Fragen an Mina Ahadi

Das Vertrauen in die Menschen hat mir immer wieder Kraft gegeben.

 

KÖLN. (hpd) Mina Ahadi, Erste Vorsitzende des Zentralrats

der Ex-Muslime, hat - zusammen mit Sina Vogt -, ein Buch veröffentlicht: "Ich habe abgeschworen". Sina Vogt ist freiberufliche Journalistin und hat u. a. das Thema Menschenrechte bearbeitet. 2000 war sie Pressesprecherin von amnesty international Deutschland. Sie lebt und arbeitet seit 2007 in Köln.

 

 

hpd: Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Sina Vogt?

Mina Ahadi: Sina Vogt arbeitete auch gegen die Todesstrafe und hatte meinen Namen in diesem Zusammenhang schon gehört. Sie interviewte mich einmal über meine Lebensgeschichte, das Interview wurde unter dem Titel Partisanin gegen Lynchjustiz in der taz veröffentlicht.

Am 8. März 2006 hatte ich verschiedene Aktivis­tinnen zu einer Tagung nach Köln eingeladen. Sina Vogt nahm teil, und fragte mich, ob ich daran interessiert sei, ein Buch über mein Leben zu schreiben.

 

hpd: Wie sah die Zusammenarbeit zwischen dir und Sina Vogt denn aus? Wie häufig habt ihr euch getroffen?

Mina Ahadi: Fast ein Jahr lang haben wir uns ca. einmal pro Woche für 2-3 Stunden zusammengesetzt und gearbeitet. Ich habe erzählt, Sina Vogt hat aufgenommen und während der Woche die Interviews transkribiert. Wir sind chrono­logisch vorgegangen und Sina hat Fragen gestellt.

Vor der Gründung des Zentralrats der Ex-Muslime Ende Februar 2007 hatte kein Verleger Interesse an dem Buch, danach trat der Heyne-Verlag mit einem Angebot an uns heran.

 

hpd: Mina, du erzählst viel aus deinem Leben und nennst Fakten aus dem politischen Islam, gleichzeitig ist ja Vieles im Detail nach­recherchiert: Wer hat welchen Teil der Arbeit über­nommen?

Mina Ahadi: Ich habe meine Lebens­geschichte, meine politische Richtung und die Kritik am politischen Islam und dem gesell­schaftlichen Umgang erzählt, Sina hat dazu Fakten und Hintergründe recherchiert.

 

hpd: Wie ist das Buch aufgebaut?

Mina Ahadi: Damit die deutschen Leser/innen einen Bezug zum Thema bekommen, fangen wir mit Themen und Problemen an, die der Islam für Deutschland und Europa beinhaltet. Es ist so geschrieben, dass das Interesse von Menschen in Deutschland geweckt wird, sich über islamische Organisationen mehr zu informieren. Zugleich ist es ein sehr persönliches Buch, in dem ich über Sicherheit­sprobleme, meine Kinder erzähle und versuche, das Interesse für die Vorgänge im Iran zu wecken. Für Menschen­rechts­verletzungen, die Schah-Regierung, die Über­nahme durch islamische Organi­sationen. Wir stellen einige Menschen vor, die gesteinigt wurden, bei denen die Todes­strafe vollzogen wurde. Mein politisches Ziel in Bezug auf Religion und politischen Islam wird deutlich.

 

hpd: Michael Schmidt-Salomon hat den Begriff des "Weichfilter-Christentums" geprägt. Gibt es solche Tendenzen auch im Islam?

Mina Ahadi: Gibt es auch, natürlich. Ich denke, im Iran und in so genannten islamischen Ländern war die national-islamische Bewegung immer stark, hat sich immer in die Politik eingemischt. Ein extremer Flügel ist jetzt an der Macht, und weniger Extreme versuchen, den Islam zu verharmlosen. Sie versuchen immer wieder mit sanften Tönen heraus­zustellen, weshalb auf jeden Fall eine islamische Regierung notwendig ist, und ignorieren die Todes­fälle und die Steinigungen.

 

hpd: Was ist am Islam so gefährlich? Wie sollte die deutsche und europäische Politik deiner Meinung nach damit umgehen?

Mina Ahadi: Ich denke, der Islam gehört so wie alle anderen Religionen zur Ver­gangen­heit. Jedoch ist es ein Problem, dass der Islam Macht gewonnen hat und sich überall einmischt, z. B. die Hamas in Palästina und Israel, islamische Regierungen in Afghanistan und Iran. Das ist ein politisch sehr aggressiver Islam, dem bisher sehr viele Verstöße gegen Menschen­rechte vorzu­werfen sind, vor allem gegen Frauen­rechte.

Der Islam hat sich noch nie auf eine Reform eingelassen. Der Koran ist auch nicht individuell angelegt, nicht auf eine Beziehung zwischen Mensch und Gott, sondern es ist eine politische Religion, die alle Handlungen von der Geburt bis zum Tod vor­schreibt.
Die Religion macht Leben kaputt: Wir müssen Gott bedienen, dann kommen wir ins Paradies. Die Religion mischt sich ins Leben ein, in die Gefühle. Die Worte des Koran sind Gottes Worte, ein Abweichen davon ist nicht möglich.

Die UNO beispielsweise redet über das Nuklear­problem im Iran. Aber sie haben sich noch nie zum Thema Steinigung geäußert. Ich war in New York, habe mit Kofi Annan gesprochen, ich war in Brüssel und Strasbourg, habe mit Politikern gesprochen - sie ignorieren und akzeptieren die Menschen­rechts­verletzungen in den islamischen Ländern.

Die Politik sollte sich mit dem politischen Problem, das durch den Islam entsteht bzw. entstanden ist, auseinander­setzen. Es sind schon Tausende Menschen umgebracht worden, die islamische Politik handelt brutal gegen Menschen, vor allem gegen Frauen. Die westliche Politik sollte den Mut haben, Regimes zu verurteilen, in denen Frauen Kopftuch tragen müssen, wo Frauen geschlagen und erniedrigt werden. Stattdessen aber wird die Zusammen­arbeit mit islamischen Regierungen aufgebaut, sie werden nicht kritisiert.

Der politische Druck auf islamische Regierungen und auf islamische Organisationen hier­zulande muss erhöht werden, Menschen­rechte zu respektieren!

 

hpd: Mina, du setzt dich sehr für die unterdrückten Frauen im Islam ein. Sind denn auch islamische Männer durch den Glauben in ihrer Selbst­bestimmung und ihren Handlungs­freiheiten eingeschränkt? Wenn ja: Wie?

Mina Ahadi: Richtig, die islamische Bewegung richtet sich nicht nur gegen Frauen, sondern gegen alle Menschen. Frauen müssen Kopftuch tragen, dürfen nicht arbeiten, werden erniedrigt und unterdrückt. Es gibt immer Probleme zwischen Männern und Frauen, wenn Frauen nicht frei sind.
Aber Männer dürfen nicht trinken, keine westliche Kleidung tragen, nicht mit Frauen auf die Straße gehen oder mit ihnen reden - das ist alles verboten. Sie dürfen ihre Meinung nicht sagen, es besteht kein Recht auf freie Meinungs­äußerung. Es gibt eine Geschlechts­apartheid: In Bussen zum Beispiel dürfen Männer nicht mit ihren Frauen zusammensitzen, Männer müssen vorne und Frauen hinten sitzen.

 

hpd: In "The End of Faith" schreibt Sam Harris, dass ein Mann, der seine Schwester oder Tochter verstößt oder gar tötet, diese nicht liebt. Ist es einem wahrhaften Moslem überhaupt möglich, seine Frau, seine Töchter und seine Mutter zu lieben, wenn der Glaube über allem steht?

Mina Ahadi: Das ist ein kompliziertes Thema. Meine Erfahrungen, die ich als Kind gemacht habe, waren mit meinem Onkel. Er hatte 11 Kinder - die Männer waren damals ganz anders -, er hatte noch eine andere Frau, und wusste wenig über das Leben seiner Kinder. Er las oft aus dem Koran vor. Wir haben von ihm schon viel Liebe bekommen, aber wenn ein Kind gegen ein Gebot verstoßen hat, bestrafte er es, bedrohte und schlug seine Kinder, Mädchen wie Jungen.

Natürlich lieben Männer Kinder und die eigene Frau, aber die Tradition macht sie total blind. Sie werden wütend, wenn ihre Ehre beschmutzt wird und dann kann es sein, dass sie ihre eigenen Ange­hörigen umbringen. Die Religion behindert gute Beziehungen zwischen Frauen und Männern, Männer finden Frauen noch immer schmutzig.

Es gibt immer eine Distanz, eine Mauer zwischen Männern und Frauen, auch wenn es mittlerweile besser geworden ist. Zum Beispiel kann jetzt ein Mädchen einen Freund haben, heimlich, und die Eltern wissen davon und lassen sie.

 

hpd: Im Kern scheint der Glaube Menschen voneinander zu trennen, nur im kollektiven Glauben erfahren sie so etwas wie Zusammen­gehörigkeit. Sind Muslime (und andere Gläubige) einsamer als offene, selbst­reflexive Menschen?

Mina Ahadi: Auf einer Ebene kann man das sehen. Die Umma spielt eine Rolle, Religions­vertreter sagen: „Wir Muslime sind ..." - Individuen gibt es in dieser Sicht­weise nicht, alle sind eins, Teil der Gemein­schaft. Es gibt keine Homo­sexualität und keine andere Meinung. In der Moschee weinen alle zusammen, sie fahren zusammen nach Mekka.

Jedoch fördert der Islam eine Doppel­moral, denn ein normaler Mensch will eine Beziehung. Heute gibt es Internet, die Welt ist offen. Jugendliche sehen das und möchten anders leben. Aber man muss alles ignorieren oder versteckt halten. Das Vertrauen fehlt, man kann mit anderen nicht darüber reden. So sind die Menschen einsam mit zwei Gesichtern. Wenn man reden will, eine andere Meinung hat, wenn man Sex will, hat man ein schlechtes Gewissen. Der Mensch ist nicht frei.

 

hpd: Welche Resonanz erwartest und befürchtest du auf dein Buch?

Mina Ahadi: Ich befürchte nicht sehr viel, höchstens um meine Sicherheit und die meiner Kinder. Auch andere Aktivis­tinnen, wie Necla Kelek, haben Bücher geschrieben. Mein Buch ist sehr leiden­schaftlich, es ist meine eigene Geschichte, die politische Geschichte des Iran, es geht um Todes­strafe, Steinigung, Sexualität und Frauen. Das sind komplexe Themen und das Buch zeigt viel, ich habe mit Herz erzählt.

Das Buch bietet aus meiner Sicht ein recht gutes Bild eines bestimmten Problems, das in europäischen Ländern bisher ignoriert und verharmlost wurde.

Die Geschichten in dem Buch, meine Geschichte können bei den Leser/innen die Frage auslösen: Welche Politik haben wir in Deutsch­land oder Öster­reich gegenüber solchen Menschen, gegenüber Asylanten?

 

hpd: Welche Botschaft ist dir die wichtigste, Mina, was sollen die Leserinnen und Leser auf jeden Fall aus deinem Buch mitnehmen?

Mina Ahadi: Meine wichtigste Botschaft ist: Man darf nicht die Hoffnung verlieren. Ich habe schon immer meine Hoffnung in Menschen und in die Mensch­lichkeit gesetzt. Der Mensch hat viel Kapazität, die Menschlich­keit läuft immer weiter, ungeachtet der Umstände. Ich setze meine Hoffnung nicht unbedingt in Politiker, die kann man aller­dings unter Druck setzen.

Es gibt viele Probleme im Leben, aber ich habe auch immer wieder Menschen kennen­gelernt, hier und im Iran, die mir Hoffnung geben. Michael Schmidt-Salomon ist ein Vorbild für mich: er ist frei, human, kritisch und politisch. Ich habe immer mit meinem Herzen gekämpft und war immer optimistisch. In meinem Leben habe ich viele schlimme Dinge erlebt. Das Vertrauen in die Menschen hat mir immer wieder Kraft gegeben.

Das Interview führte Fiona Lorenz

 

Veranstaltungshinweis:

Am Mittwoch der kommenden Woche (27.2.2008) findet die offizielle Buchpremiere in Berlin statt: 19:30 Uhr im Lichtburg Forum (Behnstraße 13 – 13357 Berlin). Mina Ahadi und Sina Vogt werden für eine Lesung und Diskussion anwesend sein. Moderation: Dr. Michael Schmidt-Salomon (Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung).