Die "Muslimbruderschaft" nach dem Umbruch in Ägypten

(hpd) Die Journalistin Petra Ramsauer nimmt in ihrem Buch “Muslimbrüder. Ihre geheime Strategie. Ihr globales Netzwerk” eine Art “Bestandsaufnahme” zur Entwicklung der islamistischen Organisation nach dem Umbruch in Ägypten vor. Entgegen des dramatisierend wirkenden Untertitels handelt es sich keineswegs um eine spekulative Darstellung, hält sich die Autorin doch mit Einschätzung leider häufig allzu sehr zurück.

Wie steht die “Muslimbruderschaft” nach dem “Arabischen Frühling” da? Zunächst hatte sie bei Wahlen in Ägypten gesiegt und dort den Ministerpräsidenten gestellt. Nach dessen wenig erfolgreicher Politik, vor allem im Bereich der Wirtschaft, kam es zu massenhaften Protesten und seinem Sturz.

Die alten wie neuen Machthaber im Militär gingen fortan repressiv gegen die “Muslimbrüder” vor. In dieser Situation ist der zukünftige politische Weg der Organisation unklar, wie auch Petra Ramsauer in ihrem Buch “Muslimbrüder. Ihre geheime Strategie. Ihr globales Netzwerk” meint. Die Organisation befinde sich “derzeit an einer zentralen Weggabelung zwischen Radikalisierung und Modernisierung” (S. 7). Dies will die Autorin anhand von Gesprächen mit Funktionsträgern inner- wie außerhalb Ägyptens deutlich machen. Sie weist dabei aber auch auf folgendes Problem für ihre Betrachtung und Recherche hin: “Bewusste Verschleierungstaktik und chaotische Machtkämpfe innerhalb der Gruppen spielen nach wie vor eine große, unberechenbare Rolle” (S. 8).

Zunächst skizziert die Autorin die gegenwärtige politische Rahmensituation für die “Muslimbruderschaft”, die ja erst ein Gewinner und dann ein Verlierer der Umbrüche in Ägypten war. Danach geht es um Organisationsstruktur und Ziele, wobei es heißt: “Bis heute ist der spirituelle Führer in Ägypten der Kopf der Bruderschaft und geblieben ist auch die Struktur der usras als Fundament der Bewegung. … Das engmaschige Netz dieser Zellenstruktur ermöglicht die totale soziale und politische Kontrolle der Mitglieder, sorgt für einen engen inneren Zusammenhalt und schützt die Bewegung vor Infiltration” (S. 45). In diesem Kontext geht es auch um die Rolle von Extremismus und Gewalt in der “Muslimbruderschaft”, gilt doch die Positionierung zu derartigen Fragen als Kristallisationspunkt für die Einschätzung der Organisation. Ein herausragender Gradmesser dafür wäre die Einstellung der “Muslimbrüder” zu Dschihadisten und Salafisten hinsichtlich der Bildung eines gemeinsamen politischen Blockes.

Beispielbild

Dem folgend konzentriert sich Ramsauer noch einmal auf die Situation in Ägypten, wo nach einem langen Marsch an die Macht ihr Sieg mit der fehlerhaften Politik in der Regierung verspielt wurde. Zur Erklärung heißt es: “An diesem Phänomen ist vorrangig die Unfähigkeit der Muslimbrüder schuld, sich aus dem verschworenen Kaderdenken zu lösen und sich … einer Koalition mit liberalen Kräften zu öffnen” (S. 91). Gleichwohl gab es auch Neuerungen, was an der zunehmenden Rolle von Frauen in der Organisation deutlich wird. Anschließend wirft die Autorin noch einen Blick auf die Entwicklung außerhalb von Ägypten, etwa hinsichtlich der Wiedererweckung der “Muslimbruderschaft” in Jordanien, Marokko oder Tunesien. Im letzten Teil steht noch das Agieren der Organisation in Europa und den USA im Zentrum des Interesse, handelt es sich doch um ein Netzwerk mit Sektionen in mindestens 79 Ländern der Welt. Deren “Geheimniskrämerei schützte die Bewegung, schuf aber viel Raum für Spekulationen und … Verschwörungstheorien” (S. 188).

Ramsauer legt mit “Muslimbrüder” ein anschaulich geschriebenes und inhaltlich kenntnisreiches Buch zum Thema vor, welches von ihren direkten Eindrücken als langjährige Fachjournalistin geprägt ist und auf Gesprächen mit Beteiligten und Fachleuten basiert. Bereits im Vorwort heißt es: “Wer in meinem Buch nach Vorurteilen oder auch nach einer Beurteilung sucht, wird nicht fündig” (S. 8). Letzteres stimmt nicht ganz, lassen sich hier und da doch einige Einschätzungen finden. Indessen belässt Ramsauer es in der Tat meist bei Beschreibungen, womit viele Fragen offen bleiben. Dies mag in der Natur der Sache – oder anders formuliert: an der Entwicklung der “Muslimbruderschaft” selbst – liegen. Insgesamt hätte man doch gern einige Positionierungen vernommen. Insbesondere wenn der Untertitel “Ihre geheime Strategie. Ihr globales Netzwerk” gewählt wird, sollte es dazu auch Kommentierungen geben. Wenn Ramsauer im letzten Satz die Stellungnahme, man könne das Netzwerk angeblich nicht verstehen, zustimmend zitiert, enttäuscht sie ihre Leser ein wenig.

 


Petra Ramsauer, Muslimbrüder. Ihre geheime Strategie. Ihr globales Netzwerk, Wien 2014 (Molden-Verlag), 208 S.