Die 4,4 Mrd. Euro - Peinlichkeit (Teil 1)

HAMBURG/BERLIN. (hpd) Mit dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ wurde auch das Gutachten

über den „Beitrag der Kirchen zum kulturellen Leben" veröffentlicht. Es ist eine Peinlichkeit: die Zusammenstellung von Halbwahrheiten und realitätsfernen Berechnungen.

 

Zur Vorgeschichte: im März 1999 veröffentlicht die Evangelische Kirche in Deutschland den Text Nr. 64: „Gestaltung und Kritik zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert".
Im November 1999 veröffentlicht das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Erklärung „Kultur als Aufgabe für Staat und Kirche".

Kultur als Staatsaufgabe

In der 15. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages war im Juli 2003 eine Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland" beantragt und eingesetzt worden, die ihre Arbeit aufgrund der verkürzten Legislaturperiode jedoch nicht planvoll beenden konnte.

Die Kommission vergab verschiedenste Gutachten. Auf Anregung des Sachverständigen Mitglieds der Enquete-Kommission Prof. Dr. Dr. Thomas Sternberg (auch Kulturpolitischer Sprechers des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Akademiedirektor im Kirchendienst und CDU-Mitglied im Landtag NRW) wurde im Februar 2005 einstimmig beschlossen, ein Gutachten über den kulturellen Beitrag der Kirchen zu vergeben. In der Leistungsbeschreibung des Gutachtens (Tätigkeitsbericht, 15 Legislaturperiode, S. 155/156) heißt es u.a. zur Kulturellen Tätigkeit der Kirchen: „Unbestreitbar sind die Kirchengemeinden zudem eine wesentliche Säule des kulturellen Lebens in Deutschland. (...)

Das kulturelle Engagement der Kirchen, aber auch der Kulturbeitrag verschiedener anderer Religionsgemeinschaften, ist so vielfältig, dass es im Rahmen eines Gutachtens einmal genauer untersucht werden sollte. Die Kulturarbeit der katholischen (DBK) und der evangelischen (EKD und VELKD) Kirchen in Deutschland ist hierbei in Zusammenarbeit mit deren eigenen Stellen zu ermitteln. (...)

Im Sinne einer sorgfältigen Analyse der Ergebnisse aus der Bestandsaufnahme und einer perspektivischen Betrachtung sollten für die Entwicklung von Handlungsempfehlungen die Folgen des demographischen Wandels und der zurückgehenden Anzahl von Kirchenmitgliedern auf die Entwicklung der finanziellen Mittel für die Wahrnehmung der kulturellen Aufgaben durch die Kirchen, mögliche sich daraus ergebende Schwerpunktverlagerungen in der kulturellen Arbeit der Kirchen und die etwaige Verschärfung eines Verdrängungswettbewerbs im Konkurrenzkampf von Kultureinrichtungen bei der Vergabe öffentlicher Mittel durch den Wegfall bisher kirchlicher Förderungen dargestellt werden. Das Gutachten habe Handlungsempfehlungen für die politischen Entscheidungsebenen zu formulieren, um den Beitrag seitens der Kirchen zur kulturellen Grundversorgung auch weiterhin gewährleisten und ausbauen zu können."

Damit war die Aufgabe des Gutachtens klar beschrieben.

Beitrag der Kirchen finanziell sichern und ausbauen

Im März 2005 wurde das Gutachten vergeben und im September 2005 abgenommen.
Im Tätigkeitsbericht der 15. Legislaturperiode wurde (auf Seite 375/376) von der Kommission auch die Zusammenfassung des Gutachtens: „Der Beitrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum kulturellen Leben in Deutschland " veröffentlicht.

Die ersten vier Feststellungen lauten:
"1. Dem Beitrag den die römisch-katholische Kirche und die in der EKD zusammengefassten evangelischen Landeskirchen zum kulturellen Leben in Deutschland leisten, wird in der deutschen Öffentlichkeit nur eine periphere Rolle zugebilligt.

2. Die Kirchen gehören ausweislich ihrer finanziellen Aufwendungen zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren Deutschlands. Der Korridor, der durch die unsichere Datenlage geöffnet wird, erstreckt sich zwischen € 3,500 Mia und € 4,800 Mia per annum. Der derzeit wahrscheinliche Wert liegt bei € 4,396 Mia. Eine detaillierte Erfassung aller Ebenen mit einem einheitlichen Schlüssel wird hiermit angeregt.

3. Die Kirchen setzen vermutlich etwa 20 % ihrer Kirchensteuern und Vermögenserlöse für ihre kulturellen Aktivitäten ein.

4. Die Kirchen liegen mit ihren Aufwendungen für Kultur im Vergleich der öffentlichen Ebenen auf einem der vorderen Plätze, mindestens gleichauf mit den Gemeinden und Ländern. Der Kulturfinanzbericht ist entsprechend zu ergänzen."

Als Schlussfolgerung wird in dieser Zusammenfassung des Gutachtens u.a. empfohlen:

„(7.) Die Finanzierungsprobleme der kirchlichen kulturellen Tätigkeit sind nur im Kontext der Gesamtfinanzierung der Kirchen und langfristig zu lösen. Vorgeschlagen wird die Einsetzung einer Arbeitsgruppe „Finanzierung kirchlicher Arbeit in der Bundesrepublik Deutschland" mit dem Ziel einer finanzpolitischen Würdigung des Beitrags der Kirchen zum gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik.

(10.) Auf Bundesebene ist derzeit kein Ort für die Sache der kirchlichen Kulturarbeit und damit für ihren Beitrag zum kulturellen Leben in Deutschland gegeben. Gleichzeitig haben die Kirchen durch die Entwicklung seit dem 11. September 2001 eine neue Funktion innerhalb der (Zivil-) Gesellschaft erhalten. Es würde sich daher anbieten, vom Primat der Kirchen bei den Kulturfinanzen auszugehen und den bisherigen Beauftragten für Kultur und Medien aufzuwerten zu einem Bundesminister für Kultur- und Kirchenangelegenheiten nach tschechischem Vorbild."

Bundesministerium für Kultur- und Kirchenangelegenheiten

In der 16. Legislaturperiode wurde im Dezember 2005 erneut eine entsprechende Enquete-Kommission eingesetzt.

Die mehrmaligen Versuche - im August 2006 -, bei der Enquete-Kommission Einsicht in das entsprechende Gutachten zu bekommen, scheitern. Auch der Hinweis, wenn schon die Zusammenfassung des Gutachtens veröffentlicht worden sei, dann müsste doch wenigstens ein Auszug aus dem Gutachten – wie diese 4,4 Mrd. Euro berechnet worden seien – zugänglich gemacht werden, erfuhr die Standardauskunft, dass die Kommission beschlossen habe, dass alle Gutachten erst mit der Veröffentlichung des Abschlussberichtes veröffentlicht werden.

Die mediale Öffentlichkeit erfuhr erstmals von diesem Gutachten, als der Deutsche Kulturrat seine Zeitung „politik und kultur" (in der September/Oktober-Ausgabe 5/2006) mit einem thematischen Schwerpunkt „Kultur und Kirche" herausbrachte. Bischöfe, kirchliche Referenten und kirchliche Sachverständige äußerten sich auf 16 Seiten zum Thema „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht." (Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Dr. Olaf Zimmermann, war ebenfalls als sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission.)

Radio Vatikan übernahm umgehend die Darstellung des Deutschen Kulturrates: „Die beiden großen Kirchen geben nach Angaben des Deutschen Kulturrates jährlich 4,4 Milliarden Euro für Kultur aus. Damit seien sie im Vergleich zu den Kommunen mit 3,5 Milliarden, den Ländern mit 3,4 Milliarden und dem Bund mit einer Milliarde Euro an jährlichen Kulturausgaben schon finanziell eine bedeutende, aber weitgehend ‚unbekannte kulturpolitische Macht', sagte der Geschäftsführer der Organisation, Olaf Zimmermann."

Die Deutsche Bischofskonferenz veranstaltet im Rahmen der Herbst-Vollversammlung am 27. September 2006 in Fulda einen Studientag „Kirche und Kultur" und der Prof. Sternberg aus der Enquete-Kommission trägt in einem Grundsatzreferat Kernelemente des Gutachtens vor: Es sei eine gründliche Erfassung der kirchlichen Kulturarbeit und das Gutachten „spricht von ca. 20 % der kirchlichen Einnahmen und jährlich zwischen 3,5 und 4,8 Mrd. Euro, den die kirchlichen Aktivitäten auf dem Feld der Kultur ausmachen."

Im November 2006 meldet wiederum Radio Vatikan zu Deutschland: „Neuer Studiengang ‚Kirche und Kultur' in Erfurt geplant."

Im Januar 2007 hält der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, auf dem ‚Zukunftskongress' der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Wittenberg eine Rede: „Kirche als (neue) kulturelle Heimat".

Am 19. Oktober 2007 findet die Pressekonferenz des Deutschen Kulturrates in der Kulturkirche St. Matthäus in Berlin statt. Anlass ist die Buchvorstellung „Die Kirchen, die unbekannte kulturpolitische Macht". Fragen der anwesenden Journalisten nach Berechnung der Zahlenangaben des Gutachtens werden nicht beantwortet.

Schweigen bis zum Abschlussbericht

Vergangene Woche, am 11. Dezember 2007, wurde nun der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland" veröffentlicht. 512 Seiten. Auf fünf Seiten wird auch die „Kulturelle Tätigkeit der Kirchen" beschrieben und dabei beständig auf das „Kirchengutachten" verwiesen.

Die Kirchen gehören zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren

Die Kernaussagen des Gutachtens werden ohne Änderungen übernommen: „Die christlichen Kirchen Deutschlands tragen mit ihren Museen, ihren Chören und Musikensembles, ihren öffentlichen Büchereien und Fachbibliotheken, ihren Bildungseinrichtungen und Baudenkmälern und vielem anderen mehr wesentlich zum kulturellen Leben in unserem Land bei. Sie gehören zu den zentralen kulturpolitischen Akteuren Deutschlands. Die Kirchen setzen etwa 20 Prozent ihrer Kirchensteuern, Zuwendungen und Vermögenserlöse für ihre kulturellen Aktivitäten ein, etwa 3,5 bis 4,8 Mrd. Euro. Die Kirchen liegen damit mit ihren Aufwendungen für Kultur im Vergleich der öffentlichen Ebenen gleichauf mit den Kommunen und Ländern." (S. 145)

Und in der Bundestagsdebatte vom 13.12.2007 bemerkte der Abgeordnete Johann-Henrich Krummacher (CDU/CSU) u.a.: „Denn was wäre dieses Land (...) ohne das Engagement der Kirchen, vom Mittelalter über die Neuzeit bis hin zur Gegenwart? Nebenbei bemerkt: Die Enquete-Kommission konnte feststellen, dass die beiden großen christlichen Kirchen in unserem Land mehr für die Kulturförderung ausgeben als die öffentliche Hand."

Mit 4,4, Mrd. Euro ist / wären die Kirchen finanzpolitisch der größte Akteur

Diese Vergleiche beziehen sich auf den Kulturfinanzbericht d.h. den „Bericht der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder, der die öffentlichen Kulturausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden und wichtige Kennzahlen im Zeitverlauf (1995 - 2005) und nach Sparten darstellt. Objektive Datengrundlage für Parlament, Verwaltung und Öffentlichkeit."

In dem Kulturfinanzbericht 2006 werden als „Öffentliche Ausgaben für Kultur und Kulturnahe Bereiche 2003" insgesamt 9,59 Mrd. Euro ausgewiesen: 1,43 Mrd. durch den Bund, 4,36 Mrd. von den Länder und 3,80 Mrd. von den Gemeinden.

622 Millionen öffentliche Gelder für die Kulturarbeit der Kirchen

Der Kulturfinanzbericht listet u.a. auf, dass auch in den „kulturnahen Bereich" öffentliche Gelder geflossen sind (für Volkshochschulen und Sonstige Weiterbildung, Kirchliche Angelegenheiten sowie Rundfunkanstalten und Fernsehen). Für die Kirchlichen Angelegenheiten wandte die Öffentliche Hand 2003 rund 622 Mill. Euro auf (Beispielsweise Zuschüsse zu Kirchentagen oder für Kirchenbauten). Eine tragende Rolle spielen dabei die Bundesländer mit 574 Mill. für die Kulturarbeit der Kirchen, die Gemeinden zahlten 47 Mill. Euro und der Bund 1 Mill. Euro.

5 Mrd. Euro Kulturleistung der Kirchen?

Wenn diese öffentlichen Gelder in die Kulturleistungen der Kirchen erst einmal mit eingerechnet werden, sind es rund 5 Mrd. Euro, aus denen die öffentlichen Gelder dann natürlich wieder herausgerechnet werden müssen, um die Eigenleistung der Kirchen zutreffend zu beziffern.

Dass in die viel zitierten 4,4 Mrd. Euro Kulturbeitrag der Kirchen derartige öffentliche Gelder abgezogen werden oder auch nur dahingehende Überlegungen eingeflossen sind, bestätigt sich jedoch nicht. Die Ermittlung dieser 4,4 Mrd. Euro ist so originell – und hat mit der Realität so wenig zu tun –, das es unglaublich ist. Dazu Genaueres morgen, im zweiten Teil.

Carsten Frerk.