Vom „Du“ zum „Sie“ – Kindheit ade

BERLIN. Es war Samstag, der 5. Mai, 11:00 Uhr vor dem Friedrichstadtpalast.

Kein Wölkchen trübte den Himmel, ein Sommertag im Frühling – ein wunderschöner Feier-Tag. Eine schier unübersichtliche Menge festlich gekleideter Menschen jeden Alters belegte den Gehweg und die Treppen von Europas größtem Revuetheater. Das Getümmel an jenem Ort zu dieser Zeit veranlasste einen schon etwas älteren Herrn, mich zu fragen: „Was ist denn da heute los?“ Jugendfeier, antwortete ich, relativ kurz angebunden, immer noch gestresst von der unerwarteten, zermürbenden Parkplatzsuche und nun probierte ich, die grüne Ampel auch mit in’s Bild zu bringen. „So viele? Ach, wie schön. Na, dann viel Spaß auch“, rief er mir noch zu.

Na, das hob doch meine Stimmung und schon drängelte ich mich durch’s Foyer, die Treppen zum Parkett hinauf und hinein in den Saal. Die Bühne, noch verdeckt mit einem durchsichtigen Vorhang, dahinter das Logo des Humanistischen Verbandes und der Schriftzug „JugendFEIER 2007“.

Es war noch gar nichts passiert und doch überkam mich plötzlich eine sehr feierliche Stimmung. Der Saal war, bis auf freie Plätze für die Jugendlichen, gefüllt mit etwa 1800 Angehörigen, wie der Berliner Kurier schrieb, der Mädchen und Jungen, die heute ihren symbolischen Abschied von der Kindheit feiern wollten.

Unter anhaltendem Applaus und Blitzlichtgewitter hielten sie Einzug, die Feierteilnehmer/innen, jeder mit einer Rose und dem Buch „Zwischen nicht mehr und noch nicht“ unter dem Arm. Manchen stand die Aufregung im Gesicht geschrieben, andere taten eher cool. Etwas unsicher und scheu waren sie aber wohl alle.

Nun begann die Festveranstaltung. Geprägt von temperamentvollen, feierlichen, aber auch nachdenklichen Momenten behandelten die dargebotenen Lieder, Theater- und Tanzszenen natürlich Fragen des Erwachsenwerdens. Es war wie im richtigen Leben: Streit und Versöhnung, Loslassen und Freundschaft.

Was ist JugendFEIER eigentlich?

Seit mehr als 150 Jahren ist die JugendFEIER das bedeutendste Fest für konfessionlose Jugendliche. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten Mitglieder freigeligiöser Gemeinden mit der „Jugendweihe“ eine alternative Festkultur, um den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenwerden zu begehen. Wie früher haben sich die Jugendlichen über Monate vorbereitet – nur heute viel moderner: Ein Video gab Einblicke in Workshops und Projekte des HVD, in denen sich die Jugendlichen intensiv und kreativ auf das Erwachsenwerden eingestimmt haben. Themen wie Mitbestimmung, Drogen, Gewaltprävention, Geschichte und das Leben in anderen Kulturen standen auf dem Programm. Neue Aspekte im Umgang mit dem PC, Film und Fotografie wurden entdeckt und beim Comiczeichnen, Malen und Theaterspielen die Kreativität gefordert. Neben den verschiedenen Angeboten wie „Mensch und Gesellschaft“ oder „Kreatives und Sport“, ErlebnisCamp oder die regelmäßig offenen JugendFEIER-Treffs bei den Jungen Humanisten gab es auch eine ProjektNacht im Weinmeisterhaus. Endlich mal 'ne Nacht durchmachen. Das waren für die Mädchen und Jungen erlebnisreiche Stunden, in denen sie auch erfuhren, dass überall auf der Welt die Kinder zwischen 13 und 14 Jahren an der Schwelle des Erwachsenwerdens stehen, dass es aber in allen Kulturen anders gefeiert wird.

Die „letzte Fete vor’m Erwachsenwerden“ im Matrix war ein Höhepunkt in der Vorbereitung auf die JugendFEIER.

Zwischen den einzelnen Szenen der Bühnenshow sprachen Barbara Kellerbauer und Dirk Michaelis Jugendliche wie Eltern gleichermaßen an, u.a. mit Lebensweisheiten von Lew Tolstoi:
„Das Glück besteht nicht darin, daß du tun kannst, was du willst, sondern darin, daß du auch immer willst, was du tust.“
Oder auch von Jean Anouilh:
„Kinder müssen die Dummheit der Erwachsenen ertragen, bis sie groß genug sind, sie selber zu machen“.

Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Christian Hanke, benutzte am Anfang seiner Festrede das „Du“, als er den jungen Menschen mit auf den Weg gab: „Freiheit, Selbstbestimmung, Gleichheit und Solidarität – diese Grundwerte mögen Euch durch das Leben begleiten. Es geht um Euch als Person, aber auch um die Gemeinschaft, damit dies in Respekt und Frieden gelingt.“ Die Aufforderung am Ende seiner Rede ging an „Sie“, frei nach dem Philosophen Imanuel Kant. „Haben Sie Mut, ihren Verstand und Vernunft zu benutzen, selbstbestimmt zu leben.“

„Geh deinen Weg, doch schau dich um“ ermutigte ein Song und betonte die humanistischen Werte Selbstbestimmung und Solidarität. Dr. Bruno Osuch, Vorsitzender des HVD Berlin, sagte: „Mit eurer Teilnahme an der JugendFEIER zeigt ihr, dass ihr frei und eigenständig denken und leben wollt. Nehmt eure eigenen Wünsche und Träume ernst, versucht Spielräume zu erkennen und habt den Mut, Entscheidungen zu treffen.“

Thomas Maser sang „Wo willst du hin, was wirst du tun und das ohne Kompromiss?“

Was bedeutet es, erwachsen zu werden und für welche Werte werden sie, die heute ihre Kindheit symbolisch verabschiedeten, kämpfen und eintreten? „Erwachsen werden heißt für mich selbständiger werden“, so z.B. Antonio. Für Judith steht fest, dass sie „nicht nur Rechte haben wird, sondern auch mehr Verantwortung übernehmen muss“. „Toleranz und Respekt gegenüber anderen“ wünscht sich Sebastian und für Nadine gehören „Familie und Freundschaft“ unbedingt zum Leben“.

Mit „Hey Jude“, Komposition und Text von Paul McCartney und John Lennon, leitete das große Finale ein. Ein Song, der 1968 entstand und den Sohn John Lennons, John Charles Julian Lennon, trösten sollte, weil seine Eltern sich gerade scheiden ließen. Und ein Song, der, zumindest der älteren Generation, unter die Haut geht. Aber vieles in dieser Feier war ja auch für Mama und Papa, Oma und Opa gedacht.

Stehende Ovationen von den Zuschauerrängen, alle Mitwirkenden gemeinsam mit den „Gefeierten“ auf der Bühne – emotionaler und temperamentvoller Ausklang – eine sehr gelungene und für die Teilnehmenden sicher unvergessene Feier.

Alle strömten nun dem Ausgang zu – der offizielle Teil war vorüber. Auch ich bahnte mir einen Weg nach draußen, vorbei an strahlenden jungen Menschen, schüttelte noch die eine und andere Hand, wünschte viel Glück und noch eine schöne Feier im Kreis von Verwandten und Freunden, denn es war sicher: Jetzt ging die Party richtig los.

Die Auftaktveranstaltung für 430 Teilnehmer/innen der JugendFEIER war beendet. Insgesamt werden es 1350 Mädchen und Jungen sein, die in diesem Jahr beim HVD Berlin ihren Abschied von der Kindheit feiern.

Einige Impressionen im Anhang

GG