„Sie lösen sich völlig vom Gesetz!“

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Justitia / Foto: pixelio-hhsow

BERLIN. (hvd-b/hpd) Im Zivilprozess des Vorsitzenden des Humanistischen Verbandes Deutschland (HVD), Landesverband Berlin, Dr. Bruno Osuch gegen die Birthler-Behörde hat gestern die erste Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin entschieden, dass die Aktenauskünfte sowie die Herausgabe personenbezogener Akten der MfS-Aktenbehörde rechtswidrig waren.

Die Kammer hat der Birthler-Behörde die Herausgabe personenbezogener Akten untersagt. Zugleich untersagte das Gericht der Behörde zu verbreiten: „Bruno Osuch war auf den MfS-Vorgang ‚Gruppe Aktion’ erfasst.“ Weiterhin hat das Gericht festgestellt, dass die Erteilung der Auskünfte sowie die Akteneinsicht rechtswidrig waren, und dass die Behörde Herrn Dr. Osuch nicht als „Begünstigten“ im Sinne des Stasiunterlagengesetz einstufen darf. Schließlich ist die Behörde dazu verurteilt worden, den Empfängern ihrer Mitteilungen die Tatsache mitzuteilen, dass die Auskünfte rechtswidrig waren. Damit hat das Gericht der Klage des HVD-Vorsitzenden in vollem Umfang stattgegeben. Eine Berufung ist zulässig (Az. VG 1 K 282.09).

Der Landesvorsitzende des HVD Berlin Dr. Bruno Osuch hatte die für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zuständige Behörde (BStU) verklagt, weil die Behörde gegenüber Medienvertretern Unterlagen zu seiner Person herausgegeben hatte. Diese wurden mit einem Kommentar versehen, der unterstellte, dass Dr. Osuch Mitglied einer DKP-Militärorganisation, der sog. Gruppe Ralf Forster bzw. Gruppe Aktion, gewesen sei, die vom damaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) ausgebildet und angeleitet wurde. Auf der Basis dieser Aussagen entstanden mehrere Zeitungsberichte, die Dr. Osuch zu Unrecht mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR in Verbindung brachten. Gegen die berichtenden Medien „Die Welt“, „Berliner Morgenpost“ und „BZ“ ist bereits ein Urteil wegen unzulässiger Verdachtsberichterstattung ergangen. Im Prozess gegen die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“, die ebenfalls diese Informationen kolportierte, steht ein Urteil vor dem Hamburger Landgericht noch aus.

Die Richter, die heute unter dem Vorsitz des stellvertretenden Gerichtspräsidenten Dr. Hans-Peter Rueß den Fall begutachteten, stellten zu Beginn der Verhandlung fest, dass die entscheidende Frage sei, ob die Herausgabe der personenbezogenen Unterlagen zu Dr. Osuch rechtmäßig gewesen war. Eine solche Herausgabe kann nach Stasiunterlagengesetz (StUG) nur dann erfolgen, wenn es sich bei den betroffenen Personen um Mitarbeiter oder Begünstigte der Staatssicherheit handele.

Dr. Osuch wurde im Frühjahr – trotz erheblicher interner Bedenken – von der Behörde vom „Betroffenen“ zum „Begünstigten“ umkategorisiert. Die haarsträubende Begründung dafür lieferte die Behörde in der Verhandlung. Da Dr. Osuchs Name auf einer Liste von Personen erschien, die im Zusammenhang mit der DKP-Militärorganisation vom MfS geführt wurde, ist er im Amt vom Opfer zum Täter gemacht worden. Dass er damit aktenkundig zu allererst Opfer der Ausspähung durch das MfS war, wie der stellvertretende Richter Marticke in der mündlichen Verhandlung ausführte, wurde von der Behörde geflissentlich ignoriert. Die BStU gehe grundsätzlich davon aus, dass niemand zufällig und ohne eigene Kenntnis auf dieser Liste lande und sich daraus ein Begünstigtenstatus ergebe, äußerten sich die Vertreter der BStU gegenüber den Richtern. Mit Erschütterung reagierte das Gericht auf diese Aussage. Allein auf der Basis eines Eintrags durch MfS-Mitarbeiter sei kein Beweis einer strafrechtlich relevanten Tätigkeit erbracht, erklärten die Richter den Behördenvertretern. Es müsse zumindest einen Beleg dafür geben, dass eine Straftat stattgefunden und die betroffene Person sich damit schuldig gemacht habe. Oder wie es Richter Marticke formulierte: „Es kann keine Straftat geben, von der der Täter nichts weiß.“

Die oberste Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen beharrte dennoch auf ihrer Rechtsauffassung. „Sie lösen sich völlig vom Gesetz“ entgegnete der Vorsitzende Richter Dr. Rueß daraufhin den Vertretern der angeklagten Behörde. Eine Herausgabe der Akten sei nur dann rechtens, wenn der Mitarbeiter- oder Begünstigtenstatus einer Person aus den Akten hervorgehe. Dies ist bei der „schütteren Faktenlage“ im Fall Dr. Osuch jedoch nicht der Fall, so Richter Rueß weiter.

In der gesetzlichen Grundlage der Behörde ist der Begünstigtenstatus eindeutig gefasst (StUG § 6 Abs. 6). Als Begünstigte werden dort Personen definiert, die vom Staatssicherheitsdienst durch die Verschaffung beruflicher oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteile wesentlich gefördert worden sind oder Personen, die bei der Strafverfolgung verschont wurden. Beides trifft auf Dr. Osuch augenscheinlich überhaupt nicht zu. Die dritte Möglichkeit, als Begünstigter der DDR-Staatssicherheit eingestuft zu werden, besteht theoretisch dann, wenn die betroffene Person mit Wissen, Duldung oder Unterstützung des Staatsicherheitsdienstes Straftaten gefördert, vorbereitet oder begangen hat. Im Mittelpunkt des Prozesses stand daher die Frage, ob strafrechtliches Verhalten des Dr. Osuch zum Zeitpunkt der Medienmitteilung aktenkundig war. Dafür konnte die angeklagte Behörde nicht ansatzweise Nachweise erbringen. Vielmehr wurde deutlich, dass archivarisch nach dem vorhandenen Aktenbestand nicht feststehe, dass Dr. Osuch an der Gruppe Ralf Forster beteiligt gewesen sei oder sich an Straftaten beteiligt habe. Dies sei aber Voraussetzung dafür, ihn als „Begünstigten“ einzustufen. Das Gericht machte daher in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass die BStU für die vorgenommenen Eingriffe in das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Dr. Osuch keine Ermächtigung hatte.

Osuch: “Was die Birthler-Behörde mit mir gemacht hat, ist ein juristischer, politischer und moralischer Skandal!”

Der Kläger und Vorsitzende des Humanistischen Verbandes Deutschland, Landesverband Berlin, Dr. Bruno Osuch äußerte sich nach der Verhandlung empört über das Vorgehen der Behörde in seinem Fall. Die Erörterung der Sachlage habe deutlich ergeben, dass es keinerlei Nachweis für die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe gebe. „Was die Birthler-Behörde mit mir gemacht hat, ist ein juristischer, politischer und moralischer Skandal“, sagte Osuch noch im Verhandlungssaal. Darüber hinaus habe die Behörde wissend in Kauf genommen, dass sie mit der ungerechtfertigten Umkategorisierung seiner Person zu einem „Begünstigten“ der Stasi und der darauffolgenden Herausgabe der personenbezogenen Unterlagen an Medienvertreter entscheidend einen gesellschaftspolitischen Prozess in Berlin beeinflusst habe. Die schweren Verdächtigungen gegen den Vorsitzenden des HVD Berlin wurden inmitten der Hochphase des Wahlkampfs zur Abstimmung über das von der „Initiative Pro Reli“ eingereichte Volksbegehren von der konservativen Presse erhoben.