Die Muslimbruderschaft – Wandel zur Demokratie?

(hpd) Christian Wolff untersucht in seiner Studie "Die ägyptische Muslimbruderschaft. Von der Utopie zur Realpolitik" die politische Entwicklung der "Mutterorganisation" des Islamismus. Ob der von ihm konstatierte Wandel hin zur Demokratie auch im Sinne eines demokratischen Verfassungsstaates überzeugend erfolgte, darf mit guten Gründen bezweifelt werden.

Die 1928 in Ägypten entstandene "Muslimbruderschaft" gilt als eine Art "Mutterorganisation" des Islamismus: Spätere Gruppen, Organisationen oder Parteien, die im Namen eines "politischen Islam" agierten, beriefen sich ideologisch, organisatorisch oder strategisch auf diese wohl wirkmächtigste Vereinigung im arabischen Raum. Indessen dürfen und können nicht alle islamistischen Bestrebungen nur im Kontext der "Muslimbruderschaft" gedeutet werden, gingen sie doch je nach historisch-politischer Situation in den jeweiligen Ländern ganz unterschiedliche Wege. Auch die "Muslimbruderschaft" selbst entwickelte sich im Laufe ihrer Existenz weiter. Dies thematisiert Christian Wolff in seiner Studie "Die ägyptische Muslimbruderschaft. Von der Utopie zur Realpolitik".

Darin will er der Frage nachgehen, ob die Organisation "ihre Radikalität, die sich seit ihrer Gründung 1928 besonders in der Installierung eines paramilitärischen Flügels (…) ausgedrückt hat, tatsächlich zugunsten einer auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fußenden Ideologie abgelegt hat" (S. 8).

Nach einem Überblick zur Forschung liefert der Autor zunächst einen historischen Abriss zur Geschichte der "Muslimbruderschaft", wobei er folgende Phasen unterscheidet: Gründung und Aufbau (1928–1936), militärische Aktivität und Bedeutungsgewinn (1936–1952), Ära unter der Herrschaft Nassers (1952–1970), politische Einbindung unter Sadat (1970–1981) und Parlamentarisierung und staatliche Repression (1981–2005). Dem folgen Betrachtungen zur ursprünglichen Ideologie des Begründers Hasan al-Banna und der ideologischen Radikalisierung durch Sayyid Qutb. Danach widmet sich Wolf ausführlicher der politischen Praxis seit 1984, wobei das Engagement in Berufsverbänden und in Wahlbündnisses, aber auch das Verhältnis zu Wahlen überhaupt im Zentrum des Interesses steht. Und schließlich geht es auch um die "Parteiwerdung" als Prozess, der in Konfrontation mit dem früheren Mubarak-Regime erfolgte und aus Sicht des Autors auch zu einer Umorientierung in Bereichen wie Frauenbild, Minderheitenrechten oder Staatstheorie führte.

Wolff postuliert nämlich einen grundlegenden Wandel der "Muslimbruderschaft": "Der utopische islamische Staat ist in einer Uminterpretation desselben zu einem zivilen Staat geworden. … In Anerkennung der politischen Realitäten hat sich die Muslimbruderschaft nicht als strikter Systemfeind erwiesen, sondern sich als Reformmotor dargestellt, der auf der ägyptischen Verfassung … aufbauend versucht, das politische Geschehen zu demokratisieren. … Mit der wiederholten Betonung, dass die Muslimbruderschaft nicht als erstes nach der Macht, sondern nach der Reform des Staates strebe, nimmt sie dem Vorwurf die Basis, sie wollte letztendlich ein totalitäres Regime errichten. … Das ideelle Hauptziel der Errichtung eines islamischen Staates ist in einer schrittweisen Entwicklung besonders seit 1984 in kleine Forderungen zerlegt und so in einen Machbarkeitsstatus versetzt worden. Mit den politischen Festlegungen im … Entwurf des Wahlprogramms der Bruderschaft ist es dieser gelungen, ihre Position endgültig zu konkretisieren" (S. 151, 153, 155).

Wolf macht durch seine historisch-politisch angelegte Darstellung deutlich, dass sich die "Muslimbruderschaft" im Vergleich zu ihrer Frühphase tatsächlich ideologisch, organisatorisch und strategisch gewandelt hat. Ob aber wirklich von einer Demokratisierung gesprochen werden kann, darf mit guten Gründen bezweifelt werden.

Die skizzierte Entwicklung dürfte zu gewichtigen Teilen mehr durch die geänderten historisch-politischen Rahmenbedingungen erklärbar sein. Auch wenn sich die "Muslimbruderschaft" heute auf die Demokratie bezieht, so ist doch eher ein spezifisch "islamisches Demokratieverständnis" gemeint. Wolff unterließ es leider, solche zentralen Arbeitsbegriffe wie eben "Demokratie" zuvor als Analysekriterium zu definieren. Darüber hinaus machen auch die im Anhang abgedruckten Gesprächsprotokolle deutlich, dass er all zu unkritisch die Selbstdarstellungen der Funktionäre wiedergegeben hat. Diese kritikwürdige Schlagseite der Darstellung entwertet leider auch ein wenig den Informationsgehalt der Studie.

 


Christian Wolff, Die ägyptische Muslimbruderschaft. Von der Utopie zur Realpolitik, Hamburg 2008 (Diplomica Verlag), 179 S.