ROSSDORF. (gwup) Unverstanden, gehasst, verteufelt: 150 Jahre nach ihrer ersten Formulierung durch Charles Darwin ist die Evolutionstheorie
noch immer umstritten – aber nur in bestimmten Kreisen außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Allerdings wächst die Medienpräsenz fundamentalistischer Evolutionsleugner derzeit nicht nur in den USA. Auch in Deutschland versuchen bibeltreue Gruppierungen, die Evolutionsbiologie aus dem Unterricht zu verdrängen oder die naturwissenschaftlichen Fächer mit pseudowissenschaftlichen Schöpfungsansätzen zu unterwandern.
Bei der GWUP-Konferenz 2008 ist Kreationismus das Schwerpunktthema. Prof. Dr. Dittmar Graf, GWUP-Mitglied und Inhaber des Lehrstuhls für Biologie und ihre Didaktik an der TU Dortmund, spricht dann über "Kreationismus in Deutschland". Er sieht darin eine Gefahr für die Zukunftsfähigkeit des Landes. Warum das so ist, erklärt er im Interview.
Herr Graf, auf der GWUP-Konferenz 2008 referieren Sie über "Kreationismus in Deutschland". Wie kommt ein gestandener Professor zu diesem Thema?
Dittmar Graf: Wer sich mit dem Lehren und Lernen von Evolution beschäftigt, kommt an dem Thema "Kreationismus" nicht vorbei. Neben zahlreichen Verständnisschwierigkeiten ist die Ablehnung des Faktums einer Evolution aufgrund religiöser Überzeugungen weit verbreitet. Besonders die Affenverwandtschaft des Menschen wird von vielen bestritten. Sogar über fünf Prozent der zukünftigen Biologie-Lehrerinnen und -Lehrer haben offensichtlich Schwierigkeiten, Evolution und Evolutionstheorie zu akzeptieren.
Kreationismus - also den festen Glauben an die biblische Schöpfungsgeschichte - vermutet man doch eher im US-amerikanischen Bibelgürtel, irgendwo zwischen Kansas und Virginia. Ist Kreationismus in Deutschland überhaupt ein Problem?
Dittmar Graf: Ich erlebe immer wieder, dass das Problem unterschätzt wird. Das Thema ist in Deutschland insgesamt nicht so sehr in den Medien präsent wie in den USA. Dennoch ist ein Schöpfungsglaube, der sich mit einer Ablehnung der Evolution verbindet, auch in Deutschland weit verbreitet. Nach Umfragen müssen etwa 20 Prozent der Bevölkerung als Kreationisten angesehen werden.
Was ist denn so schlimm daran, wenn ein paar Bibeltreue kompromisslos an die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte glauben wollen? Die haben doch Glaubensfreiheit, oder?
Dittmar Graf: Selbstverständlich kann jeder glauben, was er will. Kritisiert werden muss, wenn mythische Schöpfungsgeschichten als Wissenschaft verkauft werden, wenn man sie in den naturwissenschaftlichen Unterricht einbringen und Schöpfungslehre als gleichberechtigte Alternative zur Evolution als Unterrichtsgegenstand etablieren will. Letztendlich bedrohlich für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wird die Angelegenheit, weil damit die eh schon vorhandene Wissenschaftsskepsis bzw. -feindlichkeit, die in keinem anderen europäischen Land so hoch ist wie in Deutschland, weiter befördert wird.
Es heißt ja "Evolutionstheorie". Bedeutet "Theorie" nicht, dass das noch nicht der Weisheit letzter Schuss ist, dass die Bibel also doch Recht haben kann und die Wissenschaft seit Darwin auf dem Holzweg ist?
Dittmar Graf: Es gibt eine derart überwältigende Zahl an Belegen für die Evolution, dass diese als Tatsache angesehen werden muss. Theorien erklären Tatsachen und sind immer offen für Verbesserungen. Sie sind das Beste was die Wissenschaft zu bieten hat. Die Evolutionstheorie, die die Veränderung der Organismen im Laufe der Zeit erklärt, ist eine der am gründlichsten belegten wissenschaftlichen Theorien überhaupt. Für die Biologie und weit darüber hinaus ist sie von absolut zentraler Bedeutung. Dennoch ist Evolutionstheorie aufgrund des Konflikts mit religiösen Überzeugungen die am kontroversesten diskutierte wissenschaftliche Theorie, die es je gegeben hat.
Und was ist mit Intelligent Design, also der Annahme eines übernatürlichen Eingreifens in den Ursprung des Lebens? Könnte da nicht etwas dran sein?
Dittmar Graf: Es gibt nicht den leisesten Hinweis auf das Eingreifen eines Intelligenten Designers. Wenn man das Agieren einer übernatürlichen Instanz annimmt, die sich nicht an Naturgesetze halten muss, verlässt man sowieso den Boden der Naturwissenschaften.
Diskutieren Sie das auch mit Kreationisten? Können Sie da überzeugen?
Dittmar Graf: Man kann hartgesottene Kreationisten nicht von der Evolutionstheorie überzeugen. Dennoch habe ich in der Vergangenheit mit Kreationisten öffentlich diskutiert, aber nicht, weil ich glaubte, sie umstimmen zu können. Vielmehr ging es mir darum, den Zuhörern in Kontrastierung zum Kreationismus die Erklärungsstärke und Überzeugungskraft der Evolutionstheorie nahezubringen.
Was müsste geschehen, damit ein Kreationist oder ID-Anhänger Sie überzeugt?
Dittmar Graf: Die Rhetorik eines Kreationisten wird mich nicht überzeugen können. Wenn man allerdings Fossilien von Mensch und Dinosaurier zusammen in den gleichen geologischen Schichten finden würde, käme ich schon ins Grübeln. Ansonsten würden mich selbstverständlich direkte Belege für das Agieren eines Schöpfers überzeugen.
(Erstveröffentlichung im Weblog gwup | die skeptiker von Stefan Kirsch)