„Rückkehr der Religion“ – eine Mär?

BERLIN. (hpd) Unter diesem Titel erscheint noch vor Weihnachten die Nummer 21 der Reihe „humanismus aktuell“. Die

„Hefte für Kultur und Weltanschauung“ der Berliner „Humanistischen Akademie“ dokumentieren im 11. Jahr ihres Erscheinens Referate von drei wissenschaftlichen Tagungen.

Die Lieferung bringt zusätzlich einen Text über den Zusammenhang von Atheismus und Rechtsradikalität sowie einige Rezensionen, die zur Thematik passen – über alle Tagungen berichtete auch der hpd.

Die Tagung am 17. März 2007 gab diesem Band den Titel „Die Mär von der ’Rückkehr der Religion’?“
Die zweite Tagung (10. Mai 2007) thematisierte „Blasphemie heute“. Die dritte Tagung fand am 15./16. Juni statt. Ihr Gegenstand war die Praxis und Politik rund um die Jugendweihefeiern.

 

 

Religion kehrt nicht zurück

Die Diskussion zum Thema „Rückkehr der Religion“ verebbt nicht. Die Säkularen unter den Debattenteilnehmern müssen sich seit dem Aufkommen der Thematik dem Vorwurf aussetzen, sie seien uneinsichtig und sollten endlich die Relevanz von Religionen begreifen. Erst kürzlich, am 11.09.2007, dem Jahrestag des terroristischen Anschlags auf die USA, gab der katholische Theologe Hans Küng der „Deutschen Welle“ ein Interview, das irritierender Weise den Titel trug „Das Christentum geht vielen auf die Nerven“.

Er wurde gefragt, wer denn nicht gut Bescheid wissen wolle über Religionen. Dazu Küng:
„Das sind zum einen fundamentalistische Christen, die die Bibel wortwörtlich nehmen und die sagen, sie bräuchten die anderen Religionen nicht. Es können aber auch sehr säkularistische Leute sein, Dogmatiker des Laizismus. Die werden schon rot, wenn überhaupt das Wort Religion auftaucht und meinen, darüber bräuchte man in der Schule nicht zu reden. Die haben Schwierigkeiten damit, dass Religion wieder einen Machtfaktor in der Weltgeschichte darstellt.“

Zur Jahrtausendwende veröffentlichte der Pastoraltheologe Paul M. Zulehner Ergebnisse einer Langzeitstudie über "Kehrt die Religion wieder? Religion im Leben der Menschen 1970-2000". Demzufolge kann Europa „weder als christlich noch als unreligiös und schon gar nicht als atheistisch“ bezeichnet werden. Vor allem wenn man den einzelnen Menschen im Blick habe, offenbare sich in unserer Gesellschaft die Tendenz zu einer unsichtbaren, personbezogenen Spiritualität. Es geht in seiner Studie also weniger um Religion als um religiöse Spiritualität. Zulehner konstatiert einen „Megatrend zur Respiritualisierung“. – Aber bedeutet dies „Rückkehr der Religion“?

Wer nach der Wahrheit sucht, muss sich zwei Erfordernissen stellen: die medialen Erscheinungen von den realen zu trennen und Religion angemessen zu definieren, um wirklich zu erkennen, was stattfindet, also wohl stärker in Richtung „Religiosität“ und von kirchlicher Verfasstheit von „Religion“ stärker abstrahierend.

Diese Unterscheidung ist der Gegenstand des ersten Beitrages in „humanismus aktuell“. Claudia Schulz (Bremen) ist Theologin, Religionswissenschaftlerin und Soziologin mit den Forschungsgebieten „Lebensstile“ und „Kirchenmitgliedschaft“. Ihr Text behandelt den Zusammenhang von Relevanzverlust und -gewinn, stellt prägnante Selbsturteile aus Lebensgeschichten vor und deutet Aussagen in Interviews und Gesprächen qualitativ.

Nach diesen Befunden zu subjektiven Einstellungen und ihren möglichen objektiven Bedeutungen widmet sich der Beitrag von Carsten Frerk (Hamburg, Soziologe und Agenturleiter des „Humanistischen Pressedienstes“) empirischem Zahlenmaterial und dessen Interpretationen. Sein in Heft 21 abgedruckter Beitrag ist ein „aufklärender“, weil er medial beförderte Annahmen mit empirisch belegbaren Befunden konterkariert, die von der „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) zusammengetragen und für den Text speziell bearbeitet wurden.

Blasphemie kehrt zurück?

Ein Zeichen dafür, wie religionskritische Äußerungen mit einer Elle gemessen werden, die ihre Maßeinteilung an der Richtigkeit der These von der Rückkehr der Religion orientiert, ist das Wiederaufleben der Blasphemie-Debatte, der zweite Komplex dieses Heftes. Der Begriff „Blasphemie“ stammt vom griechischen Wort Blasphemos. Es bedeutet etwa „Schaden redend“ und bezeichnet ursprünglich eine Lästerung, eine öffentliche Leugnung, Verhöhnung oder Verfluchung eines Gottes.

Filme wie „Dogma“ oder Auftritte von „Madonna“, der jüngste Teddy-Mohammed-Fall und die öffentliche Reaktion auf alle diese Zeichen, erinnern erstens daran, dass zwar nicht die Religion in alter Form wiederkehrt, aber Religiöse nach vorn drängen. Vor diesem Hintergrund sind die in Heft 21 gedruckten Referate von Gunnar Schedel und Roland Seim sehr aktuell.

Gunnar Schedel (Aschaffenburg) ist Literaturwissenschaftler und Leiter des „alibri Verlages“. Zu verweisen ist auf das Buch mit dem Pseudonym der Autorengruppe Clara u. Paul Reinsdorf, zu der er gehört „Zensur im Namen des Herrn. Zur Anatomie des Gotteslästerungsparagraphen“ (Aschaffenburg, 1997). Schedel behandelt Geschichte und Aktualität der Gotteslästerung in Deutschland. Er problematisiert die aktuelle Verwischung der Frontlinien.

Roland Seim (Münster) schreibt als Kulturwissenschaftler und Leiter des „Telos Verlages“. Ihm ging es um Blasphemie in der Populärkultur und die ästhetische Dimension der Thematik.

Rechtsradikalität und Atheismus

Nicht alle Atheisten sind Humanisten oder wenigstens konservative Demokraten. Armin Pfahl-Traughber („Fachhochschule des Bundes“, Swisstal) beantwortet für diesen Band die Frage, wie atheistisch Rechtsextremisten sind.

Dieses Problem hat mehrere Ebenen. Immer wieder wird von Kirchenkreisen interessegeleitet die These vertreten, der Nationalsozialismus sei zumindest eine den Atheismus befördernde Ideologie gewesen. Daraus leitet sich die Folgerung ab, heutiger Rechtsextremismus sei noch atheistischer als vergangener. Letztlich dient dieses Argumentieren dazu, vom durchaus vorhandenen und vorhanden gewesenen Zusammenhang des Christentums – bestimmter Gruppen darin – mit rechtskonservativen bis nationalsozialistischen Ideen und Bewegungen abzulenken. Schließlich gibt es auch einen linken christlichen Kommunismus und eine ebensolche Theologie der Befreiung. Wenn also, wie der Autor nachweist, heute bestimmte rechte Kräfte das Christentum ablehnen, ist doch danach zu fragen, was sie daran ablehnen bzw. was sie dagegen setzen – eine Aufgabe, der sich Pfahl-Traughber stellt.

Abschied von der Jugendweihe?

Der dieses Hefte abschließende Artikel von Gregor Ziese-Henatsch vom Humanistischen Verband Berlin leitete das Kolloquium am 15./16. Juni 2007 „Renaissance einer Übergangsfeier? Dialog über Jugendweihen, Jugendfeiern und Jugendarbeit“ über die Gegenwart und Perspektive des wichtigsten weltlichen Passagerituals in Deutschland ein.

Der Text passt zum Thema „Rückkehr der Religion?“, weil der Autor seine Thesen einreiht in Säkularisierungs- und Individualisierungsprozesse, denen sich auch der organisierte Humanismus gegenüber gestellt sieht und für die er Antwortworten finden muss, auch für seine Feierangebote. Zum Thema selbst – Jugendweihe / Jugendfeiern – ist auf die Nummern 7 und 13 von „humanismus aktuell“ zu verweisen, die sich ausschließlich diesem Stoff widmen.

Horst Groschopp

 

„Rückkehr der Religion“ – eine Mär? Hg. von der Humanistischen Akademie Berlin. Heft 21, Berlin 2007, 104 S. (humanismus aktuell, Hefte für Kultur und Weltanschauung). ISBN 3-937265-09-0; 10.- € plus 2,50 € Versandkosten Inland

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