Michael Moore: Ende eines Mythos?

Während Moores neuer Film "Sicko" in den USA startet, formieren sich seine Gegner. Was taugt die Moore-Kritik?

 

Er ist der Held der amerikanischen Unterschicht, präsentiert sich als Klassenkämpfer und Aufklärer. Die Dokus Bowling for Columbine und Fahrenheit 9/11 reservierten ihm einen Stammplatz im Herzen der Linken. Zu Unrecht?

Es ist nicht neu, dass Michael Moore subjektive Filme dreht, dass er die Lage aus seiner Sicht beschreibt mit dem einen großen Ziel, George W. Bush loszuwerden und nebenbei eine große Sozialreform in den USA durchzusetzen. Mit fundierter Kritik am US-Präsidenten wurden schon mehrere Bücher gefüllt und das soziale Element dürfte in den Vereinigten Staaten mit Sicherheit stärker betont werden. Nun argumentieren Kritiker, dass Moore zu weit geht, um seine Ziele zu erreichen.

Kann die Kritik überzeugen oder hat Moore am Ende doch Recht? Um diese Frage zu beantworten, soll auf einige der Kritikpunkte zu den Moore-Dokus "Bowling for Columbine" und "Fahrenheit 9/11" eingegangen werden. Dazu gibt es eine Vorschau auf seinen neuen Film.

Sicko

Moores neuer Film, der gerade in den amerikanischen Kinos anläuft, behandelt das amerikanische Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen. Selbst sein Erzfeind, der ultrakonservative TV-Sender Fox, lobt Sicko über die Maßen. Offenbar hat er mit dieser Doku einen Nerv von allen Amerikanern getroffen, denn dass die USA die einzige westliche Industriennation ohne allgemeine und kostenlose Gesundheitsfürsorge ist, das stellt ohne Zweifel einen Skandal dar.

Einen solchen hat Moore auch mit seiner Reise nach Kuba ausgelöst. In Sicko macht er sich mit einigen 9/11-Helfern, die gesundheitliche Schäden beim Rettungseinsatz erlitten, auf nach Kuba, weil sie sich in den USA keine Behandlung leisten können. In Guantanamo Bay, wo die so genannten "feindlichen Kämpfer" immerhin kostenlos und hochqualitativ ärztlich behandelt werden, nimmt man die kranken Helfer nicht auf. Die Reisenden finden heraus, dass die Medikamente in Kuba erheblich günstiger und die medizinische Behandlung für alle Kubaner kostenlos und hochwertig ist. Auch die 9/11-Helfer werden in einem regulären kubanischen Krankenhaus aufgenommen und behandelt. Moore drohen Probleme mit der US-Regierung, weil er keine Drehgenehmigung für Kuba eingeholt hatte.

Peinlich war der Film für den Betreiber der Anti-Moore-Website Moorewatch.com, denn Moore schenkte ihm 12 000 Dollar, damit er seine kranke Frau behandeln und seine Website weiterhin betreiben konnte. Auch die privaten Krankenversicherungen der USA werden sich warm anziehen müssen, wenn erst einmal die Beschwerden über ihre im Film aufgedeckten Methoden eintreffen.

Anti-Moore

Die meisten kritischen Websites und Dokus gegen Moore stammen von Rechts, dazu gehört auch die genannte Moorewatch.com, die Doku Manufacturing Dissent jedoch kommt aus Moores eigenem Lager. Die kritische Website Mooreexposed.com wird vom konservativen NRA-Mitglied David Hardy betrieben. Moores Antwort auf diese Angriffe ist der Bereich Wackoattacko, den man auf seiner Website findet.

Bowling for Columbine

1. Waffe zum Konto

In einer der ersten Szenen des Films geht Moore in eine Bank, die jedem eine Waffe schenkt, der für 1000 Dollar ein Konto eröffnet. Die Bank lagert nur einige Waffen innerhalb des Gebäudes, die anderen muss sie bestellen. Es wurde behauptet, dass die Bank gar keine Waffen lagert, sondern sie in einem Tresor aufbewahrt, der 500 Meilen entfernt liegt. Wenn man sich jedoch die Outtakes der Szene ansieht, ist von diesen 500 Meilen keine Rede, zumindest einige Waffen befinden sich sehr wohl im Safe in der Bank. All dies ändert ohnehin nichts an der Tatsache -- und darum ging es Moore -- dass man für die Eröffnung eines Kontos ein Gewehr bekommt.

Quellen: Mooreexposed.com, Wackoattacko und Manufacturing Dissent

2. Die NRA und ihre Reaktion auf das Massaker

Die amerikanische Waffenorganisation National Rifle Association soll laut der Doku absichtlich überall dort aufgekreuzt sein, wo gerade ein Massaker mit Waffengewalt stattgefunden hat, zum Beispiel zehn Tage nach dem Amoklauf von Littleton in Denver. Tatsächlich handelte es sich um ein jährliches Treffen der NRA, schon Jahre im Voraus geplant und gesetzlich verplichtend, wie eine Regionalzeitung berichtet.

Alle anderen Aktivitäten der NRA in der Region wurden abgesagt. Die Rede von Charlton Heston, in der er sein Auftauchen in Denver mit dem Recht verteidigt, als Amerikaner überall dorthin gehen zu dürfen, wo er möchte, wurde aus verschiedenen Teilen der Ansprache zusammengeschnitten, so dass die Aussage etwas entstellt wurde. Hier ein Vergleich der echten Rede in Denver mit Moores Version. Peinlich ist, dass Heston bereits vor einem solchen Versuch warnte, als er in Denver war.

3. Interview mit Charlton Heston

Das Interview mit dem an Alzheimer leidenden Heston gegen Ende der Doku war aufgrund seiner Krankheit etwas geschmacklos. Heston wird als Rassist dargestellt, der sich über "Probleme mit der Bürgerrechtsbewegung" beklagt. Tatsächlich hat Heston in seinen jungen Jahren sowohl die Bürgerrechtsbewegung unterstützt, als auch versucht, Afro-Amerikanern Zutritt zu Hollywood zu verschaffen, als er Direktor der "Screen Actors Guilt" war. Der erste Film-Kuss mit einer Afro-Amerikanerin in "The Omega Man" geht auf sein Konto. In den 1980er Jahren änderte er seine politische Haltung jedoch grundlegend, einst Demokrat trat er nun den Republikanern bei, befürwortete auf einmal den Waffenbesitz und sprach sich gegen Abtreibung aus. Heston erhielt 2001 den "Martin Luther King, Jr. Holiday Award" vom "Congress of Racial Equality (CORE)", einer großen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung - angeblich. CORE ist tatsächlich eine rechtsgerichtete Organisation, die von CEO Roy Innis geführt wird, einem Waffenaktivisten und Kritiker von Umweltgruppen. Dazu kommt, dass CORE mehrere Zahlungen von der Stiftung des Ölgiganten ExxonMobil erhalten hat, was zumindest misstrauisch stimmt.

Es finden sich zwar einige verzerrte Darstellungen und Halbwahrheiten in Bowling for Columbine, doch handfeste Lügen sind eher selten. Letztlich ist der Film eine Polemik gegen die NRA, gegen konservative Medien und gegen die Bush-Regierung. Von Lüg und Trug kann trotz der einseitigen Darstellung keine Rede sein. Vielmehr fällt auf, dass Moores konservative Kritiker seine eigenen Methoden anwenden, um gegen seine politische Haltung zu agitieren, vielleicht sogar noch durchtriebener als Moore selbst.

Fahrenheit 9/11

1. Zu Beginn der Doku versucht Moore die Wahl als gefälscht zu enthüllen. In Wirklichkeit habe Al Gore gewonnen. Dazu verändert er die Titelzeile einer Zeitung, welche zu einem Leserbrief gehörte, nicht zu einem Leitartikel - was aber halb so dramatisch ist, denn sie gibt die Einschätzung des Wahlergebnisses seitens der Medien korrekt wieder und wurde eigentlich nicht gefälscht, sondern nur in der Gestaltung verändert, so dass der Zuschauer den Eindruck gewinnt, es handele sich um eine Titelzeile. Tatsächlich berichteten die US-Medien am Wahltag einhellig, dass Al Gore gewonnen habe und schwenkten erst allmählich auf Bush um. Aufgrund des eigentümlichen Wahlsystems der USA kann man sicherlich argumentieren, dass eigentlich Gore mehr Stimmen erhielt und dass er fairerweise hätte gewinnen müssen. Letztlich musste die konservative Moore-kritische Website Fifty-nine Deceits in Fahrenheit 9/11 selbst zugeben, dass die Aussagen in der Doku nicht falsch sind:

"Alle Video-Clips sind echte Clips und nichts von dem, was er sagt, ist streng genommen falsch."

2. Flucht der Bin Laden Familie

Die Flüge, mit denen die Bin-Laden-Familie außer Landes gebracht wurde, hat laut dem Bericht der 9-11-Untersuchungskommission Richard Clarke zu verantworten, was von kritischen Websites wie eine große Enthüllung dargestellt wird. Moore behauptet aber nichts anderes, vielmehr sagte Clarke vor der National Commission on Terrorist Attacks, nachzulesen unter anderem auf Moores eigener Website, dass die Entscheidung letzten Endes nicht wirklich bei ihm lag, sondern dass er sich dazu genötigt sah, Befehle eines Dritten auszuführen.

3. Moores Position zum Afghanistaneinsatz

Es ist in der Tat eine gute Frage, wie Moores Position eigentlich lautet. Wie Christopher Hitchens ausführt, hat er verschiedene davon, die in dieser Reihenfolge im Film auftauchen: Erstens: Die Bin Laden Familie hatte enge geschäftliche Beziehungen zur Bush-Familie. Das stimmt, die Familie Bin Ladens verfügt weltweit über umfangreiche finanzielle Verbindungen, unter anderem auch zur Bush-Familie. Man erfährt im Film, dass saudisches Kapital eine sehr große Rolle in amerikanischen Auslandsinvestitionen spielen soll, was ebenfalls zutrifft. Die texanische Unocal Company soll mit der Taliban unter anderem über eine Erdgas-Pipeline durch Afghanistan verhandelt haben. 1997 waren die Taliban mit Erlaubnis der Clinton-Regierung in Texas. 1998 ist Unocal aus den Verhandlungen ausgestiegen. Es ist dennoch korrekt: Die Taliban waren in Texas, als Bush dort Gouverneur war, und haben dort mit Unocal über eine Pipeline gesprochen.

Die Bush-Regierung hat angeblich viel zu wenige Bodentruppen nach Afghanistan geschickt und so vielen Taliban und Al Quaida Mitgliedern die Flucht ermöglicht. Diese Aussage verträgt sich angeblich nicht mit Moores Ansicht, man hätte Afghanistan überhaupt nicht angreifen sollen, sondern Saudi-Arabien. Man könnte es aber auch so verstehen, dass es Moore hier für gegeben annimmt, dass man Truppen schickte und kritisiert, dass es in diesem Fall zu wenige waren, also hätte man bestenfalls keine oder wenigstens mehr Truppen schicken sollen. Es war laut Moore überflüssig von der afghanischen Regierung, ihre Hilfe in der Koalition der Willigen anzubieten, da ihr Militär nur aus amerikanischen Truppen bestand, was nicht ganz, aber doch beinahe zutrifft. Die verlorenen Leben in Afghanistan sollen Moores Ansicht nacht eine Verschwendung gewesen sein und wenn der Krieg ein Fehler war, dann waren die dort verlorenen Leben logischerweise eine Verschwendung. Natürlich muss man das aber nicht so sehen.

 

4. Urlaub und FBI-Dokument

Moores nächste These: Bush nimmt zu viel Urlaub. In der Szene, in der sich Bush angeblich im Camp David entspannt, trifft er sich tatsächlich mit Tony Blair. Man kann auch davon ausgehen, dass er in seinem Urlaub einige Regierungsarbeiten bewältigte, das ändert die Lage aber nicht, dass Bush bis 2001 42% seiner Zeit als Präsident im Urlaub oder auf dem Weg dahin oder zurück verbracht hatte.

Moore behauptet, ein Dokument des FBI soll Bush darüber informiert haben, dass Bin Laden versuchte, Flugzeuge zu entführen, um mit ihnen die USA anzugreifen. Auch wenn Fifty-nine Deceits in Fahrenheit 9/11 das anders sieht, genau das geht aus dem Dokument hervor.

5. Die bösen Kapitalisten

Gegen Ende des Films gibt es eine Szene, in der Bush einem reichen Publikum erzählt, es sei seine Basis, auch andere Sprecher spielen den bösen Kapitalisten und erklären, wie viel Geld man doch mit Öl im Irak verdienen könne. In der Tat spielen sie alles nur, denn die Veranstaltung vom Oktober 2000 diente zum Sammeln von Spenden für wohltätige Zwecke und es gehört zu ihrer Tradition, dass sich die Sprecher dort selbst parodieren. Auch Al Gore nahm an dieser Veranstaltung teil. Wieder muss man allerdings sagen, dass Moore nicht behauptet, die Reden seien ernst gemeint gewesen. Er verwendet sie vielmehr zur Veranschaulichung seiner Meinung, dass Bush und die Großunternehmer des Landes ihrer Selbstparodie sehr nahe kommen.

Quelle: Manufacturing Dissent

Sonstiges

Michael Moore nennt meist Flint, Michigan seine Heimat, obwohl er in Davison, Michigan, aufwuchs -- einem wohlhabenderen Vorort von Flint. Es verwundert aber nicht, dass er Flint seine Heimat nennt, schließlich ist sie eben die Großstadt der Region und Davison nur ein Vorort, außerdem hat Moore einen großen Teil seines Lebens in Flint gewohnt und gearbeitet.

David Hardy, NRA-Mitglied und Betreiber von Mooreexposed.com, wirft Moore außerdem vor, an einer narzistischen Persönlichkeitsstörung zu leiden, wofür er einige seiner Aussagen aus dem Zusammenhang reißt. Angeblich wohnt Moore in einem sehr teuren Appartement in New York, was seinen Status als Klassenkämpfer diskreditieren würde. Leider lebt er laut der Anti-Moore-Doku mit dem militanten Titel Shooting Michael Moore in einer Villa in Flint, was kaum beides wahr sein kann und weshalb man sich wünscht, dass sich die Verschwörungstheoretiker besser absprechen würden. Außerdem soll er bei Terroristen sehr beliebt sein, die Amerika hassen und laut der Doku Michael Moore Hates America hasst Michael Moore Amerika, was die Hauptmotivation für seine Filme sein soll.

Fazit

Fast alle diese Anschuldigungen kommen von Rechts, von Waffenbesitzern und beleidigten Patrioten. Das heißt nicht, dass sie deshalb falsch wären, leider ist jedoch ihr Niveau derart niedrig, dass es eigentlich schon fast egal ist. Dreht Moore kritische Filme, weil er Amerika hasst, oder dreht er kritische Filme, weil er Amerika verbessern will? Diese Frage ist doch nun wirklich nicht relevant, wenn es darum geht, den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen zu analysieren, genau so wenig sein Wohnort und der Grad seiner Selbstverliebtheit. Leider reduzieren sich die meisten Moore-Kritiker auf peinliches Schmutz-werfen. Zumindest Manufacturing Dissent hat dadurch einen gewissen Wert, dass die Doku darauf hinweist, dass auch Moore natürlich kein Heiliger ist und genau das ist es, was jeder skeptische Konsument im Hinterkopf behalten sollte. Doch selbst die Enthüllungen von Manufacturing Dissent, etwa, dass Moore sein Interview mit Roger Smith nicht in den Film einbaute (weil er es erst nach einem Jahr erfolgloser Versuche erhielt...), können letztlich nicht schockieren, weil sie auch nur offenbaren, was ohnehin alle wissen, denn es ist schlichtweg offensichtlich:

Michael Moore dreht linkspropagandistische, satirische Dokus, die man sich gewiss kritisch ansehen sollte, aber schwer völlig verurteilen kann. Schließlich muss man bedenken, dass die USA praktisch keine sozialistische Tradition haben (die hierzulande zu Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechten geführt hat) und einen Ausgleich dafür gut gebrauchen können. Die USA sind nahe an freier Marktwirtschaft, was zu sozialen Ungerechtigkeiten führt, während in Deutschland (noch) soziale Marktwirtschaft vorherrscht, welche diese Probleme ansatzweise ausgleicht. Ohne Moore gäbe es praktisch keine sichtbare Linke in den Vereinigten Staaten, was für jede Demokratie ein Verlust wäre, wie jeder einsehen kann, egal, welche politische Haltung er selbst vertritt. Der Mythos Moore mag am Ende sein, doch Moore selbst ist es noch lange nicht.

 

Andreas Müller