zu erfüllen: Ein Bemühen um Objektivität ist nicht auszumachen. Dieser Autor weiß von Anfang an, wie die Menschheitsfrage nach dem Gottes- und Menschensohn Jesus von Nazareth im Interesse der vatikanischen Konfession korrekt beantwortet werden muß. Grenzüberschreitungen, eine Prämisse wissenschaftlicher Arbeit, darf es nicht geben. Der Zweifel hat keine Würde.

Will ein Papst predigen, was sein gutes Recht, seine Pflicht ist, braucht er sich auch nicht um derlei zu mühen. Die literarische Gattung, die er von Amts wegen zu bedienen hat, ist anders gestaltet. Daher kann die Quadratur der Kreises erneut nicht gelingen: Entweder ich schreibe als Papst und nehme die Last des Welt-Bestsellers auf mich oder ich wende mich als Professor an die wissenschaftliche Community und rechne damit, dass mein Opus auf Experten peinlich wirkt.

Zweifellos zieht dieser Autor das Sowohl-als auch jedem Entweder-oder vor. Einen Kirchenfürsten und einen Hochschullehrer zugleich darstellen zu wollen, bleibt das Dilemma des Joseph Ratzinger.

Der als Intellektueller seit jeher überschätzt wurde und in fünfzig Jahren aus guten Gründen kaum einen Kontrahenten von Rang und Namen gefunden hat, ist denn auch der schwächste Papst, den die römische Kirche seit über 100 Jahren vorzuweisen hat. Wer anderer Meinung ist, soll mir einen noch unbedeutenderen Papst als Benedikt XVI. nennen.

Er wird sich schwer tun: Das am eindringlichsten sprechende Anzeichen für die irreversible Schwäche des Katholizismus ist die Attitüde, nur noch in Superlativen reden zu können – und daher einen Papst nach dem anderen als Edelmenschen und Großdenker ausgeben zu müssen. Und die Liste der Versäumnisse wird immer länger. Kein einziges der Probleme, die der Vatikan vor sich herschiebt, ist angepackt, geschweige denn gelöst. Ein Papst sollte eben keine Bücher schreiben, sondern endlich damit beginnen, seinen Job zu tun.

 

Horst Herrmann