WIEN. (hpd) Die geplante Neufassung des Islamgesetzes stößt auf immer breitere Kritik. Die Zielsetzung der Novelle bleibt ebenso unklar wie die Vorgänge, die zum neuen Gesetz führen, auf Unverständnis stoßen. Kritiker sehen eine Ansammlung von Propaganda, Platitüden und Populismus.
Jeder, der sich irgendwie mit der Religionsgesetzgebung in Österreich und den hierzulande praktizierten Strömungen des Islam auskennt, greift sich seit Wochen auf den Kopf, was sich der nicht zuständige Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) und die sunnitische Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) hinter verschlossenen Türen miteinander ausgeschnapst haben. Ein Gesetz unter Freunden, sozusagen.
Nimmt man die Reaktionen von liberalen Muslimen, Grünen und Laizisten als Maßstab, haben sich beide Parteien auf ein Islamgesetz verständigt, das die Bedürfnisse beider maximal befriedigt und lästige Details wie die Wirklichkeit nach Möglichkeit außen vorlässt. Und niemand weiß eigentlich, wie es dazu kommen konnte.
Dem eigentlich zuständigen Kultusministerium von Josef Ostermayer (SPÖ) bleibt nur mehr, zu verkünden, die Novelle des Islamgesetzes solle noch heuer kommen. Inhaltlich hält man sich nach Möglichkeit bedeckt. Rechercheanfragen des hpd etwa blieben trotz gegenteiliger Zusicherung unbeantwortet.
“Fatales Signal”
Thomas Schmidinger, Islam-Experte und Politologe an der Universität Wien stößt sich gegenüber dem hpd daran, wie das neue Gesetz zustande gekommen ist. “Besonders problematisch ist es, wenn das neue Gesetz im Vorfeld zwischen der IGGiÖ und dem Außenministerium verhandelt wurde und nicht mit dem dafür zuständigen Kultusamt im Bundeskanzleramt. Eine de-facto-Zuständigkeit des Außenministeriums sendet das fatale Signal aus, dass Muslime nicht zu Österreich gehören und eine diplomatische Angelegenheit zwischen Österreich, der Türkei oder Saudi-Arabien darstellen. Ein so zustande gekommenes Islamgesetz wird letztlich zur Diskriminierung von Muslimen in Österreich.”
Dass das neue Gesetz Islamgesetz heißen soll, scheint für ihn auch nicht wirklich nachvollziehbar. “Die IGGiÖ sollte wie alle anderen Kirchen oder Religionsgesellschaften behandelt werden. Mit der Anerkennung der Islamisch Alevitischen Glaubensgemeinschaft als Religionsgesellschaft und der Islamische-Schiitischen Glaubensgemeinschaft und der Alt-Alevitischen Glaubensgemeinschaft als religiöse Bekenntnisgemeinschaften ist der von der IGGiÖ immer wieder vertretene Alleinvertretungsanspruch für den Islam ohnehin gefallen und die IGGiÖ kann nur noch für ihre Mitglieder sprechen.”
Realität: Eine überschätzte Kategorie
Was weder IGGiÖ noch den sachlich immer wieder überforderten Minister Kurz davon abhalten, so zu tun, als würde die IGGiÖ alle Muslime in Österreich vertreten. Und nicht einen immer kleiner werdenden Teil. Realität scheint offenbar eine überschätzte Kategorie zu sein.
Damit nach Möglichkeit nichts diese Illusion stört, hat man sicherheitshalber niemanden sonst eingebunden. Aleviten und Shiiten blieben ebenso außen vor wie die Initiative Liberaler Muslime. Kurz fand es offenbar nicht der Mühe wert, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Die IGGiÖ repräsentiere nur 4 Prozent aller Muslime in Österreich, sagt Liberalen-Sprecher Amer Albayati: “Die Vorgehensweise zur Entwicklung dieses Gesetzes droht zu Konflikten und einem nicht mehr kontrollierbaren Flächenbrand zu führen, da mehr als 96 % der Muslime in Österreich von der Mitgestaltung an diesem Gesetz ausgeschlossen sind, aber von seinen Auswirkungen benachteiligt werden.”
“Deutlicher Kniefall”
Das kritisiert auch Efgani Dönmez, Bundesrat der Grünen. “Es ist ein deutlicher Kniefall der Minister Ostermayer und Kurz vor den konservativen islamischen Gruppierungen, welche ihren Einfluss in Österreich, mit Hilfe der Regierungsparteien, auch immer weiter ausbauen”, sagt Dönmez.
Deutlich auch die Forderung der Türkischen Kulturgemeine in Österreich (TGKÖ): “Mit der geplanten Novelle kann nicht die Lebenssituation aller Muslime und Musliminnen in Österreich abgebildet werden, solange nicht alle islamischen Gruppen in die Verhandlungen in Österreich eingebunden werden. Das fordert allein schon der Grundsatz der Demokratie. Die IGGiÖ kann nicht alleine alle Muslime in Österreich vertreten und darf das auch nicht.”
Etwas diplomatischer formulieren es die Nationalratsabgeordnete Alev Korun und der Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser, ebenfalls von den Grünen: “Die zuständigen Ministerien sollten die Chance, die sich nun durch die Novellierung des Islamgesetzes ergibt, nutzen, um mit den unterschiedlichen Strömungen in Kontakt zu treten, sie einzubinden und damit einen für die Gesamtgesellschaft und die Gläubigen befriedigenden Konsens zu finden.”
Kritiker mit Mord bedroht
Reaktion von Außenminister Kurz auf die Kritik: Keine. Geändert haben dürfte die geharnischte Kritik an der Sache sehr wenig. Die Diskussionen und Gespräche seien beendet, heißt es aus dem Kultusministerium.
Umso heftiger reagieren offenbar einige Anhänger der IGGiÖ. Amer Albayati erhielt eine Morddrohung, nachdem er sich öffentlich gegen das neue Gesetz positioniert hatte.
Vorgehen wie bei Israelitengesetz
Die Vorgänge um die Gesetzesnovelle erinnern sehr an das Vorgehen der Bundesregierung bei der Novelle des Israelitengesetzes vor zwei Jahren. Geredet wurde nur mit der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Was die liberale Gemeinde Or Chadash zu sagen hatte, interessierte niemanden großartig. In den Gesetzgebungsprozess war kein Gemeindevertreter eingebunden. Die heimische Politik hielt die Reformgemeinde für eine unbedeutende Sekte – offenbar nichts ahnend, dass das Reformjudentum die größte Strömung im Judentum weltweit ist.
Heraus kam ein Gesetz, das die Stellung der IKG gegenüber anderen jüdischen Gemeinden stärkte.
Gesetz dürfte Aleviten und Shiiten nicht betreffen
Dass ein neues Islamgesetz eine ähnliche Auswirkung auf die Aleviten und Shiiten haben könnte, ist eine Befürchtung, die man von Kritikern mitunter zu hören bekommt. Das dürfte unbegründet sein.
Beide Gruppierungen haben mittlerweile einen abgesicherten eigenständigen rechtlichen Status. Sie zwangsweise wieder in die IGGiÖ einzugliedern dürfte juristisch kaum ohne einen verfassungstechnisch mehr als bedenklichen Gewaltakt über die Bühne gehen. Und würde – wie so viele Behördenentscheidungen in der Geschichte des Islamgesetzes – mit Sicherheit vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben.
Populistische Attitüden
Dafür birgt die geplante Novelle anderen Sprengstoff. Außenminister Kurz lanciert reichlich populistisch klingende Ideen, mit denen er das Kunststück zustande gebracht hat, auch IGGiÖ-Vorsitzenden Fuat Sanaç gegen sich aufzubringen.
Aus nicht näher bekannten Gründen besteht der Jungminister darauf, im Islamgesetz festzuhalten, dass staatliches Recht auf jeden Fall Vorrang vor religiösen Regeln hat. Das steht so in keinem anderen der zahlreichen Religionsgesetze der Republik.
Dass religiöse Vorstellungen staatliches Recht nicht aufheben, ist im bis heute gültigen “Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger” aus dem Jahr 1867 eindeutig geregelt – und gilt ohnehin für alle: “Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.” (Rechtschreibung im Original, Anm.) So der Artikel 15 des entsprechenden Gesetzes.
Eine eigene Regelung im Islamgesetz sei “überflüssig und diskrimierend”, sagt Sanaç “Wir können also nicht akzeptieren, dass mit einem solchen Zusatz Misstrauen gegen die Verfassungstreue der Muslime geschürt würde und damit populistischen Islamfeinden Nahrung gegeben würde”.
Mit der Einschätzung ist Sanaç ausnahmsweise einer Meinung mit Menschen sind, die sonst eher selten mit ihm übereinstimmen werden. Etwa der grüne Bundesrat Dönmez: “Für die überwiegende Mehrheit der Muslime stellt sich gar nicht die Frage, ob das österreichische Recht im Widerspruch zum Islam stehe. Jene die dies anders sehen, sind - wenn überhaupt - in den eigenen Reihen der IGGÖ zu finden bzw. gehören keiner offiziellen anerkannten Gruppierung an, wie Wanderprediger und salafistische Bewegungen.” Nicht nur Dönmez wirft Kurz hier plumpen Populismus vor.
Knackpunkt theologische Fakultät
Unklar bleibt auch ein zentraler Punkt des geplanten neuen Gesetzes. Nach langjährigen Forderungen soll offenbar der IGGiÖ eine islamisch-theologische Fakultät an einer österreichischen Universität zum Geschenk gemacht werden. Zur Imame-Ausbildung, wie es heißt.
Ungeachtet der Tatsache, dass es die IGGiÖ bislang selbst in der Hand gehabt hätte, eine Imame-Ausbildung in Österreich zu organisieren.
Dass sunnitische Kleriker bald eine Ausbildung an einer österreichischen Uni haben müssen, wird weitgehend begrüßt. Etwa von Efgani Dönmez. “Dass ein neues Islamgesetz Verbesserungen vorsieht, wie zum Beispiel die Ausbildung von Imamen in Österreich ist absolut begrüßenswert. Auf diese Notwendigkeit haben Herr Mouhanad Khorchide und ich bereits im Jahre 2008 hingewiesen, schön, wenn dieser Vorschlag, wenn auch mit Verspätung aufgegriffen wird.”
Ähnlich sieht es der Religionspädadoge Ednan Aslan in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung: “Ich wünsche mir auch, dass das geplante Islamgesetz Qualitätsstandards für Moscheen und Imame festlegt, einen Universitätsabschluss zum Beispiel oder Sprachkenntnisse. Nicht jeder, der irgendwo in Pakistan, in Afghanistan oder in der Türkei den Koran auswendig gelernt hat, soll hier als Imam arbeiten können.” Womit er auch die bisherigen innerreligiösen Missstände scharf kritisiert.
Zweiter Fall Khorchide programmiert?
Unklar bleibt freilich, welche Durchgriffsrechte die IGGiÖ auf eine derartige Fakultät haben kann. In Deutschland hat eine ähnlich diffuse Lage zu massiven Spannungen um den renommierten Theologen Khorchide geführt .
Und unklar bleibt, inwiefern Aleviten und Shiiten von einer derartigen Forderung betroffen sind – und ob sie gegebenenfalls Mitspracherechte bei der geplanten Fakultät haben werden, wenn die IGGiÖ solche eingeräumt erhält.
Laizisten fordern einheitliches Religionsgesetz
Vernichtende inhaltliche Kritik kommt von der Initiative gegen Kirchenprivilegien. Dass Shiiten und Aleviten ohnehin nicht von der Reform erfasst werden könnten, werfe die Frage auf, “inwiefern eine Gesetzesreform im derzeitigen rechtlichen Rahmen überhaupt sinnvoll ist”, sagt Sepp Rothwangl.
Initiativen-Mitglied und Nationalratsabgeordneter Niko Alm (NEOS) zeigt sich enttäuscht, dass es die Bundesregierung bei Flickwerk belasse, das noch dazu offenbar inhaltlich ungeeignet sei. Er fordert, dass es statt der zahlreichen Sonder- und Parallelgesetze für Religionen ein einheitliches Gesetz geben soll. “Der zuständige Minister Josef Ostermayer sollte die Initiative ergreifen und einen großen Schritt in Richtung Gleichstellung verschiedener Religionen und metaphysischen Weltanschauungen unternehmen und bei dieser Gelegenheit auch den längst überfälligen Abbau der Kirchen- und Religionsprivilegien im restlichen Gesetzesbestand beginnen.”
Womit auch der fachlich ohnehin nicht zuständige Außenminister Kurz ausgebremst wäre, der in dieser Causa alles andere als eine glückliche Figur gemacht hat. Die Umsetzungschancen von Alms Forderung tendieren freilich gegen Null.