Israels Siedlungspolitik in der Kritik

(hpd) Der liberale US-amerikanische Journalist und Politikwissenschaftler Peter Beinart kritisiert scharf die israelische Siedlungspolitik und die apologetische Einstellung vieler jüdischer Organisationen in den USA. Er selbst schreibt als orthodoxer Jude und überzeugter Zionist aus einer menschen- und völkerrechtlichen Perspektive, der es um den Erhalt von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch in Israel geht.

Nach den Afroamerikanern gehörten die Juden zu der sozialen Gruppe, die bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen am stärksten für Barack Obama votierten. Die pro-israelischen jüdischen Organisationen neigen demgegenüber mehr den Republikanern zu. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte seine Sympathie für Obamas Herausforderer vor den Wahlen öffentlich mehr als deutlich bekundet. Wie erklärt sich nun das Spannungsverhältnis von Israel und den USA einerseits und zwischen den amerikanischen  Juden und den amerikanischen Juden andererseits?

Diese Frage zieht sich durch das Buch „The Crisis of Zionism“, das der als Professor für Politikwissenschaft an der City University in New York lehrende Peter Beinart veröffentlicht hat. Er selbst versteht sich als orthodoxer Jude und überzeugter Zionist. Gleichwohl formuliert Beinart heftige Kritik am Opferdenken seiner Glaubensgenossen und der Politik des Staates Israel, was in den USA zu heftigen öffentlichen Kontroversen um seine Positionen führte.

Mit dem Titel „Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft“ liegt jetzt auch eine deutsche Übersetzung vor. Darin wiederholt Beinart häufig eine zentrale Botschaft, wonach die Juden der Gegenwart nicht mehr aus Schwäche, sondern aus Stärke heraus agierten. Aufgrund einer historischen Perspektive nehme man aber eine falsche Haltung ein. Der Autor schreibt: „Aber wenn sie an ihrer Opferrolle festhalten, werden die Juden keine Antworten auf die beiden großen Fragen unserer Zeit finden: Wie kann das Judentum in den Vereinigten Staaten bewahrt werden, in einem Land, das es den Juden leicht macht, ihre jüdische Identität aufzugeben? Und wie kann die Demokratie in Israel bewahrt werden, einem Land, das seit 45 Jahren ... das Westjordanland besetzt hält und dort die demokratischen Regeln nicht gelten lässt?“ (S. 13). Wie bereits die letzte Frage andeutet, hat man es mit einer vehementen Kritik an der Palästinenserpolitik des jüdischen Staates zu tun. Bezogen auf die Einstellung vieler Israelis zu den Arabern spricht Beinart sogar vom „Rassenhass“ (S. 33).

Aus menschen- und völkerrechtlicher Perspektive formuliert er eine scharfe Kritik an der Besatzungspolitik, die in Israel zu einer Entfremdung vom liberalen Zionismus geführt habe. Nach einer ausführlichen Kritik entsprechender Entwicklungen steht das aktuelle Verhältnis von Netanjahu und Obama im Zentrum des Interesses.

Beinart hält beide Politiker für Zionisten, was er anhand von längeren Ausführungen zu deren geistiger Prägung erläutert. Netanjahu sei von einer nationalistischen und reaktionären Form im Sinne des Revisionismus eines Wladimir Jabotinsky geprägt worden. Obama, der mit einer Kapitelüberschrift gar als der „jüdische US-Präsident“ gilt, sei hingegen von einem liberalen Zionismus geprägt worden. Da sich Beinart ebendort sieht, nimmt er eine Pro-Obama-Position ein, kritisiert ihn aber auch aufgrund der vielen Zugeständnisse an Netanjahu. Der Autor bemerkt: „Bisher ist Barack Obamas Appell an jene amerikanischen Juden, die die israelische Demokratie retten wollen – ‚Bringt mich dazu es zu tun’ - , weitgehend ungehört verhallt“ (S. 187).

Das Buch stammt zwar von einem Politikwissenschaftler, und es enthält auch viele Belege im Anhang. Gleichwohl handelt es sich mehr um einen politischen Kommentar, der auch manche Einseitigkeiten erklärt. Zwar benennt Beinert kritisch die bedenklichen Positionen von Israels Feinden vor Ort, sie kommen aber in der Gesamtschau auf den Nahost-Konflikt nicht wirklich vor. Darüber hinaus finden die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel zu wenig Aufmerksamkeit. Gleichwohl kann der Autor für seine Kritik an der israelischen Siedlungspolitik mehr als nur gute Argumente anführen. Er macht auch deutlich, dass gerade dieses Agieren keinen Beleg für ein ehrliches Bemühen um eine Konfliktlösung darstellt.

Vehemente Kritik findet ebenso die distanzlose Unterstützung Israels: „Aber die maßgeblichen Organisationen der amerikanischen Juden neigen dazu, jegliche Kritik an Israel mit einem tief verwurzelten Hass auf die Juden zu erklären, und ignorieren, dass der jüdische Staat selbst ebenfalls zu seiner wachsenden Isolation beiträgt“ (S. 16f.).

Armin Pfahl-Traughber

Peter Beinart, Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer, München 2013 (C. H. Beck-Verlag), 320 S., 24,95 €.