¡Die erschöpfte Theorie? (1)

Evolution und Kreationismus in Wissenschaften.       

TRIER. Bildungskongress an der Universität

vom 15.-17. Juni 2007 (Teil 1).

Kreationismus in Deutschland?

Der Trierer Politikwissenschaftler Christoph Lammers weist in seinem Eingangsvortrag "Kreationismus in Deutschland? Vom Streitfall Evolution und dem ‚Bildungsmarkt'" darauf hin, dass Evolutionstheorie durch die Art der Medienpräsenz des Kreationismus auf einen Streitfall reduziert sei, denn ein Spiegel-Titel wie „Gott gegen Darwin" deklariere den Konflikt zwischen Evolutionsbiologie und Kreationismus auf eine Frage des Glaubens. Der wissenschaftliche Ansatz würde so unterwandert. Vor allem in den USA, aber mittlerweile auch in Deutschland nähmen freie, private Schulen zu, an denen wissenschaftliche Standards in Frage gestellt würden. Die Bildungsdebatte, die immer wieder im Verlauf des Kongresses aufkommt, sei somit aktuell.

Verhaltensökologie der Religion

Dr. Jürgen Kunz, Ethnologe aus Kassel, referiert zur "Verhaltensökologie der Religion: nützliche Illusionen in einer aufgeklärten Gesellschaft?" Kunz geht davon aus, dass Religion einerseits auf relativ einfache Weise Erkenntnissysteme des Menschen bedient, somit eine individuelle Anpassung an das Festlegungsproblem darstellt, und andererseits dem Gruppenmanagement dient. Religionsgemeinschaften neigen zur Manipulation der Gläubigen. Intelligent Design sei keine Wissenschaft, sondern religiös und politisch motiviert, sei damit eine Gefahr - da demokratiefeindliche und menschenrechtsverleugnende Inhalte transportiert würden - und zugleich eine Chance für das Verständnis der Evolutionstheorie, da sie eine Diskussion über den Widerspruch Wissenschaft versus Intelligent Design auslöse.

Schöpfungsvorstellungen ante portas?

Der für den 16.6. angekündigte Vortrag von Lee Traynor fiel kurzfristig aus, so dass mehr Zeit für die folgenden Vorträge des Tages blieben. Den Einstieg machte der Inhaber des Lehrstuhls für Biologie und ihre Didaktik an der Universität Dortmund, Prof. Dittmar Graf mit "Schöpfungsvorstellungen ante portas? Das Thema 'Evolution' im Biologieunterricht". Kinder erlernen, so Graf, Schöpfungsvorstellungen sehr früh über religiöse Kinder- und Jugendbücher, ihre Eltern, 20.000 Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft sowie dem Religionsunterricht im 1. und 2. Schuljahr der Grundschule. Dagegen seien Kinder- und Jugendbücher zum Thema Evolution schwer verständlich und zu wenig differenziert, dabei böten sie auch noch eine teleologische Sicht, in der der Mensch als Ziel der Evolution abgebildet werde. Die Situation verändere sich nicht, denn eine Gegenüberstellung der Lehrpläne aller deutschen Bundesländer ergibt folgendes Bild: Im 5. Schuljahr wird in nahezu allen westdeutschen Bundesländern (Ausnahme ist hier das Saarland) Religion unterrichtet, mit dem Schwerpunkt auf der Schöpfungsgeschichte. In keinem Bundesland wird vor dem 11. Schuljahr Evolutionsbiologie unterrichtet – das bedeutet, wer nach dem 10. Schuljahr die Schule abschließt, wurde nicht mit der Evolutionsbiologie vertraut gemacht! Eine eigene, vergleichende Untersuchung von Graf ergab, dass Dortmunder Lehramtsstudierende im ersten Semester (alle Fächer) eher als EvolutionsanhängerInnen gelten können, die Vergleichsgruppe in Ankara hängt eher der Schöpfungsgeschichte an, selbst jene, die Biologie studieren. Selbst der Konrektor der Dortmunder Universität, seines Zeichens Theologe, für Forschung und Lehre zuständig, vertritt öffentlich die Schöpfungstheorie:„Blumen sind farbenprächtig, um Menschen zu erfreuen". Graf endet seinen Vortrag mit der Frage an das Publikum: „Was ist zu tun?"

Evolution der Evolutionstheorie

Auch wenn Darwin der größte Biologe aller Zeiten sei - seine Evolutionsbiologie sei mittlerweile überholt. Damit beginnt der Kasseler Molekularbiologe Prof. Dr. Ulrich Kutschera seinen spannenden Vortrag "Evolution der Evolutionstheorie. Von Darwin zum Intelligenten Design". Dennoch gelte Darwins ursprüngliche Definition von Evolution noch heute, dass sie nämlich „Deszendenz mit Modifikation, d.h. Abstammung mit Abänderung", sei. Das Kriterium für Fitness sei neben der Lebenszeit vor allem der Fortpflanzungserfolg, genauer: die Anzahl der Nachkommen, die sich wiederum fortpflanzen. Da die Evolutionsbiologie bereits über sehr viel Wissen verfügt - es gibt connecting links beispielsweise zwischen den Übergängen von Fischen zu Amphibien, von Sauriern zu Vögeln - sei es möglich wie auch notwendig, den Kreationismus wissenschaftlich in aller Schärfe anzugehen. Wer es noch nicht wusste: Der Mensch stammt nicht vom Affen ab, sondern Menschen und Affen haben gemeinsame Vorfahren, die vor 6-7 Millionen Jahren lebten und Affen-Menschen-Mischwesen waren. Somit seien wir Primaten, Schimpansen würden mittlerweile von einigen Wissenschaftlern als eine zweite Menschenart angesehen. (Ulrich Kutschera wird am 11. Juli 2007 um 22:45 Uhr in der ARD zu sehen in der Sendung "Die Hardliner des Herrn. Christliche Fundamentalisten in Deutschland".)

Wie Kreationisten argumentieren

Für den erkrankten Referenten Torsten Mayerhauser sprang kurzfristig der Biologie-Lehrer Thomas Waschke aus Herborn ein, der den Vortrag eigentlich hatte moderieren sollen. Er berichtete aus seinem Erfahrungsschatz, gewonnen aus häufigen Diskussionen mit Kreationisten und begann damit, dass „unsere Fehler" ihnen Munition lieferten. Daher sei es wichtig zu wissen, wie Kreationisten argumentieren, um ihnen möglichst effektiv begegnen zu können. So seien Standard-Argumente der Kreationisten:
• „Argumentum ad ignorantiam" („Argument, das an das Nichtwissen appelliert"), d.h. aus Nichtwissen folgt Design. Es handelt sich dabei um einen logischen Fehlschluss, bei dem eine These für falsch erklärt wird, allein weil sie bisher nicht bewiesen werden konnte, bzw. eine These für richtig erklärt wird, allein weil sie bisher nicht widerlegt werden konnte. Der Fehlschluss wird ohne Sachargumente gezogen. Der so Argumentierende sieht seine mangelnde Vorstellungskraft oder sein Unwissen als hinreichend für die Widerlegung bzw. Bestätigung einer These an.
• Irreduzible Komplexität,
• Analogieschluss,
womit die Vertreter des Intelligent Design die Beweislastumkehr versuchten! Eine geeignete Replik auf diesen Versuch sei die Forderung, eine überprüfbare Antwort auf die Frage „wann hat welcher Designer wie wo was geschaffen?" zu geben.

Die unerschöpfliche Theorie

Der Wiener Prof. Dr. Franz M. Wuketits, Biologe und Wissenschaftstheoretiker, stellt in seinem Vortrag "Die unerschöpfliche Theorie oder, was die Evolutionstheorie so alles erklärt. Zum Erklärungspotential der Evolutionstheorie", fest, es sei nicht möglich, in der Evolutionsbiologie Einigkeit zu erzielen und als homogene Gruppe aufzutreten. Da die Evolutionstheorie „besser als jede andere Theorie auf der Erde" erkläre, wie Lebewesen, wie der Mensch entstand(en), bestehe trotz Erkenntnislücken kein Anlasse die Evolutionsbiologie insgesamt in Frage zu stellen. Beispielsweise sei die Wahrscheinlichkeit, dass ein Organismus (in zwei Millionen Jahren) zum Fossil wird, sehr gering. Daher könne man aus der Nicht-Existenz eines Fossils - als Beleg - nicht von der Nicht-Existenz eines Lebewesens ausgehen. Die Evolutionstheorie im Allgemeinen akzeptiert, so Wuketits, keine über- oder außernatürlichen „Faktoren", de ihrerseits einer Erklärung bedürfen oder unerklärt bleiben. Sie beruht auf einer großen Fülle von Einzelergebnissen und erklärt eine denkbar große Zahl von Phänomenen nach dem gleichen Muster, d.h. sie ist im Bereich der Lebewesen von universeller Gültigkeit. Wuketits macht einen Unterschied zwischen der Evolutionsbiologie, die er als empirische wissenschaftliche Disziplin mit vielen Teilgebieten definiert und der Evolutionstheorie als große theoretische Klammer, die alle entsprechenden wissenschaftlichen Ergebnisse zu übergeordneten Erklärungen zusammenfasst.

Wuketits geht ferner auf die befürchtete "Entzauberung durch Wissenschaft" ein, indem er darlegt, wie wissenschaftliche Erklärung für bestimmte Phänomene diese Phänomene nicht aufheben. So freue er sich über Musik, selbst wenn er wisse, in welchen Hirnregionen und mit welchen neuronalen Prozessen diese Freude entstehe.

Die Soziobiologie, also das Studium des sozialen Verhaltens der Lebewesen auf evolutionstheoretischer und genetischer Grundlage, sei eine genetische, aber keine deterministische Theorie, betont Wuketits, die Wahrscheinlichkeitsaussagen mache. Natur und Kultur seien keine Gegensätze, aber die kulturelle Evolution gegenüber der biologischen Evolution eine Eigendynamik entwickeln. Dabei verlaufe die Weitergabe von Ideen - die „tradigenetische Evolution" - wesentlich schneller als die biogenetische Evolution.

Darwin ist unschuldig

Als nächster Referent erläutert Dr. Utz Anhalt aus Hannover: Darwin ist unschuldig - Warum der Rassismus in Deutschland mit Darwins Lehre wenig zu tun hat. Sozialdarwinismus sei, so Anhalt, ein Begriff, der häufig mit Rassismus in Zusammenhang gebracht werde. Ursache dafür sei das Missverständnis bezüglich Darwins „Survival of the fittest", welches in Wahrheit bedeute, fit sei derjenige, der am besten passe. Auch habe Darwin die Unterschiede der Menschenrassen in Bezug auf Hautfarbe, Haare etc. nicht bewertet, sondern er habe vielmehr die seelischen und charakterlichen Gemeinsamkeiten zwischen Menschenrassen betont. Eventuelle Vorurteile wie „Zivilisierte" und „Barbaren" trug er als Kind seiner Zeit, überprüfte jedoch seine Einstellungen empirisch und konnte seine Meinung entsprechend ändern. Ergo ist Rassismus von Darwin nicht ableitbar!

Die Tagung wurde in Gänze gefilmt, der Zusammenschnitt wird demnächst auf Youtube abgelegt.

Fortsetzung folgt...

Fiona Lorenz