Niederträchtige Lügen von der Kirche

(Times) Der Gesetzesentwurf zur künstlichen Befruchtung und zur Embryologie

basiert auf unhaltbaren Ansichten, sagt David Aaronovitch

 

Ostern war traditionellerweise die Zeit, in der Höllenfeuer und Arbeitsniederlegung von den Kanzeln von Pfarrern wettstreitender Konfessionen gepredigt wurde. Dieser Tage mischen leider die großen Kirchen mit. Über das Wochenende opferte die legendäre normannische Kathedrale in Durham einer ganz und gar nicht friedfertigen Botschaft ihre Bischofs Tom Wright ihre Ruhe. Als er unmittelbar vor der Parlamentssitzung über den Gesetzesentwurf zur künstlichen Befruchtung und zur Embryologie predigte, kritisierte der Bischof die Regierung dafür, „Gesetze gnadenlos und schnell durchzupeitschen, die von einer militanten atheistischen und säkularistischen Lobby stammen.“

Unterbrechen Sie die Predigt genau hier. Mein SPINNER/Religiöse-Vergleich passt sogar besser, als ich es erwartet hatte. Die Gesetzgebung stammt von einer „militanten atheistischen und säkularistischen Lobby“? Na klar, das muss es sein. Haben Sie sie nicht auf der Straße und auf ihren Bildschirmen gesehen, wie sie sich in ihre „Gott Ist Tot, Christen Sollten Toter Sein“-Atheistenstirnbänder und ihre roten Roben hüllen, wie sie Bibeln verbrennen und auf die Lehren von Dawkins und Hitchens im Wissenschaftsunterricht der Schulen bestehen, wie sie Ikonen kaputtschlagen und hinter Bischöfen herkriechen und ihre Gewänder hochheben?

Die Predigt geht weiter: „Dieser säkulare Utopismus basiert auf dem Glauben an die unaufhaltsame menschliche Fähigkeit, die Welt zu verbessern und glaubt zur selben Zeit, dass wir das Recht haben, ungeborene Kinder und überschüssige alte Menschen zu töten...“ Das ist so nahe an einer Lüge, dass es schon keinen Unterschied mehr gibt. Dr. Wright sollte direkt auf der Times-Leserbriefseite antworten, die selbst in unserer sündigen Zeit stets die Worte hoher Kirchenmänner druckt, um mir zu erklären, welche erwähnenswerte säkulare Organisation, oder wissenschaftliche Vereinigung, oder Atheistenschar es ist, die glaubt, dass „wir“ das Recht haben, „überschüssige alte Menschen zu töten“? Oder spielt er hier auf freiwillige Sterbehilfe an, der Gedanke, dass Menschen ein Recht haben könnten, ihre eigenes Leben zu beenden? Ich fordere ihn heraus.

Diese fast schon schamlose Missachtung von Fairness wurde zu dem konkreten Zweck benutzt, Vorschläge anzugreifen, welche die Entwicklung und Nutzung hybriden Embryonengewebes in wissenschaftlicher und medizinischer Forschung ermöglichen würden. Oder, wie es der Bischof mit versuchter beißender Ironie formulierte: „Geschlechter-Vermischung ist so out, wir betreiben nun Arten-Vermischung.“ Der angesehene Theologe hat Boy George1 mit Geschlechtsumwandlungs-Operationen verwechselt (ein großer Fehler, wie aus den Memoiren des Sängers hervorgeht), lassen Sie mich also anmerken, dass es genau diese Art von verbaler Freizügigkeit war, die Lord Winston so verstörte, als er von der Osterpredigt des Anführers einer gegnerischen Kirchengruppe, Kardinal Keith O'Brian, der römisch-katholische Erzbischof von St Andrews und Edinburgh, hörte.

Der Kardinal, der die Gesetzesvorschläge abwechselnd als „abscheulich“ und „grotesk“ bezeichnete, behauptete, dass Tier-Mensch-Embryonen „mit der Ausrede“ entwickelt würden, mit ihnen einige Krankheiten heilen zu können, und ergänzte: „Man könnte sagen, dass wir in unserem Land eine öffentliche Befürwortung von Experimenten frankensteinischen Ausmaßes seitens der Regierung haben werden.“ Man könnte das sagen, aber es wäre – wie der Professor feststellte – nicht wahr, obgleich es möglich ist, dass Lord Winston mehr Mary Shelley gelesen hat als der Kardinal und darum wusste, dass niemand auch nur annähernd vorschlug oder versuchte, eine neue Lebensform zu erschaffen, wie das Baron Frankenstein tat.

In Hinblick auf die Literatur, wenn auch nicht im Hinblick auf die Fakten, wäre der Kardinal näher an der Sache gewesen, hätte er auf Die Insel des Dr. Moreau von H.G. Wells verwiesen, wo der verrückte Titelheld versucht, Tiermenschen zu erschaffen. Und diese Vorstellung bewohnt vermutlich auch die Köpfe der Kommentatoren, denen schon durch die bloße Idee zellularer Hybriden mulmig zumute wird. William Rees-Mogg schrieb gestern auf diesen Seiten unterhaltend über das Element der Übelkeit, das einen solchen Ausblick begleitet und die Furcht vor sündiger Durchmischung hatte schließlich schon immer einen bedeutenden Platz unter den religiösen Tabus. Das dritte Buch der Bibel, Levitikus, handelt von nichts anderem. „Denn alles, was nicht Floßfedern und Schuppen hat in Wassern, sollt ihr scheuen“, sagte der Herr und verbot Hummer. Essen darf man auch nicht „den Storch, den Reiher, den Häher mit seiner Art, den Wiedehopf und die Schwalbe.“

Irgendwie haben wir das wahre Gefühl des Abscheus beim Gedanken, eine Krabbe auch nur anzufassen, überwunden, so wie wir auch in jüngster Zeit lernten, mit homosexuellen Handlungen und rassisch durchmischten Ehen klarzukommen. Diese Übergänge können sehr schnell vonstatten gehen – es fällt auf, dass zwei Drittel des von Gott mitgeteilten Zeugs in Levitikus praktisch zusammenfassend in einem einzigen Brief des Heiligen Paulus an die Korinther weggeworfen wurden.

Und ich muss wohl kaum darauf hinweißen, dass kein Embryo mehr als zwei Wochen am Leben gehalten werden kann, oder? Auf jeden Fall wurde die Diskussion darüber, was tatsächlich im Gesetzesvorschlag steht, durch die Entscheidung der Regierung in den Hintergrund gedrängt, die Abgeordneten der Labour-Partei zur Fraktionsdisziplin aufzurufen. Neben anderen großen „Überraschungen“ führte das zu einem Aufruf der katholischen Hierarchie zu einer freien Wahl – einer Wahl des „Gewissens“ – auf der völlig widersprüchlichen Basis, dass, laut Kardinal Cormac Murphy-O'Connor: „Katholiken aufgrund ihrer katholischen Überzeugungen handeln müssen“. Dies sind aber keine persönlichen Überzeugungen, sondern es ist eine Frage der Doktrin. Kirchen ändern ständig ihre kollektive Meinung darüber, was Gott sagt, also werden Abgeordnete dazu aufgerufen, ihre Kirche – nicht ihr Gewissen – an erste Stelle zu setzen.

Natürlich schloss sich, trotz dessen, praktisch jeder Leitartikel in jeder Zeitung, fast schon gelangweilt, der Forderung nach einer freien Wahl an. In einigen Fällen aber nur, weil sie annahmen, dass der Gesetzesentwurf angenommen werden würde. So kann man der religiösen Lobby ein einfaches Zugeständnis machen – über Fortpflanzungsrechte, Rechte von Homosexuellen, Menschenrechte – unter der Voraussetzung, dass man nicht glaubt, dass sie gewinnen. Auf diese Weise können die Kirchgänger zu ihren Bischöfen zurückkommen und sagen, dass sie ihr Soll erfüllt haben und der Rest von uns kann unseren Gesetzesvorschlag haben, um das Los des Menschen zu verbessern, oder um seine Leiden zu lindern. Dann wird der Entwurf zum Gesetz und nach einer Weile retten die Fortschritte Leben und die Bischöfe und ihre Schafe können still von den Maßnahmen profitieren, die sie so angeschwärzt haben, können ihre Operation haben, die Medizin runterkippen und scheinheilig der nächsten Opposition entgegen schreiten.

Wie die meisten Gottlosen (oder Gottfreien) verspüre ich nicht den Wunsch, für den Atheismus zu missionieren oder Menschen von ihrer Religion abzubringen, die ihnen Trost und Begleitung bietet. Jedoch äußern einige der obersten Gläubigen ihre Argumente auf eine zunehmend schrille und unangenehme – ja, skrupellose – Art und Weise. Dagegen muss man vorgehen, denn trotz ihres ganzen Geredes über das Gewissen, scheint es Dr. Wright und Kardinal O'Brian tatsächlich darum zu gehen, uns allen vorzuschreiben, wie wir leben sollen.

Übersetzung: Andreas Müller

Original: Aaronovitch, David: Wicked untruths from the Church. TimesOnline. 25. März 2008.

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1 Britischer Sänger, Marilyn Manson nicht ganz unähnlich.