Rund 270 skeptische Köpfe trafen sich am "Himmelfahrts"-Wochenende (9. bis 11. Mai) in Augsburg zur SkepKon. Die Jahreskonferenz der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) wartete mit einem vielfältigen Themenspektrum auf, von Pseudo- und Antiwissenschaft, Verbraucherschutz, Sozialwissenschaften bis zu einem Ansatz für mehr skeptisches Denken in der Schulbildung.
Donnerstag, 9. Mai
Den Anfang machte auch diesmal wieder eine Neuauflage des erfolgreichen Formats "Skeptical" am Donnerstag, organisiert von Bernd Harder. Ein zentrales Thema: Exorzismus in Deutschland. Der letzte offizielle Fall liegt fast 50 Jahre zurück: 1976 verstarb die Studentin Anneliese Michel an Unterernährung, Fachleute diagnostizierten ein komplexes Krankheitsbild, in dem Epilepsie und Psychose eine entscheidende Rolle spielten. Vor ihrem Tod führten katholische Geistliche 67 Exorzismen an der jungen Frau durch.
Die Kirche hat das Ritual inzwischen komplett überarbeitet. In letzter Zeit erfährt der Exorzismus wieder Zuspruch, wenn selbsternannte Dämonenaustreiber ihre Dienste in Videos anpreisen. Häufig wenden sie sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen, so etwa der Anbieter "Nature23", dem Bernd Harder eine ausführliche Betrachtung gewidmet hat. Wissenschaftliche Studien zu den Motiven dieser Akteure bleiben abzuwarten. Im Fall Anneliese Michel wies Kriminalpsychologin Lydia Benecke in ihrem Vortrag auf die destruktive Gruppendynamik im Umfeld der gläubigen jungen Frau hin. Die Eltern vertrauten den religiösen Autoritäten, die Geistlichen waren überzeugt, das Richtige zu tun – und wollten anhand des Falles der Welt beweisen, dass es den Teufel wirklich gebe.
Aus festem Glauben, Gutes zu tun, können menschliche Tragödien hervorgehen. Dieses Muster setzt sich fort bei Therapeuten, die ihren Patienten vermeintliche traumatisierende Erlebnisse suggerieren, die in Wahrheit nie stattgefunden haben. Angeblich seien die Betroffenen Opfer von "ritueller Gewalt", die Täter hätten sie durch "Mind Control" gezielt in mehrere Persönlichkeiten aufgespalten, die nichts voneinander wüssten. Erst die Therapie hätte all dies aufgedeckt. Doch die eigentlichen Probleme bleiben unbearbeitet, zudem leben die Betroffenen in stetiger Angst vor Verfolgung durch angeblich übermächtige Täterkreise. Einen Einblick in diese Gedankenwelt vermittelte eine Betroffene. Sie schilderte, wie ihr bei der Therapie in einer Rehaklinik immer wieder eingeredet wurde, rituellen Missbrauch zu erleben. Bis sie der eigenen Wahrnehmung nicht mehr vertraute und sich komplett zurückzog. Dass sie den Weg heraus aus dem abgeschlossenen Glaubenssystem gefunden hat, führt sie unter anderem auf den Kontakt zur GWUP und deren Aufklärungsarbeit zurück.
Zu den weiteren Themen beim Skeptical gehörten Mythen in der Physiotherapie (Physiotherapeut Lutz Homann), der richtige Umgang von Wissenschaftskommunikatoren mit Trollen und Schmähkommentaren (Arzt und YouTuber Dr. Janos Hegedüs) sowie KI-Fälschungen und Deepfakes (André Wolf von der österreichischen Initiative Mimikama).
Freitag, 10. Mai
Mit der Macht von Bildern befasste sich auch die erste Referentin des Hauptprogramms am Freitag, die Medienwissenschaftlerin Anne Braune-Vasquez. Sie promoviert an der Universität Tübingen und der FH Dortmund über visuelle und fotografische Strategien als angebliche Belege für bildbasierte Verschwörungserzählungen. Dazu verfolgt sie Gruppen und Kanäle auf Messengerdiensten wie Telegram und identifizierte verschiedene Formen der Fälschung, etwa die bewusste Bearbeitung von Bildmaterial oder auch die falsche Kontextualisierung eines Bildes. In anderen Fällen werden authentische Fotos als angeblicher Beweis für Verschwörungsmythen herangezogen, etwa um zu belegen, dass die Mondlandung in Wahrheit im Studio inszeniert sei oder dass Chemtrails wirklich existierten. In allen Fällen dienen die Bilder als Selbstbestätigung und stärken den Zusammenhalt der jeweiligen Community, so Braune-Vasquez.
Mit reißerischen Abbildungen versucht man auch andere fragwürdige Behauptungen zu belegen. Seit einiger Zeit machen Veröffentlichungen über Funde von Riesen-Skeletten die Runde, Buchautoren behaupten, in früheren Zeiten hätten Menschen von 2,50 bis über 5 Metern Größe gelebt. Berichte antiker Geschichtsschreiber wie Herodot scheinen dies ebenso zu bestätigen wie Funde gigantischer Knochen, berichtet der Archäologe Leif Inselmann in seinem Vortrag. In den USA des 19. Jahrhunderts zog man die Story vom uralten Riesengeschlecht zudem gern heran, um die Existenz von alten, weiträumigen Hügelbauten, den Mounds, zu erklären. Denn man sträubte sich dagegen, solche kulturellen Leistungen den Indigenen zuzusprechen. Dass Riesen auch in der Bibel erwähnt werden, trug für die gläubigen Amerikaner weiter zur Attraktivität der These bei. Doch bei den vermeintlichen Riesenknochen handelt es sich in Wahrheit um Überreste von Mammuts, Mastodons und anderen ausgestorbenen großen Tieren. Heute erweist sich die Story von den Riesen als anschlussfähig an den bibelgläubigen Kreationismus und Steiners Anthroposophie, aber auch an die Prä-Astronautik, wie sie Erich von Däniken popularisierte.
Ein weiteres klassisches Betätigungsfeld von Skeptikern ist die Betrachtung von Studien. Dr. Norbert Aust, bekannt durch seine Analyse von Homöopathie-Studien, widmete sich in seinem SkepKon-Beitrag einem systematischen Review aus dem Bereich "Fat Studies". Sie werden als Beleg angeführt, dass Menschen mit hohem Körpergewicht durch das Gesundheitssystem diskriminiert würden. Aust stellt diese Schlussfolgerung in Zweifel. Das Datenmaterial wurde durch Interviews erhoben, und bei der Auswahl und der Wertung der Antworten von Teilnehmenden sei der Einfluss des Interviewers immens.
Eine eigene, datenbasierte Studie legten anschließend Dr. Stephanie Dreyfürst, Direktorin der VHS Wiesbaden, und ihre Mitarbeiterin Tina Alicke vor. Sie werteten die Programme von 56 Volkshochschulen in Deutschland nach "Schwurbel"-Angeboten aus. Als Grundlage entwickelten sie einen "Quack-Score", angelehnt an den Nutri-Score für Lebensmittel. Die schlechteste Wertung erhielt beispielsweise eine unkritische Veranstaltung über die Pseudowissenschaft Psycho-Physiognomik, die vom körperlichen Erscheinungsbild auf den Charakter eines Menschen schließt. Ebenso schlecht bewerteten die Referentinnen einen Kurs zur angeblichen Selbstheilung von Autoimmunerkrankungen und anderen chronischen Krankheiten nach Anthony William. Dieser ist bekannt dafür, Selleriesaft gegen zahlreiche Gesundheitsprobleme zu propagieren – wenn Betroffene dann ihre Medikamente absetzen, können dramatische Folgen auftreten. Mögliche Gründe für die Aufnahme von Schwurbelkursen in ein VHS-Progamm liegen oft auf persönlicher Ebene, so Dreyfürst und Alicke. Etwa, wenn Personen in Entscheidungspositionen überzeugt sind von zweifelhaften Ansätzen, oder wenn die Einrichtung finanziell auf die Einnahmen angewiesen ist. Mit den untersuchten 56 Institutionen haben die beiden zunächst 6,5 Prozent der deutschen Volkshochschulen untersucht. Weitere Forschungen sind geplant. "Die Situation ist nicht so schlimm, wie wir befürchtet haben. Aber so schlimm, dass wir weiter machen", sagt dazu Stephanie Dreyfürst.
Der Jurist Ralf Neugebauer befasst sich ebenfalls aus Sicht seines Fachgebiets mit Schwurbel. Er ist Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf und war zur Zeit der SkepKon Mitglied im GWUP-Vorstand. Im Mittelpunkt seines Vortrags stand die Werbung für esoterische Produkte, wobei er zwischen "offenem" und "verstecktem" Schwurbel unterschied. Ersterer ist leicht als esoterisch erkennbar und behauptet keine messbaren Ergebnisse. Trotzdem sind solche Versprechen erlaubt, weil sie nicht irreführend sind. Anders sieht es beim versteckten Schwurbel aus: Es ist kein esoterischer Gehalt zu erkennen und es werden messbare Ergebnisse behauptet. Was also tun, wenn man auf eine zweifelhafte Werbung stößt? "Wenden Sie sich an einen Verbraucherverband", empfiehlt Neugebauer.
Im Anschluss widmete sich der Psychologe Prof. Dr. Wolfgang Hell einigen verblüffenden Wahrnehmungstäuschungen. Anhand von Bildbeispielen erläuterte er, wie Auge und Gehirn uns eine Aura oder einen Heiligenschein um menschliche Gestalten sehen lassen.
Dass selbst Ikonen der Wissenschaft nicht gefeit gegen Schwurbelei sind, zeigte der Physiker und seinerzeit Vorsitzende der GWUP Dr. Holm Hümmler. Nobelpreisträger wie Kary Mullis oder Ivar Giaever, der 1973 den Physik-Nobelpreis erhielt, jedoch später auf einem völlig anderen Gebiet Schlagzeilen machte, nämlich als Zweifler am menschengemachten Klimawandel. Angesichts dieser Liste sprechen Beobachter von einer "Nobel disease", also dem Hang von Nobelpreisträgern, in späteren Jahren Schwurbel-Thesen zu verbreiten. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass Ausnahmeforscher sich oft durch einen schwierigen Charakter auszeichnen und durch den Nobelpreis weiter in die Öffentlichkeit rücken. Hümmler bewertet die These von der "Nobelpreisträgerkrankheit" mit Vorsicht. Die aufgeführten Biografien versteht er eher als Argument, von der Verehrung bedeutender Wissenschaftler als Säulenheilige abzukommen.
In einer schwierigen Situation sind auch werdende und junge Eltern. Hoch motiviert, dem Kind die bestmögliche Versorgung zu bieten, stehen sie einer unüberschaubaren Informationsfülle gegenüber, vor allem in den Sozialen Medien. Viele, die eine Beratung anbieten, können nur zweifelhaft Qualifikationen nachweisen. Und so manche Empfehlung ist unsinnig oder sogar potenziell schädlich, wie die Hebamme Anna Brodersen in ihrem Vortrag darlegte. So lehnen einige Eltern die Gabe von Vitamin K zur Prophylaxe von Mangelblutungen ab und berufen sich auf Online-Quellen, die mit der Angst vor dem "System" werben. Selbst einige, nach älteren Richtlinien ausgebildete Hebammen tun sich nach Brodersens Erfahrung noch schwer, nach evidenzbasierten Kriterien zu arbeiten. Dennoch stellt sie fest, dass die neue, akademisierte Ausbildung den Beruf zum Positiven verändert.
Der anschließende Vortrag von Jasmina Eifert widmete sich der Pro-Ana-Bewegung – einer gefährlichen Community, die dennoch erst allmählich in den Fokus kritischer Aufmerksamkeit gelangt. Pro-Ana, das ist die Verherrlichung von Magersucht, auch Anorexie genannt. Die Betroffenen sind meist 16- bis 25-jährige Frauen und Mädchen, die sich online in Messenger-Gruppen mit strengen Regeln zusammenfinden. Oberstes Ziel ist, so viel Gewicht abzunehmen wie möglich. Die Psychologiestudentin Eifert hat bei Pro-Ana-Comunitys Merkmale festgestellt, wie sie von Sekten bekannt sind: Die Mitglieder agieren im Geheimen, abgeschottet von der Außenwelt, erleben sich als Elite und dämonisieren die "Anderen". Doch anders als klassische Sekten verfügen sie weder über strenge Hierarchien noch über einen Personenkult. Die Gruppen bringen ein hohes Gefährdungspotenzial mit sich: So besteht die Gefahr von Symptomverschlechterungen, selbstverletzendem Verhalten und einer gesenkten Motivation zur Therapie. Hinzu kommt die Gefahr, dass sie zu Opfern von Sexualdelikten werden, wenn selbsternannte "Pro-Ana-Coaches" persönlichen Kontakt zu den jungen Frauen aufnehmen und von ihnen sexualisiert Fotos oder Videos fordern.
Zum Abschluss des ersten Konferenztages stand ein ausführlicher Doppelvortrag zu einem aktuellen Thema auf dem Programm. Es ging um das unwissenschaftliche Weltbild der Neuen Rechten, Referierende waren die Orientalistin und Historikerin Judith Faessler sowie der Philosoph und Extremismuskenner Dr. Dr. Sebastian Schnelle. Sie schlugen einen weiten ideengeschichtlichen Bogen von okkultistischen Strömungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Deren Protagonisten lehnten die Moderne ebenso ab wie es viele nach dem 1. Weltkrieg taten, als Konservative ein Gefühl von Entfremdung und Werteverlust beklagten. Die sogenannte "Konservative Revolution" bündelte verschiedene Strömungen, darunter Gegner der Weimarer Republik, völkische und die bündische Jugend. Auch die Lebensreform-Bewegung spielte hier eine Rolle. Im Unterschied zu diesen Vordenkern hat sich die Neue Rechte dem sogenannten Ethnopluralismus verschrieben. Das bedeutet, dass die verschiedenen Ethnien zwar anerkannt werden, man jedoch ihre Vermischung ablehnt. Zudem konstruiert die Neue Rechte eine mythische Verbindung von Volk und Boden, wie Faessler und Schnelle anhand von Zitaten zeigten. Liberalismus, Parlamentarismus und die Werte der Aufklärung werden abgelehnt zugunsten einer kollektiven Identität. Und all dies sei durchdrungen von Irrationalismus. "Nicht alle, die sich auf Okkultismus berufen, sind Rechte", schloss Judith Faessler, "aber unter den Neuen Rechten ist keiner frei von Irrationalismus. Es gibt kein rationales neurechtes Weltbild."
Samstag, 11. Mai
Am Abschlusstag, dem Samstag, standen noch einmal drei Vorträge auf dem Programm. Den Anfang machte der Psychologe Dr. Timur Sevincer von der Leuphana Universität Lüneburg mit einer Betrachtung über Sinn und Unsinn von Triggerwarnungen im akademischen Umfeld. Sie sollen zur emotionalen Vorbereitung auf potenziell belastende Inhalte dienen und helfen, negative Reaktionen abzuschwächen. Doch wird dieses Ziel überhaupt erreicht? Die Forschung kommt zu einer ernüchternden Antwort. Eine Meta-Analyse zahlreicher Studien zeigt nur winzige positive Effekte, vielmehr erhöhten Triggerwarnungen sogar die Nervosität der Probanden vor Konfrontation mit dem potenziell belastenden Inhalt. Sevincer empfiehlt, das fragliche Kursmaterial den Studierenden vorher zur Verfügung zu stellen, die Inhalte in der Kursbeschreibung zu erwähnen und vor allem Wissen über Triggerwarnungen zu vermitteln.
Mit dem Thema soziale Ungleichheit hatte sich der nächste Referent, Varnan Chandreswaran, ein polarisierendes Thema vorgenommen. Als Psychologe und Promovend im Bereich der kognitiven Neurowissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum fordert er einen evidenzbasierten Ansatz, um die soziale Ungleichheit zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund sowie zwischen Männern und Frauen zu verstehen. Nach seiner Ansicht sei die Rolle von Diskriminierung unklar und viele Faktoren trügen zur Ungleichheit bei, wobei sich Studien zufolge Diversity Trainings als wenig hilfreich erwiesen hätten. Chandreswaran plädiert im Sinne einer "evidence-based policy" dafür, Hürden für benachteiligte Personengruppen abzubauen, etwa die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auszubauen, und die Resilienz zu stärken.
Zum Abschluss der Veranstaltung widmete sich der Lehrer und Mediendidaktiker André Sebastiani einer ganz grundlegenden Frage: Nämlich, warum kritisches Denken so schwer in den Schulunterricht integrierbar ist. Und er nannte Gründe, warum es trotzdem gelingen kann. Auch wenn Skeptiker oftmals ein eigenes Schulfach "kritisches Denken" fordern, wäre mit dessen Einführung nichts gewonnen, so Sebastiani unter Hinweis auf aktuelle Forschungen. Denn kritisches Denken ist domänenspezifisch, funktioniert etwa im Fach Physik anders als im Geschichtsunterricht. Mehr Erfolg verspreche ein "gemischter Ansatz", der die Grundsätze des kritischen Denkens erst vermittelt und dann anhand von Anwendungsfällen zeigt. Auf Grundlage von Nikil Mukerjis Buch "Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstandes" soll demnächst ein Werkzeugkasten für das kritische Denken zusammengestellt werden, mit und ohne Fachbezug.
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Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ein guter Ansatz auf den Weg zum gesunden Menschenverstand