Eine neue Internationale der Freidenker?

PARIS. (cilalp/hpd) Am 4. Juli 2005, auf der "Weltkonferenz der Freidenker, für den Atheismus und das freie Denken", wurde in Paris

das Internationale Verbindungskomitee der Atheisten und Freidenker (CILALP/ILCAF) gegründet. Es will die heute bedeutungslose „Weltunion der Freidenker" (UMLP) wieder aufbauen und lädt dazu am 4. Juni 2008 in Washington D.C zu einem Treffen interessierter Organisationen und Persönlichkeiten ein.

In Vorbereitung dieses Treffens versucht Jean-Marc Schiappa, der Präsident des IRELP (Institut de Recherches und d'Etudes de la Libre Pensée, Frankreich) in diesem Kontext eine kritische historische Bilanz dieser Internationale der Freidenker zu ziehen.

 

 

Kurze Übersicht der Geschichte des internationalen Freidenkertums

Wir müssen nicht die Gründe wiederholen, warum das Freidenkertum gegen den internationalen Dogmatismus kämpft und es folglich zu einem internationalen Gedanken und einer internationalen Organisation macht.

Man wird wahrscheinlich auch verstehen, dass ich in diesem kurzen Beitrag keine komplette Geschichte des internationalen Freien Denkens darstellen kann. Momentan haben wir weder die Mittel, noch, von einem bestimmten Gesichtspunkt aus, den Willen dazu.

Unser Ziel ist es zu zeigen, dass, unter allen Umständen und in jeder Hinsicht, eine Internationale der Freidenker eine gute Sache ist, vorausgesetzt, sie ist zugleich eine „Internationale" und diese auch eine „der Freidenker".
Chronologie
In einer zusammenhängenden aber sehr schematischen Weise können wir fünf Stadien dieser internationalen Reflexion und Organisation verzeichnen:
1. In Richtung zu einer Internationale (1848-1880)
2. Eine Internationale trotz allem (1880-1938)
3. Eine internationale Tätigkeit in schwierigen Zeiten (1945-1968)
4. Die Weltunion am Ende (seit 1968-1970)
5. Mehr als je, die Notwendigkeit einer Internationale (z. Zt.)

In einem anderen Dokument haben wir die entscheidende Bedeutung des Internationalen Kongresses von Rom (1904) und der Annahme der Charta des freien Denkens (der „Buisson Charter") unterstrichen, die Basis jeder internationalen Tätigkeit der Freidenker war oder sein soll. In der Tat wurde sie auf dem Weltkongress in Luxemburg (1929) wieder aufgenommen und es wurde immer wieder darauf zurückgegriffen.

Die Weltunion als die Wiedervereinigung der verschiedenen Freidenkerorganisationen - 1936 gegründet und nach dem Krieg umgebaut -, war in schwierigen Zeiten lange eine echte Internationale. Diese Internationale wurde dann das Opfer des Ersten Weltkrieges und seiner Nachwirkungen. So war sie nicht imstande, zwischen 1914 und 1919 zusammen zu kommen; sie war das Objekt eines Durcheinanders und von mehrfachen Spaltungen der Arbeiter- und demokratischen Bewegung in der Welt betroffen, ohne hier auf die Gründen eingehen zu wollen.

Das Aufkommen des Faschismus verhinderte den Kongress von Rom (1925, in Paris abgehalten) und von Warschau (1929, abgehalten in Luxemburg). Gerade das Aufkommen des Faschismus, und der demokratischen Arbeiteraufstände die darauf folgten, unterstrichen die Notwendigkeit, die Spaltung zu überwinden (1936). Das wurde auf dem Prager Kongress 1936 erreicht. Dort wurde die Charta von Rom wieder als Basis der Bewegung des freien Denkens aufgenommen. Dieser Kongress beschäftigte sich aufgrund der damaligen Umstände lange Zeit mit der Organisation der Atheisten in der UdSSR und somit mit der UdSSR selbst. Er war aber hauptsächlich gekennzeichnet durch die Unterstützung der Demokraten in Polen, Italien, Deutschland, Österreich und die „herzliche Dankbarkeit unserer Freunde aus Spanien", die in die spanische Revolution verwickelt waren.

Lassen Sie mich einige Worte aus dem Bericht von Sekretär H. Pardon zitieren: „Lange Zeit hat das freie Denken vergeblich vor diejenigen gewarnt, die sich in den Bündnissen und Kompromissen mit den Katholiken prostituieren."

Dieser Ton ist ziemlich stark! Aber sehr bald komplizierte der Zweite Weltkrieg und die internationale Situation des Kalten Krieges ab 1947 erneut die Dinge.

Um die Arbeit der Weltunion in dieser schwierigen Periode zu studieren, besitzt das Internationale Verbindungskomitee IRELP zwei Reihen von Dokumenten. Das ist zwar ziemlich wenig und zeigt die Schwäche des Archivs, aber es reicht für einen ersten Überblick. Die Dokumentation beinhaltet die administrative Korrespondenz der verschiedenen Verantwortlichen der Weltunion (Pardon, Courtois, Bonner) sowie Dokumente und Beschlüsse der Kongresse zwischen 1952 und 1968.
Die Archive, um die Worte des Allgemeinen Rates von 1968 wiederzugeben, sind „unglaublich unvollständig", aber schließlich zeigen sie viele Basisdaten.

Fragen im Rückblick

In Ermangelung eines kompletten historischen Projektes zur Bilanz des UMLP, wollen wir einige kurze Fragen aufwerfen:

1. Gab es eine kollektive Führung? Wie funktionierte sie? Was waren ihre Mittel? Was ist ihr möglicher Wiederaufbau? Wie wünschen Sie diesen Wiederaufbau? Gibt es Routinefaktoren?

2. Können wir das Bestehen eines geographischen Entwicklungsplanes feststellen? Oder gibt es eine Schrumpfung?

3. Welche theoretischen, philosophischen und politischen Fragen wurden durch diese Führung debattiert? Wie reagierten sie auf jene Fragen? Entsprechen sie der internationalen Situation? Ist sie der Tradition des Freidenkens angebracht?

4. Können wir das Bestehen von starken Gruppen und Beziehungen innerhalb dieser Internationale sehen? Welche Rolle haben die Kongresse und die Ehrenausschüsse?

Zu 1) Es gab eine funktionierende internationale Führung. Die drei Köpfe (H. Pardon als Sekretär, Charles Bradlaugh-Bonner als Präsident und L. Courtois als Schatzmeister) korrespondierten sehr regelmäßig miteinander und sie haben bemerkenswert häufig identische Ansichten über wesentliche Fragen.

Aber die Weltkongresse und sogar die Allgemeine Räte wurden häufig ohne bestimmte Repräsentanten oder Organisationen abgehalten. Diese Abwesendheit oder Mängel waren logischerweise der Fall für weit entfernte oder schwache Organisationen (die Sitzungen fanden in Westeuropa statt), aber auch für Organisationen, die diese Art von Sitzungen zu missachten scheinen. Die britische National Secular Society (NSS) bildete die Verbindung zwischen der Weltunion und der Englisch sprechenden Welt.

Personal sowie Finanzierung (Verzögerungen in der Beitragzahlung sind häufig), und auch Bürozubehör sind knapp (sehr häufig haben zum Beispiel die Leiter keinen Geschäftsbriefbogen).

Die Weltunion beschreibt sich (1954) „in voller Entwicklung" mit 30.000 Mitgliedern; die drei Hauptländer (das NSS in Großbritannien, das französische Libre Pensée, US-Organisationen) vereinen mehr als die Hälfte der Mitglieder.

Diese Führung war alt (Courtois war seit 1940 Schatzmeister und er plante 1970 aufzuhören, C. Bradlaugh-Bonner saß seit 1936 im Rat, Pardon leitete ihn seit den zwanziger Jahren und ist seit 1936 sein Sekretär). Auf einem anderen Niveau war Lorulot seit 1936 ein Mitglied der Führung. Der Wiederaufbau war schwierig: Viele starben in den fünfziger und in den sechziger Jahren. Die Sektionen von Osteuropa waren verschwunden (und es scheint, dass die Repräsentanten der ehemaligen Internationale der Gottlosen verschwunden sind). Cotereau war in den dreißiger Jahren weithin bekannt, Labrégère ergriff das Wort auf dem Weltkongress 1954 und F.A. Ridley (ein Führer des NSS) ist bereits weithin bekannt.

Zu 2) anscheinend gab es keinen konzertierten Plan der geographischen Entwicklung. So wird die Dekolonisierung, hauptsächlich in Afrika, nicht als Gelegenheit gesehen, neue Gebiete zu erreichen. Eine Ausnahme ist Indien, aber das erschien auf den Weltkongressen schon seit 1904 (mindestens). Trotzdem akzeptierte die Führung keine mögliche Schrumpfung, besonders nicht im Rahmen des Kalten Krieges, und versuchte, gegen sie zu anzukämpfen - was sehr lobenswert ist. Sie versuchte sich zu informieren, Kontakte aufzunehmen mit Freidenkern, Atheisten und mit Rationalisten aus Ostdeutschland, der Tschechoslowakei, Polen, Jugoslawien, sogar aus Finnland; sie berücksichtigte die Kontakte, die in Afrika existierten.

Diese Haltung wurde auf keinen Fall von einer Vernachlässigung der Grundprinzipien begleitet. Eher das Gegenteil. Nach einer Debatte über Taktik und Zweckmäßigkeit, nahmen sie Stellung gegen das Verbot der Kommunistischen Partei in Deutschland, „gegen alle Angriffe auf die Freiheit des Denkens". Sie vertrieben eine rassistische amerikanische Gruppe („liberale Liga") aus der Union.

Zu 3) Wir finden wichtige Dokumente in der besten Tradition der internationalen Freidenker. Die Berichte von F. Ridley über die katholische Gegenreform, von R. Labrégère über Wissenschaft und Religion (1954), von L. Rousseau über „die Krise und der Zukunft der Laizität" (1963?) die vor einem linken Klerikalismus warnen, die Analysen der katholischen Enzykliken und das II. Vatikanische Konzil („der Versuch der römisch-katholischen Kirche, sich der modernen Gesellschaft anzupassen hat kein anderes Ziel als... die Rückkehr seines Griffs auf die Massen, die ihr entfliehen"), sind bemerkenswert. Die Weltunion ist wachsam vor den Gefahren.

Sie verlangten die Aufhebung der deutschen und italienischen Konkordate, als Restbestände der faschistischen und nazistischen Diktatur. Die intellektuelle Produktion ist ziemlich bedeutend (übrigens werden IRELP sowie l'Idée Libre bald wieder einige jener Dokumente veröffentlichen).

Zu 4) Was waren die bedeutendsten Abschnitte dieser Periode? Ohne Zweifel spielt das NSS eine wichtige Rolle in der Weltunion. Pardon sowie Courtois sind, was sie persönlich anbetrifft, verstrickt in den „Schulpakt" zwischen dem POB (belgische Arbeiterpartei) und den christlichen Parteien, die zum Absturz des Antiklerikalismus in Belgien führen wird. Pardon kritisierte wiederholt die so genannten „Transformatoren oder Trojanischen Pferde" (wie die holländischen und deutschen Gruppen). Die französische Libre Pensée, wird von Lorulot (mithilfe von Cotereau und Labrégère) kurz gehalten, Lorulot selbst sucht Mittel für die Finanzierung der Weltunion; die US-Organisationen sind zerstreut und weit entfernt.

So bemerkenswert die intellektuelle Produktion ist, ist auch die Teilnahme von VIPs an den Kongress-Ausschüssen: Bertrand Russell, Linus Pauling, Charlie Chaplin, unter zahlreiche anderen.

Das Ende einer Ära

1966 markierte das Ende einer Ära: Charles Bradlaugh-Bonner starb während des Weltkongresses in London (2. September), was ein ernster Schlag sowohl für die NSS, die ihr hundertjähriges Bestehen feierte, sowie für die Weltunion war. Pardon trat - wegen Gesundheitsprobleme ab. Lorulot starb 1963. Das Dokument von 1966, „Gläubige und Nichtgläubige" gleichsetzend, ist ein Vorläufer der „Dialogpolitik" - die Coterau verurteilt - und öffnet das Tor zu der Linie von 1968: Nun steht in der Tat die Politik des Vatikan II im Vordergrund, vor welcher die Weltunion abdankt. Später im April 1970 bricht das NSS mit der Weltunion, weil es seine Rolle nicht mehr spielt. A. Caubel, 1966 zum Sekretär ernannt, dankt von seiner Position bei der französischen Libre Pensée im November 1969 ab, ohne Zweifel aus sehr unklaren Gründen.

Auf dem Weltkongress 2005 waren wir in der Lage, einige Elemente über das Abdriften der Weltunion zu zeigen, das zum ersten Mal 1968 offenbar wurde und bis jetzt nicht gestoppt werden konnte. Diese Anklage bedeutet nicht, dass wir ohne eine Internationale auskommen können, im Gegenteil.

Zusammenfassung

Als Zusammenfassung von 1947-1952 bis 1966-1968 sehen wir eine Weltunion, die in einer extrem schwierigen Situation (Kalter Krieg, Dekolonisation), mit politischen Parteien des Laizismus, die sich öffentlich dem Klerikalismus zuwenden (was die Weltunion kritisch charakterisiert), mit knappem Personal und Finanzierung doch als Weltunion arbeiten möchte und die versuchte, für das Problem seiner politischen und geographischen Entwicklung sowie die zeitgenössischen Herausforderungen (UNO, Drohungen des Atomkriegs, Vatikan II, Osteuropa als Beispiele) Lösungen zu finden.
Trotz allem funktionierte sie weiter und sicherte so die Kontinuität. Seine Produktion war von einem hohen Niveau. Trotz seiner Schwächen (und mit seinen Schwächen), bewies die Weltunion, damals, die Notwendigkeit und die Entwicklungsfähigkeit einer Internationale der Freidenker.

Wir müssen diese Aufgabe, auf einem höheren Niveau, in einem neuen internationalen Zusammenhang wieder angehen.

 

Übersetzung: R. Mondelaers