Begründungen für den Fleischkonsum in kritischer Prüfung

Die Ereignisse vor dem Schnitzel

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Beim "Philosophischen Frühstück" im Humanistischen Zentrum Nürnberg ging es um ethische Fragen zum Fleischkonsum. hpd-Autor Armin Pfahl-Traughber fragte nach Melanie Joy "Warum lieben wir Hunde und essen Schweine?"

Dem hpd stellte Pfahl-Traughber seine Thesen zur Verfügung, aufgrund derer er seinen Vortrag – der auch in der örtlichen Presse Widerhall fand – zur Verfügung:

Die Einstellung der meisten Menschen gegenüber Tieren ist von einer hochgradigen Widersprüchlichkeit geprägt: Während wir Hunde lieben, essen wir Schweine. Damit einhergehendes Handeln gilt als "normal" und wird nicht problematisiert.

Dafür gibt es keine Begründungen, die sich auf unterschiedliche Eigenschaften oder Fähigkeiten von Tieren stützen, sind doch laut der einschlägigen Forschung etwa Hunde und Schweine als gleichrangig intelligente und soziale Wesen anzusehen.

Als Alleinstellungsmerkmale des Menschen galten lange Zeit: Empathie, Individualität, Intelligenz, Rationalität, Solidarität; auch hier macht die jüngere Forschung darauf aufmerksam, dass man all dies auch bei den Tieren finden kann. Gleichwohl bestehen hinsichtlich der gemeinten Eigenschaften und Kompetenzen des Menschen auch gravierende Unterschiede, indessen gilt: "Die Frage ist nicht: Können sie denken? Oder: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?" (Jeremy Bentham).

In Deutschland leiden individuell jährlich in der Folge von Schlachtung folgende Tiere in Zahlen: Enten 25 Millionen, Hühner 640 Millionen, Kaninchen 22 Millionen, Rinder 3,7 Millionen, Schafe 1,1 Millionen, Schweine 59 Millionen, Truthühner 38 Millionen. Das Ausmaß dieses Leidens wird in der menschlichen Wahrnehmung verdrängt, dürfte dieses doch Konsequenzen für das eigene Verhalten nach sich ziehen: "Wenn Schlachthäuser Glaswände hätten, wären alle Vegetarier" (Paul McCarthny).

Als Begründungen für den Fleischkonsum werden immer wieder die sechs "G" angeführt, also die mit dem Buchstaben "G" beginnenden folgenden Gesichtspunkte: "Gehirn", "Geschichte", "Geschmack", "Gesundheit", "Gewalt" und "Gewohnheit".

Bezogen auf "Gehirn" gilt es festzustellen, dass die Auffassung, wonach der Fleischkonsum für die Gehirnentwicklung ausschlaggebend war, umstritten ist; für die Gegenwart gilt, dass das Gehirnwachstum des Menschen seit langem abgeschlossen ist.

Bezogen auf "Geschichte" gilt es festzustellen, dass Homo sapiens in der längsten Phase ein Omnivore (Allesesser) war, dabei aber die pflanzliche Ernährungsweise dominerte, was noch heute an anatomischen und physiologischen Merkmalen ablesbar ist.

Bezogen auf "Geschmack" gilt es festzustellen, dass dies eine subjektive Wahrnehmung ist, die daher objektiv nicht widerlegbar ist; indessen kann der gemeinte Geschmack durch ähnliche Würzmittel und Zubereitungsmethoden nachgeahmt werden.

Bezogen auf "Gesundheit" gilt es festzustellen, dass es aus ernährungsphysiologischer Blickrichtung für den Fleischkonsum keine Notwendigkeit gibt und ein hoher Fleischkonsum v. a. aus der Massentierhaltung mitunter gesundheitsschädliche Wirkungen hat. Durch die Ernährungsforschung ist durch eine Fülle von breit angelegten Studien bekannt, dass eine angemessen zusammengestellte vegane Ernährung alle relevanten Nährstoffe liefert und eine bedarfsdeckende und optimale Versorgung ermöglicht. Daher bestehen bei einer veganen oder vegetarischen Ernährung keine Risiken, sofern eine entsprechende Supplementierung durch Vitamin B 12 erfolgt, ernährungsmitbedingten Erkrankungen kann dadurch sogar in erheblichem Maße entgegen gewirkt werden.

Bezogen auf "Gewalt" gilt es festzustellen, dass der Mensch die Mittel zur Tiertötung hat; dabei aber ignoriert wird, dass ein Eigentumsanspruch schlicht aus dieser Macht abgeleitet wird, dem Menschen aber nicht die Tiere, sondern sie sich nur selbst gehören.

Bezogen auf "Gewohnheit" gilt es festzustellen, dass der Fleischkonsum in der Geschichte der Menschheit kulturell verankert ist, dies aber auch für andere Erscheinungsweisen (Kriege, Sklaverei etc.) gilt, welche um des Humanismus willen überwunden werden sollten. Der Einsatz von Energie für die Herstellung von tierischen Lebensmitteln gegenüber pflanzlichen Nahrungsmitteln liegt um ein Vielfaches höher, wodurch eine vegane oder vegetarische Ernährungsweise den weltweiten Ressourcenverbrauch minimiert. Daher bestehen auch Auswirkungen in anderer Hinsicht: Durch eine fleischlose und pflanzliche Ernährung könnte der weltweite Hunger von Menschen und der Klimawandel durch von der Massentierhaltung ausgehende Treibhausgase drastisch reduziert werden.

Die Auffassung, wonach Fleisch aus unterschiedlichen Gründen notwendig für den Menschen sei, beruht auf einem Glaubenssystem, auch "Karnismus" (Melanie Joy) genannt, welches sich Einwänden durch eine Immunisierung vor Kritik entziehen möchte.

Aus der Erkenntnis über das Leiden von Tieren ergibt sich aber nicht notwendigerweise eine besondere ethische Verhaltensweise, liegt das Gemeinte doch angesichts einer Sein-Sollen-Unterscheidung auf verschiedenen Ebenen. Auch besondere tierethische Begründungen, die etwa vom "Gleichbehandlung"-Prinzip (Peter Singer) oder vom "Rechte"-Status (Tom Regan) ausgehen, sind aufgrund damit einhergehender unbegründeter Postulate oder Setzungen kritikwürdig.

Es bedarf bei den hier zu erörternden Fragen keiner Idealisierung und Romantisierung von Tieren, frei nach dem Motto: "Tiere sind meine Freunde, und meine Freunde esse ich nicht" (George Bernard Shaw), töten doch Tiere andere Tiere. Dies geschieht aber meist aus Gründen des instinktmäßig angestrebten Nahrungsbedarfs und ohne inhaltliche Reflexionen, was dem Menschen eben ausgeprägt und systematisch möglich ist und ihn in diesem Punkt tatsächlich über die Tiere stellt. Gerade diese Besonderheit legitimiert aber nicht den Fleischkonsum, ganz im Gegenteil ergibt sich daraus die Möglichkeit, die eigene Nahrungswahl mit der Qual und dem Tod eines anderen Lebewesens zu verbinden oder dies dezidiert nicht zu tun.

Die Auseinandersetzung um die Frage der richtigen Ernährung ist dem Menschen aufgrund seiner persönlichen Moralfähigkeit und rationalen Überlegenheit möglich: Damit Menschen satt werden, muss kein Tier sterben; Menschen können wählen! Die Entscheidung dazu hat Folgen auch für den gesamtgesellschaftlichen kulturellen Status, denn nicht allein, aber mit gilt: "Die Größe einer Nation und ihre moralische Reife lassen sich daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt" (Mahatma Gandhi).

Die vorstehenden Ausführungen nannten Gründe dafür, warum der Fleischkonsum aus ethischen, gesundheitlichen und ökonomischen Motiven abzulehnen ist; dies spricht für einen Paradigmenwechsels: Der Fleischkonsum, nicht der Fleischverzicht bedarf der Legitimation.

Nicht Gott, sondern der Mensch steht im humanistischen Selbstverständnis im Zentrum, was aber auch bedeuten kann: "Ich bin für die Rechte der Tiere genauso wie für die Menschenrechte. Denn das erst macht den ganzen Menschen aus" (Abraham Lincoln).


Literatur (Auswahl):

  • Brensing, Karsten: Persönlichkeitsrechte für Tiere. Die nächste Stufe der moralischen Evolution, Freiburg 2013;
  • Foer, Jonathan Safran: Tiere essen, Köln 2010;
  • Grimm, Herwig/Wild, Markus: Tierethik zur Einführung, Hamburg 2016;
  • Joy, Melanie: Warum wir Hunde lieben, Schweine essen und Kühe anziehen. Karnismus – eine Einführung, Münster 2013;
  • Leitzmann, Claus: Veganismus. Grundlagen, Vorteile, Risiken, München 2018;
  • Schmitz, Friederike (Hg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin 2014;
  • Sezgin, Hilal: Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder warum wir umdenken müssen, München, 2014.
  • Sezgin, Hilal: Wieso? Weshalb? Vegan! Warum Tiere Rechte haben und Schnitzel schlecht für das Klima sind, Frankfurt/M. 2016;
  • Wolf, Ursula: Ethik der Mensch-Tier-Beziehung, Frankfurt/M. 2012; Wolf, Ursula (Hg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008.