Die teuflische Kirchenpraxis des Exorzismus

Johann Hari über Kinder, Teufelsaustreibung und die katholische Kirche. Jesus Christus als Vorbild für den Missbrauch psychisch kranker Menschen?

 

Letztes Jahr bin ich einem gezeichneten, bezwungenen 14-jährigen Mädchen begegnet, das vom Teufel besessen war, bis er und seine Armee des Bösen aus ihr herausgefoltert wurden.

So erzählte es mir ihr Priester. So erzählte sie es mir.

Sie sprachen, als wäre das alles so offensichtlich wie ihre Narben. Clarice war ein kleines Mädchen, das sich in eine Wolljacke eingewickelt hatte. In einer Kirche inmitten des Blutbads im Kongo erzählte sie, wie sie sich dazu entschieden hatte, Dämonen den Zutritt zu ihrem Körper zu gestatten, als sie zwölf Jahre alt war.

Seitdem hat sie Satan dazu gezwungen, ihre Mutter stürzen zu lassen, so dass sie sich ein Bein brach.

Satan hatte sie dazu gezwungen, ihren Vater zu verhexen, so dass es ihm unmöglich war, einen Job zu finden. Satan hatte sie dazu gezwungen, ihre kleine Schwester zu töten, indem sie ihr ein tödliches Fieber gab.

Ihr pfingstbeweglerischer Priester, Vater Enoch Boonga, berichtete mir voller Stolz, wie er die Dämonen aus ihr vertrieben hatte. Er gab Clarice vier Tage lang nichts zu essen, peitschte sie aus und drohte damit, sie zu verbrennen, bis sie endlich „beichtete“.

Dann zwang er sie, alles zuzugeben, was sie getan hatte, und er führte eine lange exorzistische Zeremonie an ihr durch. Sie glaubten, es würde nur funktionieren, wenn ihr kleiner Körper beginnen würde zu vibrieren und zu heulen und zu fluchen. Ich fragte Clarice ruhig, ob sie wirklich glaubte, all diese Dinge getan zu haben. „Ja“, sagte sie. „Das glaube ich.“ Und so stöhnen wir angeödet: Ein weiteres Beispiel für den afrikanischen Primitivismus. Aber nein. Teufelsaustreibung, sogar bei Kindern, wird heutzutage von einem der mächtigsten Männer der westlichen Welt beworben, wenn auch in einer leicht gemäßigten Fassung: Von Papst Benedikt XVI. Präsidenten und Premierminister kriechen vor diesem Mann.

Von jedem seiner Worte wird mit dem Respekt berichtet, den wir der „Religion“ gegenüber zeigen müssen, damit wir nicht der Engstirnigkeit bezichtigt werden.

Und doch herrscht er ganz offen über eine Armee von Exorzisten, um sie schrecklich verstörten und psychisch kranken Menschen erzählen zu lassen, dass Dämonen und Teufel in ihnen wohnen – weil sie sie eingeladen haben.

Im vergangenen Dezember kündigte Vater Gabriele Amorth, der offizielle Exorzist der Römischen Diözese und ein Freund des „Heiligen Vaters“ an, dass der Papst bald eine neue Kampagne starten wird, um ein neues Bündel von 400 Exorzisten auf die Welt loszulassen, zusätzlich zu den 1000, die bereits am Werk sind. (Er fügte hinzu, Harry Potter sei ein Stellvertreter dieses Bösen).

Die katholische Kirche hatte offiziell geleugnet, solche Pläne zu haben – sie gibt jedoch zu, dass die Kirche seit 1614 exorzistische Riten vorgibt und dass Bischöfe und Priester ermutigt werden, sie heutzutage anzuwenden, wo immer es „angemessen“ sei.

In der Praxis haben sich offizielle katholische Teufelsaustreibungungen seit Mitte der 1970er laut Michael W. Cuneo, einem Soziologen an der Fordham Universität in New York, der eine vierjährige Untersuchung zu der Sache durchgeführt hatte, drastisch erhöht. Es waren jedoch nur sehr wenige Menschen dazu bereit, mit mir darüber zu reden, was Austreibungen umfassen.

Ich war schließlich in der Lage, einen der „moderateren“ Exorzisten – falls Sie sich so etwas vorstellen können – in der römisch-katholischen Diözese von Hallam in Yorkshire ausfindig zu machen

Vater Anthony Hayne ist ein ruhiger, ernsthafter Mann, der mir berichtet, dass er in seinem kleinen Stückchen von England „ein Dutzend Austreibungen im Monat“ durchführt.

Obwohl es schon einige Jahre her ist, seit er den Film Der Exorzist gesehen hat, hält er ihn für weitgehend akkurat und fügt hinzu: „Als Katholik würde ich diese Methoden benutzen, ja.“

„Seit kurzem treffe ich eine Facharbeiterin, die einen sehr augeglichenen Eindruck macht, abgesehen von ihrem Gefühl, dass Dämonen ihr Leben ruinieren. Sie spricht manchmal mit einer Stimme, die gewiss nicht ihre Stimme ist. Es handelt sich offenbar um einen Dämonen, der sie benutzt... Wir haben zusammen gebetet, aber wenn das nicht funktioniert, dann machen wir einen feierlichen exorzistischen Ritus, den wir ausüben können, wenn uns der Bischof die Erlaubnis dazu gibt.“

Er sagt, dass er die Frage, ob diese Menschen psychisch krank sind, „sehr ernst“ nimmt.

Er empfiehlt jedem, der sich besessen fühlt, zu seinem Arzt zu gehen – er behauptet jedoch, dass er ihnen wegen der ärztlichen Schweigepflicht glauben muss, wenn sie sagen, dass ihr Arzt keine physische oder psychische Ursache für ihre Störung feststellen konnte.

Vater Anthony sagt mir, dass er in der Tat glaubt, dass Kinder besessen werden können, auch wenn er nur dann ein Kind „behandeln“ würde, wenn dessen Eltern anwesend sind und mit ihm zusammenarbeiten. Am nächsten kam er dem, als er einige Leute in ihren späten Teenager-Jahren behandelte, die „Hexenbretter verwendeten und die Dunkelheit in ihr Leben gelassen hatten“.

Es ist wahr, dass die offiziellen katholischen Exorzismusriten keine physische Folter enthalten, wie sie Clarice erfahren musste, aber in vielen Fällen erzählen katholische Priester den psychisch Kranken, dass sie für ihr Leid selbst verantwortlich sind.

Einer der Helden der katholischen Exorzisten ist zum Beispiel M. Scott Peck, der schreibt: „Menschen, die an dämonischer Besessenheit leiden, haben auf die eine oder andere Weise mit dem dämonischen Bösen zusammengearbeitet; sie haben ihm Zutritt zu ihrem Leben gewährt. In solchen Fällen gibt es – vielleicht auf einer unbewussten Ebene – eine Art Verkauf der eigenen Person an das Böse.“ Stellen Sie sich vor, so etwas einer heulenden Frau zu erzählen, die Stimmen hört. Jeden Tag gibt es einen Fall, wenn ein Exorzist die katholische Theologie ernst nimmt, aber ihre stinkenden Regeln überschreitet. Um ein aktuelles Beispiel von mehreren zu nennen: Vor kurzem überzeugte man eine 23-jährige rumänische Nonne namens Maricica Irina Cornici, dass sie die Stimme Satans hört.

Ihre Kolleginnen reagierten darauf, indem sie sie an ein Kreuz banden, ihren Mund mit einem Handtuch verstopften, und sie dort drei Tage lang ohne Nahrung und Wasser hängen ließen, um „Satan auszuhungern“. Im Verlaufe der gerichtlichen Untersuchung stellte man fest, dass sie schon lange an Schizophrenie litt. Immer, wenn ich über das Leid schreibe, das organisierter Aberglaube anrichtet, dann schreiben mir gutmeinende Leute und fragen – warum so aufgeregt? Geht es bei der Religion nicht nur um Liebe und Licht und darum, Menschen durch schwierige Zeiten zu helfen?

Nein. Hier haben wir die größte, reichste und mächtigste religiöse Institution der Welt, wie sie psychisch schwer gestörten Menschen erzählt, dass der Teufel von ihnen Besitz ergriff, weil sie ihn eingeladen haben und dass sie leiden müssen, um ihn zu entfernen. Sogar die bekanntermaßen weiche und wollene englische Nationalkirche hat einen offiziellen Exorzisten in jeder Diözese. Das ist weder Liebe, noch Licht.

Wir können auch nicht den Rückzieher machen und die aalglatte Behauptung aufstellen, dass diese Leute nur die „wahre“ Religion verzerren, bei der es nur um Frieden und Liebe geht. Jesus Christus führte selbst Teufelsaustreibungen aus und rief seine Jünger dazu auf, es ihm nachzumachen und dem spirituellen Schützengrabenkampf gegen Satan beizutreten. Wenn ein Christ jemand ist, der dem Beispiel von Christus folgt, dann sind diese Menschen wahre und gute Christen – und sie sind außerdem zutiefst unmoralisch.

In dieser Bombentrichter-Kirche im Kongo wollte ich Clarice in die Arme schließen und ihr sagen, dass es einen Ort auf dieser Welt gibt, wo dieser barbarische Aberglauben ein fernes, überholtes Relikt ist. Dank der katholischen Kirche konnte ich ihr nicht einmal das anbieten.

 

Übersetzung: Andreas Müller
Quelle: comment.independent.co.uk; 21. Januar 2008

Der Autor Johann Hari ist ein britischer Journalist, der schon für fast alle großen Zeitungen weltweit geschrieben hat und für mehrere journalistische Preise nominiert wurde. Er ist Autor des Buchs God Save the Queen?, das sich kritisch mit dem britischen Königshaus der Windsors auseinandersetzt. Christopher Hitchens findet es „superb“.

 

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