(hpd) Der „Washington Post“-Redakteur Bob Woodward, der als bekanntester investigativer Journalist der Welt gilt, beschreibt anhand von internen Quellen den Umgang der US-Regierung mit dem Afghanistan-Krieg. Das Buch beinhaltet eine faktenbezogene Darstellung der Ereignisse auf der Ebene der Obama-Administration und macht so nur indirekt das politische Dilemma der Situation im Raum Afghanistan/Pakistan deutlich.
Ein neu gewählter Politiker erbt „Altlasten“, d.h. er muss auch mit den Fehlentscheidungen seiner Vorgänger klar kommen. Eine besonders fatale Fehlentscheidung ist ein Krieg, der falsch angelegt, kaum zu gewinnen und überaus opferreich ist. Eine solche „Altlast“ stellt der Afghanistan-Krieg für Barack Obama dar. Zwar hielt er ihn vor seiner Präsidentschaft für legitim, aber wohl nicht in der umgesetzten Form seines Vorgängers George W. Bush. Wie nun die Obama-Administration mit diesem Konflikt umging, steht im Zentrum des neuen Buches von Bob Woodward, dem wohl dem wohl bekanntesten investigativen Journalisten. Dabei täuscht der Titel „Obamas Kriege. Zerreißprobe einer Präsidentschaft“ aber gleich mehrfach über dessen Inhalt: Es geht nur um einen Krieg, nämlich den in Afghanistan. Inhaltlich wird nicht das Kämpfen, Sterben und Töten in diesem Land behandelt, sondern der politische Umgang damit auf Regierungsebene in den USA nachgezeichnet. Hierbei erstreckt sich der Berichtszeitraum von 6. November 2008 bis zum 10. Juli 2010.
Woodward, der über breite Zugänge zu Militär, Politik und Regierung verfügt, hat dafür Unmengen von Briefen, E-mails, Hintergrundgesprächen, Interviews, Memoranden und Sitzungsprotokollen ausgewertet. Sie bilden die Basis und den Stoff für eine Rekonstruktion der Ereignisse rund um die Diskussionen und Entscheidungen der Obama-Regierung zu Afghanistan. Dadurch wirkt die Lektüre des Buches so, als sei Woodward bei allen Ereignissen dabei gewesen und liefere eine Art Protokoll der Vorkommnisse auf der Entscheidungsebene. Mitreißend und spannend geschrieben ist das nicht immer. Gleichwohl erhält der Leser so einen plastischen Eindruck davon, wie Politik hier abläuft und „gemacht“ wird. Der Autor lässt dabei aber nicht immer eine nötige Distanz zu den Quellen seiner Informationen erkennen, sieht man einmal vom Abgleich unterschiedlicher Darstellungen zu gleichen Sachverhalten ab. So wirkt die Darstellung ein wenig apologetisch, was Woodward bereits bei einem früheren Buch zur Bush-Administration zu recht vorgeworfen wurde.
Er beschreibt aber nur und bewertet nicht. Insofern reiht das Buch einzelne Ereignisse aneinander, ohne sie in einen analytischen Kontext zu setzen. Mehr wollte Woodward nicht, ginge es ihm nach eigenen Worten doch nur um eine Darstellung der realen Ereignisse. Dabei beschreibt der Autor Obama als geschickten Machtpolitiker, der verzweifelt versucht, aus den Ketten der Sachzwänge zwischen angekündigtem Abzug der eigenen Truppen und der mangelnden Stabilität Afghanistans auszubrechen. Deutlich wird dabei, dass die US-Regierung sehr wohl um die problematischen Gegebenheiten in der Region weis: die fehlende Eigenständigkeit von Armee und Polizei in Afghanistan, die ausgeprägte Korruptheit des Karsai-Regimes in Kabul, die fortwährende Existenz von „Al-Qaida“-Aktivitäten, die Unterstützung der Taliban durch den pakistanischen Geheimdienst oder die wegbrechende Solidarität der eigenen europäischen Verbündeten. Dies alles in Kombination miteinander gesehen veranschaulicht, wie realistisch die Rede von „Obamas Vietnam“ sein könnte.
Armin Pfahl-Traughber
Bob Woodward, Obamas Kriege. Zerreißprobe einer Präsidentschaft. Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Helmut Dierlamm und Dagmar Mallet, (Deutsche Verlags-Anstalt), München 2010, 490 S., 24,99 €.