Israelbezogener Antisemitismus – 16 Thesen zur Veranschaulichung

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Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2024, das sich zum ersten Mal jährte, eskalierte erneut der Antisemitismus, nicht nur in Deutschland, sondern in vielen anderen Ländern. Doch wie lassen sich israelbezogener Antisemitismus als Judenfeindschaft und legitime Kritik an der israelischen Politik unterscheiden?

hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber legte dazu für die Konferenz "Antisemitismus als Brückenphänomen" der Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen das folgende Thesenpapier vor:

Antisemitismus wird hier definiert als Feindschaft gegen Juden als Juden, wobei diese Einstellung nicht nur bei einer direkten Konfrontation gegen Personen, sondern auch über Narrative in der Öffentlichkeit vermittelt werden kann.

Folgende Besonderheiten existieren gegenüber anderen Formen "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit": Blickrichtung von "oben" und "unten", mitunter "weltanschauliche" Darbietung, historische Erfahrung der Shoah, geschichtliche wie universelle Verbreitung.

Idealtypisch lassen sich ideologische Formen (religiöse, soziökonomische, politische, nationalistische, rassistische) und Intensitätsgrade (latente, manifeste Einstellungen, eingeforderte, praktizierte Handlungen, gewalttätige, mörderische Praktiken) unterscheiden.

Aufgrund der öffentlichen Diskreditierung der Judenfeindschaft ist diese häufig in einer "Kommunikationslatenz" (Bergmann/Erb) präsent, sie artikuliert sich aber auch als Disposition hinter einer Israelfeindlichkeit bei der Kommentierung des Nahostkonflikts.

Da aber kritische Einwände gegen die israelische Politik nicht immer eine antisemitische Prägung haben müssen, bedarf es einer Differenzierung bei der Einordnung einschlägiger Positionen, wozu Kriterienkataloge mit unterschiedlichen Prägungen entstanden.

Eine bekannte Definition der IHRA spricht diffus von "einer bestimmten Wahrnehmung" die sich "als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann", wobei auf "klassische" Formen der Judenfeindschaft verwiesen wird, ohne sie aber für diesen Kontext aufzuschlüsseln.

Aus "Dämonisierung", "Delegitimierung" und "Doppelstandards" besteht der "3-D-Test", wobei zwar für einen israelbezogenen Antisemitismus jeweils Bestandteile genannt werden, es aber diese formalen Besonderheiten auch ohne judenfeindliche Prägungen geben kann.

Eine "Jerusalem Declaration on Antisemitism" stellt zwar auf die "Feindschaft gegen Juden als Juden" als zentrales Kriterium ab, ist aber erkennbar durch ein informelles Abstreiten des Antisemitismus bei BDS-Boykottforderungen für den öffentlichen Diskurs motiviert.

Alle drei Definitionen betonen wichtige Gesichtspunkte für eine Unterscheidung, gehen aber bei der Begriffsbestimmung nicht systematisch auf den für Judenfeindschaft bestehenden Kerninhalt ein: Antisemitische Einstellungen werden auf das Israelbild übertragen.

Demnach muss der ideengeschichtliche Bezug in einschlägigen Diskursen betrachtet werden, also nach dem direkten oder indirekten Anknüpfen an traditionelle judenfeindliche Diskurse gefragt werden, was die Entwicklung einer einschlägigen Typologie nötig macht.

Darüber hinaus gilt es, nach den möglichen Folgen einzelner politischer Forderungen zu fragen, was etwa die über Boykotte forcierte Existenzgefährdung für dortige jüdische Menschen zu einem Sicherheitsverlust macht und objektiv antisemitische Wirkung hat.

Die direkte Beziehung von Israel- und Judenfeindlichkeit offenbart sich immer wieder, wenn es zu einer Eskalation des Nahost-Konflikts kommt, wobei diese Ereignisse auch zu einem hiesigen Anstieg antisemitischer Einstellungen und Handlungen führt.

Derartige Bezüge veranschaulichen sozialwissenschaftliche Erhebungen wie etwa jüngst für NRW, wonach von den Befragten rund 40 Prozent dem Statement zustimmten, dass ihnen "durch die israelische Politik die Juden immer unsympathischer werden."

Bilanzierend betrachtet lässt sich von einer antisemitischen Israelfeindlichkeit sprechen, wenn in latenter oder manifester Form als "klassisch" geltende antisemitische Narrative ("Kindermörder Israel", "jüdischer Rachegeist") als diskursive Prägungen bestehen.

Zur Differenzierung soll für eine dreiteilige Typologie plädiert werden: erstens eine antisemitische Israelfeindlichkeit, zweitens eine nicht-antisemitische Israelfeindlichkeit und drittens eine nicht-antisemitische Kritik der israelischen Regierungspolitik.

Auch ohne Antisemitismus ist Israelfeindlichkeit ein Problem, da es dabei um eine einseitige Betrachtung bei gleichzeitiger Ignoranz von legitimen Sicherheitsinteressen angesichts von gegenüber dem jüdischen Staat bekundeten Vernichtungsabsichten geht.