Rezension

Lernen aus der Geschichte: Demokratie muss nicht scheitern

Der Historiker und Journalist Volker Ullrich, bekannt aus der Wochenzeitung Die Zeit, legt mit "Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik" ein neues Werk vor. Er macht darin deutlich, dass die erste echte parlamentarische Demokratie in der deutschen Geschichte nicht hätte scheitern müssen, hätten die jeweiligen politischen Akteure anders und entschiedener gegen Demokratiefeinde gehandelt.

Soll man historische Ereignisse von ihrem Ende her denken? Diese Blickrichtung hat gewisse Vorteile: So werden die Bedingungsfaktoren für das Geschehene offenkundiger. Gleichzeitig erscheint dann aber Geschichte als unabwendbares Schicksal. Eine derartige Deutung ist vielen Monographien über die Weimarer Republik eigen. Dabei gilt: "Geschichte ist immer offen" (S. 10). Diese schlichte Aussage findet sich in einem neuen Buch zur ersten deutschen Republik: "Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik" lautet der Titel, Volker Ullrich ist der Verfasser. Nicht nur als Autor historischer Bücher wurde er bekannt, viele Beiträge von ihm erschienen auch in der Wochenzeitung Die Zeit. Sein neues Buch beginnt mit "Demokratien sind fragil" (S. 7) als Gegenwartsfeststellung. Und als Historiker bemerkt Ullrich dazu: "Wir haben es in der Hand, ob unsere Demokratie scheitert oder überlebt" (S. 10). Diese Einsicht zieht sich auch durch seine Geschichtsbetrachtung über die Weimarer Republik.

Das Buch ist eine beschreibende Darstellung, so wie es sich für einen Historiker gehört. Der Autor blickt dabei immer wieder auf die Ereignisse, welche die Politik in eine andere Richtung geführt haben könnten. Und genau diese Darstellungs- und Denkperspektive macht "Schicksalsstunden einer Demokratie" interessant. Die elf Kapitel beziehen sich dementsprechend auf bedeutsame Wendepunkte. Den Beginn machen die Revolution von 1918/19, der Kapp-Lüttwitz-Putsch und der Mord an Walther Rathenau. Danach geht es um die Krisen von 1923, die Wahl Hindenburgs und den Bruch der Großen Koalition. Dem folgen Ausführungen zur Regierungsbeteiligung der NSDAP in Thüringen, dem Sturz von Brüning und Papens Staatsstreich gegen Preußen. Abschließend stellt der Autor die Machtübertragung an Hitler und die Reaktionen auf den 30. Januar 1933 ins Zentrum. Dies alles geschieht in der für den Autor bekannten anregenden Schreibe. Er bleibt dabei der deskriptive Historiker, manchmal hätte man sich mehr den systematischen Interpreten gewünscht. Einschlägige Erörterungen finden sich dann eher am abschließenden Rande.

So fällt etwa der kritische Blick bereits im ersten Kapitel auf die damalige Mehrheitssozialdemokratie, sei doch bezogen auf die Demokratisierung bereits in den ersten Jahren mehr möglich gewesen. Gegen die Feinde der Republik sei man nicht entschieden genug vorgegangen, umso leichter hätten sie später zum Gegenangriff auf die demokratische Ordnung übergehen können. Auch nach entscheidenden Ereignissen wie Morden und Putschversuchen hätte die Republik mehr Verteidigung verdient gehabt. Deutlichere Auffassungen dazu werden von zeitgenössischen Quellen vermittelt: "Steh einmal auf! Schlag mit der Faust darin./Schlaf nicht nach vierzehn Tagen wieder ein! Heraus mit deinen Monarchistenrichtern,/mit Offizieren – und mit dem Gelichter …" (S. 102), so wird Kurt Tucholsky zitiert. Doch so einfach wie er als Dichter meinte, konnte es in der Politik nicht gehen. Dazu hätte man gern mehr Erörterungen von Ullrich gelesen. Alternativen wären immer möglich gewesen, das veranschaulicht der Historiker gleichwohl.

Dies macht auch Hindenburgs erfolgreiche Präsidentschaftswahl von 1925 deutlich, als tiefer Einschnitt für die Republik gedeutet: "Unvermeidlich war die Wahl Hindenburg keineswegs" (S. 149). Und dann folgen "hätte", "hätte", "hätte" in viele politische Richtungen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen dann noch die beiden Schlusskapitel, verweisen sie doch auf die Krise der NSDAP 1932 und 1933. Erstmals hatte man einen Einbruch bei Wahlen zu verzeichnen, es setzte gar eine Austrittswelle bei den Mitgliedern ein, und der Frust unter den Hitler-Verehrern wuchs immer mehr. Deutlich verweist der Autor hier auf die "konservative[n] Steigbügelhalter" (S. 308), welche dem Irrtum einer Steuerungsmöglichkeit erlegen waren. Nicht nur diese Ausführungen machen deutlich, dass man gerade heute aus der Geschichte viel lernen kann. Dies gilt auch für das Kapitel über Thüringen, kam dort doch die NSDAP erstmals in eine Regierung. Man hätte zu all dem in dem Buch mehr Analyse erwarten können, für das Selberdenken bietet es aber viel Stoff.

Volker Ullrich, Schicksalsstunden einer Demokratie. Das aufhaltsame Scheitern der Weimarer Republik, München 2024, C. H. Beck-Verlag, 383 Seiten, 26 Euro

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