BERLIN. (hpd) Das Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages. Eine imponierende Höhe, Glasfronten, Sichtbetonwände,
Einlasskontrollen – so leicht geht es sich dort nicht hinein – obwohl es dort ständig Ausstellungen zu sehen gibt. Sie sind jedem Besucher zugänglich und die Eingangskontrollen dorthin hilfsbereit freundlich.
18 Quadratmeter, 4 Betten, dreistöckig übereinander
30 Tafeln, gerahmt, aneinander gereiht, eine neben der anderen - wie die Fenster einer Eisenbahn, die im schnellen Vorbeifahren einlädt sich vorzustellen, wie es im Raum dahinter wohl aussehen mag?
Hier wird dem Betrachter geholfen, jede Tafel trägt ein Thema: „... eine Insel im tobendem Meer", „und die Angst war dauernd da" oder „Aus Flaskas Poesiealbum". Auf den Blättern wird das Leben von zwölf bis vierzehnjährigen Mädchen, erlesbar, die das Ghetto Theresienstadt 1944 verlassen konnten.
Ihr „Raum 28" im Konzentrationslager Theresienstadt, nachgebaut im Deutschen Bundestag. Kinderbilder stehen stellvertretend auf den Decken der Betten. Meist waren es drei Mädchen , die sich ein Bett teilten und immer war die Angst vor dem Abtransport im Zimmer - aber wurde ein Schlafplatz frei, kamen neue Mädchen.
Chronik, Dynamik, Dimension und Vision einer Ausstellung
Vom 23. Januar bis zum 15. Februar 2008 war im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages die Ausstellung „Die Mädchen von Zimmer 28, L 410, Theresienstadt" zu sehen. Sie war Teil des Rahmenprogramms zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und Teil des Jugendbegegnungsprogramms des Deutschen Bundestages. Der Aufbau-Verlag veröffentlichte zeitgleich eine Neuausgabe des Buches „Die Mädchen von Zimmer 28". Acht der „Mädchen von Zimmer 28" waren für eine Woche in Berlin zu Gast. Mit der Autorin des Buches und der Ausstellung und der Leiterin der Room 28 Projects Hannelore Brenner-Wonschick sprach Evelin Frerk.
hpd: Die Ausstellung hatte es nun in den Deutschen Bundestag geschafft. Sind Sie zufrieden? Und wie war es für die „Mädchen von Zimmer 28"?
Brenner-Wonschick: Es ist natürlich eine ganz außerordentliche Erfahrung, dass die Ausstellung im Bundestag gezeigt wurde. Schauen Sie nur, was der Bundestag dort im Paul-Löbe-Haus hinein gebaut hat - ein „Zimmer 28" - einen richtigen Raum mit dreistöckigen Holzbetten, einem Tisch, zwei Bänken - ein regelrecht neues Ausstellungselement. Das ist ganz großartig! Es ist der erste Baustein in Richtung einer Vision - eine bleibende Heimat für die Ausstellung zu finden.
hpd: Und die „Mädchen von Zimmer 28"? Waren sie mit dem, was in Berlin geschah, zufrieden?
Brenner-Wonschick: Ja, alle Frauen sind mit dem Gefühl nach Hause zurückgekehrt, dass es gut und wichtig war, dass sie in Berlin waren. Sie waren tief beeindruckt allein schon von der szenischen Lesung und dem künstlerischen Programm in der Akademie der Künste am 22. Januar. Das hatten sie nicht erwartet. Doch - ich bin sicher, sie haben gute Erinnerungen mit nach Hause genommen.
hpd: Und wie war es für Sie?
Brenner-Wonschick: Ich glaube, weil auf mir die Verantwortung für Vieles lastete, hat mich das, was nicht so recht geklappt hat, oder was ich versäumt habe, mehr bedrückt als das Positive mich erfreut hat. Ich habe zum Beispiel in meiner kleinen Einführung in die Ausstellung versäumt, auf die schöne Leihgabe des Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven hinzuweisen, die ja eigens für die Ausstellung einen Schaukasten anlieferten, der Teil einer Ausstellung zum Thema „Hoffnung - die zweite Seele der Unglücklichen" war. Und ich habe sie nicht einmal erwähnt. Das möchte ich hiermit gerne nachholen. Dankeschön nach Bremerhaven ins Deutsche Auswandererhaus!
hpd: Sind Sie erleichtert?
Brenner-Wonschick: Ein wenig, ja. Aber es gibt natürlich noch andere Probleme. Die Finanzierung des Projektes. Das war ja viel schwieriger als ich je gedacht hätte! Zu guter letzt haben wir doch noch Unterstützung erhalten, und dies danken wir der Stiftung pro musica viva, der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft und einem privaten Spender. Aber alles ist damit leider immer noch nicht gedeckt. Der Verein braucht Unterstützung. Auch für weitere Veranstaltungen und Projekte.
hpd: Ehe ich Sie nach weiteren Projekte frage, erst einmal die Frage: Was war der Kern in der Ausstellung?
Brenner-Wonschick: Das Schicksal und der Alltag der „Mädchen von Zimmer 28" im Konzentrationslager Theresienstadt, einen Alltag, der die kommende Tragödie bereits in sich birgt. Es ist eine Geschichte der Hoffnung, der Freundschaft, des Bemühens um Vollkommenheit, um kulturelle Leistungen, um Menschlichkeit - im Angesicht größter Angst.
hpd: Es geht in dieser Geschichte doch zuallererst um die Tragödie jüdischer Kinder in der NS-Zeit, im Besonderen im ‚Ghetto-Theresienstadt' und in Auschwitz - also um etwas unvorstellbar Schreckliches. Und Sie sprechen von kulturellen Leistungen, Freundschaft, Menschlichkeit?
Brenner-Wonschick: So ist es. In einer schier hoffnungslosen Situation, inmitten von Hunger, Angst und Schrecken, versuchte man den Kindern in Theresienstadt doch so etwas wie ein „Zuhause" zu schaffen - eine „Insel im tobenden Meer". Und auf dieser Insel passierte allerhand Ungewöhnliches: Die Kinder gründeten die Organisation „Maagal" - ein hebräisches Wort für Kreis, und im metaphorischen Sinne, für Vollkommenheit.. Nach Vollkommenheit wollten diese Mädchen streben - und dafür gibt es viele Beweise und Zeichen - eine Hymne von Zimmer 28, eine Flagge, Gedichte, Eintragungen ins Poesiealbum, Aufsätze und manches mehr.
hpd: Wie kam es eigentlich zu dieser Ausstellung? Wann wurde sie erstmals eröffnet?
Brenner-Wonschick: Am 23. September 2004 erstmals im Schleswig-Holstein-Haus in Schwerin. Sie gehörte zum Rahmenprogramm des internationalen Wettbewerbes „Verfemte Musik". Die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft förderte das Projekt und legte so den Grundstein für diese Ausstellung.
Dass es zur Ausstellung kam, hängt mit dem Buch „Die Mädchen von Zimmer 28" zusammen und mit den Erfahrungen, die wir mit diesem Buch, genauer: mit dem so genannten „Marketing" gemacht haben, und damit auch mit der Art und Weise der Rezeption in Deutschland. Kurzum: Es zeigte sich bald, dass noch mehr gemacht werden müsste, um dem eigentlichen Anliegen gerecht zu werden.
hpd: Welches Anliegen?
Brenner-Wonschick: Ein bleibendes Andenken zu schaffen an die Freunde dieser „Mädchen von Zimmer 28" und damit an die Kinder, die im Holocaust ermordet wurden; und auch die Erwachsenen in Theresienstadt zu würdigen, die ihr Möglichstes dafür taten, dass die Kinder seelisch und geistig unversehrt diese schreckliche Zeit überstehen konnten.
hpd: Wie kamen Sie zu den „Mädchen von Zimmer 28"? Was ist Ihre Rolle in dem Projekt?
Brenner-Wonschick: Es fing mit der Kinderoper „Brundibár" an, über die ich 1996 ein Hörfunkfeature vorbereitete. Dadurch lernte ich einige Überlebende von Theresienstadt und Auschwitz kennen. Menschen, die mich zutiefst beeindruckten, die mir ihre Geschichte erzählten, Menschen, die mich auch immer wieder in Berlin besuchten. Paul Sandfort und Paul Kling zum Beispiel. Beide sind inzwischen leider verstorben. Paul Kling, das „Wunderkind der Geige", im Januar 2005 und Paul Sandfort, der „Trompeter aus Brundibár", am 29. Dezember 2007. Das ist noch gar nicht lange her. Sie waren gute Freunde. Sie haben mir ihr Vertrauen geschenkt. Ja, ich möchte sagen: Sie haben Hoffnung in mich gesetzt. Die Hoffnung, dass ich das, was sie mir erzählten, weitererzähle. Dass das, was sie zu sagen hatten, nicht vergessen wird.
hpd: Um es weiter zu tragen, haben Sie einen Verein gegründet. Was macht er? Was hat er vor?
Brenner-Wonschick: Die Idee, eine gemeinnützige Organisation zu gründen, ist in den letzten Jahren immer Diskussionsstoff gewesen. Wir wuchsen ja irgendwie zu einer richtig starken Gruppe zusammen, die etwas machen, etwas bewirken wollte und auch bewirkte, die ein Anliegen und ein Ziel hatte. Auch der Freundeskreis wurde immer größer, Ideen, Projekte entwickelten sich. Und da war irgendwann der Punkt gekommen, wo es klar war, dass es ohne eine Organisation nicht mehr weiter geht. Erstens kann ich das alleine nicht mehr schaffen - die Arbeit mache ich ja ganz allein; und zweitens braucht man für alles Geld. Und daran scheiterte vieles.
hpd: Hat es etwas mit dem Projekt „Der letzte Akkord: Theresienstadt" zu tun, wie ja der Abend in der Akademie der Künste am 22. Januar genannt wurde?
Brenner-Wonschick: Ja, es geht dabei um ein Konzept für ein sehr anspruchsvolles internationales Schüler- und Kultur-Projekt - ein deutsch-tschechisch-österreichisches. Im Herbst 2006 haben wir - die „Mädchen von Zimmer 28" und ein paar Mitstreiter und ich - uns zu einer Initiative zusammengeschlossen, um dieses Projekt zu realisieren. Es ist uns nicht gelungen. Es ist zu teuer, zu schwierig, zu komplex. Es kann nur mit Unterstützung von starken Institutionen, Organisationen, Persönlichkeiten gehen, auf europäischer Basis.
hpd: Und warum „Der letzte Akkord: Theresienstadt"?
Brenner-Wonschick: Weil dort, wie es eine Historikerin mal ausdrückte, „der letzte Akkord des Zusammenlebens der drei ethnischen Elemente ausgeklungen ist - der tschechischen, deutschen und jüdischen Gemeinschaft -, die sich während mehrerer Jahrhunderte auf böhmischem Boden gegenseitig beeinflussten und bereicherten und die so bedeutend auf die Entwicklung der Kultur des europäischen Denkens gewirkt hat." Eine Metapher, die mich inspirierte und in mir die Vorstellung erzeugte, dass die Kinder im Ghetto Theresienstadt das Instrument waren, auf dem dieser letzte Akkord angeschlagen wurde. So habe ich das jedenfalls spontan gedacht, empfunden. Und ich glaube, da ist etwas dran an diesem Bild. Auch wenn mit dem Einmarsch der Nazis in Österreich, ins Sudentenland und schließlich in die Tschechoslowakei ganz gewiss eine Ära unwiderruflich zu Ende ging und in der Katastrophe endete. Doch ich bin davon überzeugt, es wäre lohnend, mal zu schauen, was vor 1938 an positiven Traditionen, kulturellen Strömungen in der Mitte Europas vorhanden war. Es wäre lohnend für Jugendliche, gemeinsam mit den Zeitzeugen auf Spurensuche zu gehen und vieles andere mehr. Das ist ein großes Feld.
hpd: Frau Brenner-Wonschick , danke für das Gespräch und viel Erfolg in ihrer weiteren Arbeit.