Rezension

Krise der Linken durch den Schock von 1989?

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Linke Demonstranten bei der Demonstration "Palestinians and Jews for Peace" 2023 in Köln
Linke Demonstranten

Jan Gerber, Historiker und Politikwissenschaftler, kommentiert die Krise der außerparlamentarischen Linken nach der Wiedervereinigung. Eher essayistisch ausgerichtet ist sein Buch "Das letzte Gefecht. Die Linke im Kalten Krieg", das viele kritische Kommentare aus linker Sicht dazu enthält.

Die außerparlamentarische Linke kriselt – eigentlich schon seit der Wiedervereinigung. Wie erklärt sich diese Entwicklung? Antworten auf die Frage geben will Jan Gerber, Historiker und Politikwissenschaftler. Sein Buch trägt den Titel "Das letzte Gefecht. Die Linke im Kalten Krieg". Bevor auf dessen Deutungen eingegangen werden soll, seien zwei Erläuterungen vorangestellt: Erstens, der Autor dürfte sich selbst der politischen Linken angehörig fühlen, dort ausgerichtet an der Kritischen Theorie und dem "antideutschen" Spektrum. Diese besondere Einstellung erklärt auch die jeweils vorgetragene Kritik. Und zweitens handelt es sich um kein wissenschaftliches Buch im engeren Sinne, werden doch die jeweiligen Ereignisse nicht detaillierter in einer quellenfixierten Präsentation vorgestellt. Darüber hinaus hat man es eher mit einer essayistischen Betrachtung mit einschlägigen Erörterungen in lockerer Schreibe zu tun. Nicht alle Deutungen werden ausführlicher begründet, anderslautende Interpretationen nicht notwendigerweise ebenso thematisiert.

Buchcover

Berücksichtigt man diese Aspekte, folgt hier dennoch viel Erkenntnisgewinn. Als bilanzierende Antwort heißt es hinsichtlich der erwähnten Frage: "Die Linke verlor mit dem Realsozialismus in der Sowjetunion, der DDR und den anderen Staaten des Moskauer Machtbereichs ihre welthistorischen, vergangenheits- und geopolitischen Gewissheiten: die Fixpunkte der Revolution, des Antifaschismus und des Antiimperialismus" (S. 19). Dabei betont der Autor, dass dies nicht nur für die DDR-orientierten Linken galt, sondern ebenso für die "undogmatischen Kräfte" dieses politischen Lagers. Differenziert macht Gerber darauf aufmerksam, dass es auch dort entsprechende Neigungen gab. Indessen bleibt er bei den kritischen Anmerkungen etwas zurückhaltend, wird dabei doch eine fehlende Glaubwürdigkeit deutlich: Wie kann man einerseits eine autoritätskritische Einstellung behaupten und andererseits gegenüber einem diktatorischen System schweigen? Das linke Scheitern dürfte gerade mit dem damit einhergehenden Widerspruch zusammenhängen.

Die Aufmerksamkeit von Gerber richtet sich danach auf zwei politische Themenfelder, einmal den "Antifaschismus" und einmal den "Antiimperialismus" als linke Orientierungsfaktoren. Er verschweigt dabei bezüglich des "Antifaschismus" in der DDR nicht, dass es sich für die dortige Diktatur um eine "Legitimationsgrundlage" handelte. Bekanntlich sah die marxistisch-leninistische Deutung des Faschismus darin ein Instrument des "Kapitals". Demnach wurde die Bevölkerung von der Verantwortung freigesprochen, war doch angeblich primär die Elite der "Finanzkapitalisten" verantwortlich. Eine ähnliche Sicht kursierte auch im Westen. Anders verhielt es sich demgegenüber beim "Antiimperialismus" als Deutungsfeld, sah man doch fortan das "revolutionäre Subjekt" in den ausgebeuteten Völkern. Die in den "Befreiungsbewegungen" auszumachenden "autoritären" und "völkischen" Orientierungen waren demgegenüber kein Thema. Es ging ja um die Frontstellung gegen den negierten "Westen".

Bei all diesen Ausführungen betont Gerber kritisch die Konfliktlinie, die etwa bei vielen "linken Gewissheiten" aus "antideutscher" Sichtweise bestanden: "Das betraf den falschen Kollektivismus und die Verachtung des Individuums ebenso wie die Israelfeindschaft und den Antiamerikanismus" (S. 205 f.). All dies wird in den Erörterungen der jeweiligen Kapitel vermittelt, indessen häufig eher in fragmentarischer Form mit etwas unsystematischen Windungen. Diese formale Kommentierung spricht gleichwohl nicht gegen die inhaltliche Richtigkeit. Man hätte sich derartige Einwände noch systematischer und vollständiger in der Präsentation gewünscht. Über derartige Aspekte hinaus verdienen aber auch viele Details kritisches Interesse, etwa die Ausführungen zur Entebbe-Entführung mit dem antisemitischen Hintergrund (vgl. S. 165 f.). Im Anhang der Neuausgabe wurden noch andere Texte aufgenommen. Einige der dortigen Ausführungen sind auch schon wieder veraltet, die allgemeinen kritischen Kommentierungen jedoch nicht.

Jan Gerber, Das letzte Gefecht. Die Linke im Kalten Krieg. Erweiterte Neuausgabe, 2. Auflage, Berlin 2025, XS-Verlag, 221 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-944503-18-9

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