Politische Folgen der kapitalistischen Umbrüche

(hpd) Wenn ein ehemaliger amerikanischer Arbeitsminister vor den Gefahren eines „Superkapitalismus" für die Demokratie warnt, dann verdient dies

Aufmerksamkeit. Robert Reich gehörte zwischen 1993 und 1997 dem Kabinett von Bill Clinton an. Heute ist er Professor an der University of California und gilt als einer der renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler der USA. In seinem Buch „Superkapitalismus. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt" widmet er sich nicht in erster Linie den sozialen, sondern den politischen Folgen der Umbrüche im Kapitalismus der letzten Jahrzehnte. Reich konstatiert: „Der Kapitalismus hat die Demokratie erobert. Gesetze werden im Namen des Allgemeinwohls verabschiedet, doch dahinter stehen die Sonderinteressen der Unternehmen und deren Lobbyisten, die sich für sie eingesetzt, und der Gesetzgeber, die für sie gestimmt haben" (S. 270). Diese Entwicklung sei insbesondere in den USA weit fortgeschritten, drohe aber auch auf die anderen westlichen Länder überzugreifen.

Damit erfolgte für Reich ein Wechsel vom „demokratischen Kapitalismus" zum „Superkapitalismus": Bis in die Mitte der 1970er Jahre habe noch ein „Beinahe Goldenes Zeitalter" bestanden, geprägt von hohen Gewinnen und Massenproduktionen, sicheren Arbeitsplätzen und Güterversorgungen sowie staatlicher Regulierung und Umverteilung. Die Einführung neuer Technologien habe dann aber dazu geführt, dass Unternehmen immer bessere Geschäfte machen wollten und die Verbraucher nach immer günstigeren Produkten strebten. Dies führte nach Reich längerfristig gesehen zur Auflösung der zentralen Institutionen des demokratischen Kapitalismus. Verantwortlich dafür macht er jeden Einzelnen, schlügen doch zwei Seelen in unserer Brust: als Verbraucher sei man ständig auf der Suche nach dem besten Schnäppchen, als Bürger kritisiere man die gesellschaftlichen Folgen dieser Schnäppchenjagd. Schuld daran hätten keineswegs nur die Profitinteressen der großen Konzerne, die in dieser Hinsicht weder moralisch noch unmoralisch wären.

In der Konsequenz führte diese Entwicklung nach Reich zum einen zu einem immer härteren Konkurrenzkampf der einzelnen Unternehmen, zum anderen zu immer größeren Einflussnahmen auf die Politik. Der wachsende Macht von Lobbyisten und die ständige Zunahme von Wahlkampfspenden stehen exemplarisch für diese Entwicklung. Sie mündet für den Autor in der Schwächung der Demokratie und in der Stärkung des Kapitalismus. Als Gegenstrategie empfiehlt er eine strikte Grenzziehung zwischen beiden Bereichen. Es müssten neue Spielregeln aufgestellt werden, welche die Gemeinschaft fördern und schützen und die den Superkapitalismus an der Übernahme der Politik hindern. Nicht die moralische Empörung gegen das Handeln einzelner Firmen, sondern die Einforderung entsprechender Gesetzesmaßnahmen gilt ihm als der richtige Weg. Besonders effektiv sei es dabei, den Einfluss der Unternehmensgelder auf die Politik zu verringern und die Position der Bürger zu stärken. Nur so ist für Reich die Koexistenz von Demokratie und Kapitalismus möglich.

Der ehemalige Arbeitsminister der Clinton-Administration erinnert mit seinem Buch an einem mitunter vergessene Erkenntnis: Die Demokratie ist - wie der Blick auf die Situation im Südostasien der letzten Jahrzehnte zeigt - „nicht unbedingt eine Vorbedingung für die Entwicklung des Kapitalismus" (S. 21). Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die Dynamik dieser Wirtschaftsform durchaus auch Gefahren für eine Demokratie bergen kann. Sie müssen sich nicht in Gestalt einer Diktatur artikulieren. Unter der Beibehaltung von Institutionen und Regeln einer Demokratie kann es sehr wohl auch zu einer unterschwelligen Aushöhlung der Freiheit und Rechte von Bürgern kommen. Dem gegenüber bemerkt Reich: „Ein Unternehmen hat die Aufgabe, das Spiel der Wirtschaft so aggressiv zu spielen wie möglich. Wir als Bürger müssen Unternehmen daran hindern, die Spielregeln selbst festzulegen. Das ist die Herausforderung. Es gibt nur einen einzigen konstruktiven Weg der Veränderung: Wir müssen den Superkapitalismus daran hindern, auf die Demokratie überzugreifen" (S. 27).

Reich trägt seine Auffassungen in lockerer Schreibe vor, setzt sich mit anderslautenden Deutungen auseinander und offenbart ein hoch entwickeltes Problembewusstsein. Hier und da bleibt er etwas zu allgemein - insbesondere wenn es um die Gegenstrategien geht. Auch kann man einige Deutungen und Forderungen mit guten Gründen kritisieren: Die Auffassung, wonach der Superkapitalismus in aller Welt Wohlstand schaffe, lässt sich in dieser Pauschalität sicherlich nicht halten. Auch ist die Konsequenz, man solle die Besteuerung von Unternehmensgewinnen abschaffen, gerade angesichts seines vorherigen Lobes für die Umverteilungspolitik nicht nachvollziehbar. Gleichwohl verdient seine Analyse große Beachtung: Zum einen kritisiert Reich eine Reihe von Fehlwahrnehmungen, wie etwa die Auffassung, Unternehmen müssten moralisch oder patriotisch handeln. Zum anderen macht „Superkapitalismus" nicht nur im Untertitel auf das bislang nur begrenzt zur Kenntnis genommene Problem aufmerksam, „wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt".

Armin Pfahl-Traughber

 

Robert Reich, Superkapitalismus. Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer, Frankfurt/M. - New York 2008 (Campus-Verlag), 326 S., 24,90 €

Dazu: Robert Reich "Wir sind einen Teufelspakt eingegangen"