Das Horrorkabinett der „Affenmutti“ aus Hönow

BRANDENBURG. (hpd) Die Institution „Zirkus“ zählte seit je zu den staatstragenden Traditionen des „real existierenden Sozialismus“. Auch in der DDR wurde diese Tradition hochgehalten: Anfang der 1960er wurden die ursprünglich privaten Zirkusunternehmen Aeros, Barley (später umbenannt in Olympia und letztlich in Berolina) und Busch auf Anordnung des Kultusministeriums zur VEB Zentral-Zirkus zusammengefasst und firmierten hinfort und hochoffiziell als „Staatszirkusse der DDR“.

Mit der Wende wurden die drei volkseigenen Zirkusbetriebe durch die Treuhand abgewickelt: die Namensrechte an Berolina und Busch wurden, ebenso wie große Teile der technischen Ausrüstung, an einen West-Zirkus verkauft, der indes bald pleite ging; die übriggebliebenen Tiere wurden an Zoos oder andere Zirkusse veräußert. (1) Auch Circus Aeros  kam unter die Räder. Das 1941 von dem Sensationsartisten Julius Jäger (1889-1952) begründete Unternehmen - benannt nach Jägers Künstlernamen „Cliff Aeros“ (der sich als solcher mit einem Katapult durch die Luft schießen ließ) - wurde, obgleich größter und traditionsreichster der drei Staatszirkusse mit festem Manegenbau in Leipzig, als erstes von der Treuhand aufgelöst: Nach erfolgloser Verpachtung für eine Saison wurde der Vorstellungsbetrieb Ende 1990 eingestellt. Der Grund für das schnelle Ende von Aeros lag in der heillos veralteten und heruntergekommenen Betriebsstätte in Leipzig, die nach der Wende kein zahlendes Publikum mehr anzulocken vermochte. 1992 fiel das Zirkusgebäude einer Brandstiftung zum Opfer: Aeros war Geschichte.(2)

Allerdings nur vorübergehend: 1993 erwarb eine gewisse Christiane Samel von der Treuhand die verbliebenen Reste von Berolina und Busch und ließ sich zugleich die Rechte an dem Namen Circus Aeros übertragen. Samel, geboren 1944, war in der Zirkusszene der DDR keine Unbekannte: 1963 hatte sie den Raubkatzendompteur Erhard Samel geheiratet, der bei Zirkus Busch mit einer Löwen- und Leopardennummer unter Vertrag stand. Nachdem sie mehrere Jahre als Billetabreißerin und Eiscremeverkäuferin mitgereist war, beteiligte sie sich ab 1968 an den Raubtierdarbietungen ihres Mannes: leicht geschürzt und mit einer Boa um den Hals lief sie lasziv zwischen den Großkatzen herum. Mit dieser als „Dschungelsinfonie“ bezeichneten Nummer wurden die Samels in der Spielzeit 1974-75 von den legendären Circus Ringling Bros. and Barnum&Baily zu einem Gastspiel in die USA eingeladen, von wo sie - entgegen behördlichen Einfuhrverbotes - drei Schimpansen mit zurück in die DDR brachten, die sie für 4.500 US-Dollars gekauft hatten.

Sofort - und ohne die geringste Kompetenz im Umgang mit Menschenaffen - begannen sie, Nachwuchs für eine geplante „Schimpansenshow“ zu züchten: dem Vernehmen nach gingen aus den drei mitgebrachten Schimpansen letztlich elf „Nachzuchten“ hervor. 1980 zerstritten sie sich mit der Direktion des Zirkus Busch und machten sich, zusammen mit ihren drei Kindern, unter dem Signet Samels Affenzirkus selbständig. Seit Anfang der 1990er trat Christiane Samel alleine mit den dressierten Schimpansen auf, die seit je im Untergeschoß ihres Einfamilienhauses in Hönow, einem dichtbebauten Vorort von Berlin (gleich hinter Marzahn), gehalten wurden. Erst zehn Jahre später wurde im Hinterhof des Hauses eine ausbruchsichere Käfiganlage errichtet.

1993 erweckte Samel mit Hilfe großzügig ausgereichter Aufbaukredite den Circus Aeros zu neuem Leben. Mit geliehenem Zelt, mehr als 120 Angestellten – 100 davon Artisten, Clowns und Dompteure – und nicht weniger als 120 Tieren bereiste sie allein in der Saison 1994 sechzig ostdeutsche Gastspielorte und erzielte mit einem DDR-Nostalgieprogramm beachtlichen Zuspruch.(3) Neben verschiedenen Akrobatikdarbietungen wurden vor allem Tiger-, Bären- und Elefantendressuren gezeigt, Direktorin Samel selbst führte Lachnummern mit ihren Schimpansen vor (Schimpansin Erna beispielsweise musste mit rosafarbenem Rüschchenkleid auftreten, unter dem ständig ein viel zu großer Schlüpfer hervorrutschte, über den sie dann zu stolpern hatte).

Der Erfolg hielt jedoch nicht lange an: trotz zunehmender Ausrichtung des Programms auf „erotische“ Showelemente - mithin ein Schlangentanz mit dürftig bekleideter Aktrice - verloren sich vielfach weniger Zuschauer im Manegenrund als Artisten dort auftraten. Anfang 1997 meldete Aeros Konkurs an. Fuhrpark, Interieur und Tiere mussten verkauft werden, um wenigstens Teile des gigantischen Schuldenberges abzutragen, den Samel aufgehäuft hatte. Sie behielt nur die Schimpansen, die vom aufgelösten Aeros-Winterquartier in Hoppegarten wieder in das Privathaus Samels nach Hönow umzogen; auch Elefantendame Daisy blieb im Besitze Samels, sie wurde im Hinterhof des Hönower Hauses abgestellt (und erst Jahre später an den Duisburger Zoo abgegeben). Angebliche Kontakte zum chinesischen Staatszirkus lösten sich in Luft auf, ebenso Samels hochfliegende Pläne, nach Kenia auszuwandern und dort einen Freizeitpark zu eröffnen.(4)

Nach ihrem Totalabsturz als „Zirkusdirektorin“ begann Christiane Samel erneut, mit ihren Affen über Volks- und Straßenfeste zu tingeln. Zudem bot sie auf Werbeflyern und im Internet die Möglichkeit an, die Schimpansen für private Vorführungen zu buchen: „Wir kommen gern in Einkaufscenter, Kitas, Schulen, Behinderten- und Seniorenheime, zu Weihnachtsfeiern, Fasching - gern auch zu Ihrer Privatparty“. Bei den einstündigen Shows mussten die Schimpansen, meist in lächerliche Kostüme gesteckt, andressierte Kunststücke vorführen. Darüber hinaus vermietete sie die Affen für TV- und Filmaufnahmen - u.a. war sie bei Günther Jauch, Dieter Hallervorden oder Stefan Raab zu Gast -, auch für Werbespots jeder Art wurden sie eingesetzt.(5)

Da für die Shows nur Schimpansenkinder eingesetzt werden konnten - ab Geschlechtsreife, das heißt: ab dem 6.-9. Lebensjahr, werden Schimpansen jederzeit möglicher und nicht kontrollierbarer Aggressionsausbrüche wegen zur Gefahr für das Publikum -, musste sie ständig für Nachwuchs sorgen. Ob sie dabei die Risiken von Inzucht ausschloss – dem Vernehmen nach sind alle elf der von ihr „nachgezüchteten“ Tiere Nachkommen der 1975 aus den USA importierten drei Schimpansen – ist nicht bekannt. Die neugeborenen Schimpansen jedenfalls wurden sofort ihren Müttern weggenommen und „von Hand“ aufgezogen, um sie auf den Menschen, sprich: auf Christiane Samel zu konditionieren und dergestalt leichter dressierbar zu machen. Die älteren, für ihre Shows nicht mehr brauchbaren, Tiere wurden unter indiskutablen Bedingungen weiterhin im Untergeschoss ihres Hauses gehalten.