Webinar zu Bürgerbeteiligung

Wie rettet man die Demokratie?

mitbestimmung.jpg

Unter dem Titel "Die Demokratie retten durch mehr Mitbestimmung?" fand am vergangenen Donnerstag ein Webinar von Humanistischer Union und Berlin Institut für Partizipation statt. Es sollte ausloten, wie man die Demokratie weiterentwickeln und das politische und gesellschaftliche System weiter demokratisieren kann. Nach vier Impulsvorträgen folgte eine Fishbowldiskussion mit den bis zu 53 Teilnehmern. Der Tenor: Mehr Demokratie wagen!

Die Demokratie sei in einem schlechten Zustand, hieß es im Einladungstext zur Onlineveranstaltung. "Autoritarismus, Rechtsextremismus, Wirtschaftslobbyismus, wachsende soziale Ungleichheit, eine Einschränkung der öffentlichen Diskursräume, der langfristige Rückgang von Parteimitgliedschaften, parlamentarische Dysfunktionalität, eine wachsende Kluft zwischen den politisch Repräsentierten und Repräsentierenden etc. gefährden die Demokratie", lautete die Bestandsaufnahme. Es brauche politischen Druck für einen Zuwachs an demokratischer Entscheidungs- und Beratungsmacht der Bevölkerung, so der daraus abgeleitete Lösungsvorschlag. Um diesen zu Diskutieren fand sich ein äußerst gemischtes Feld von Menschen am Abend des 13. März zusammen, um sich zunächst in vier Impulsvorträgen über Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung zu informieren. Laura Leißner vom Berlin Institut für Partizipation führte durch die Veranstaltung.

Philip Dingeldey
Philip Dingeldey (Humanistische Union); Foto: privat

Philip Dingeldey, Geschäftsführer der Humanistischen Union (HU) und verantwortlicher Redakteur der HU-Zeitschrift vorgänge begann und stellte Bürgerräte als vielversprechendstes Konzept für mehr Demokratisierung vor. Sie setzen sich zu einem Thema zusammen und beraten, von Experten gebrieft und betreut. Der Vorteil gegenüber dem Parlament sei, dass sie weniger elitär sind, ein Querschnitt der Bevölkerung, der ausgelost wird. Man könne die Repräsentativität aber nach Kriterien steuern (Beispielsweise Geschlecht oder Bildungsgrad). Bisher seien Bürgerräte jedoch nur eine Simulation von Demokratie ohne politischen Effekt.

Um dies zu erreichen, hat sich die HU eine weitere Institution überlegt: die Bürgerkammer, die Elemente aus dialogischer, repräsentativer und direkter Demokratie vereint. Sie soll aus 160 Personen bestehen. Auch dort würden die Repräsentanten ausgelost, aber nicht zur Wahrnehmung ihres Mandats gezwungen. Amtierenden Angehörigen der Bürgerkammer würden Diäten gezahlt, alle zwei Jahre würde neu besetzt. Es müsse ein Wiederholungsverbot geben, damit keine Berufspolitiker entstehen. Auf der anderen Seite müsse es dafür eine Garantie geben, in den eigenen Job zurückzukehren. Die Bürgerkammer wäre kein Gesetzgeber, sie könnte aber Bürgerräte auf Bundesebene koordinieren und Empfehlungen fürs Parlament erarbeiten. Der Bundestag hätte eine Befassungspflicht, eine Ablehnung müsste begründet werden. Die Institution Bürgerkammer könnte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zweimal pro Jahr Volksentscheide auf Bundesebene initiieren, deren Ergebnis bindend wäre.

Jörg Sommer
Jörg Sommer (Berlin Institut für Partizipation); Foto: 

Tanea Sommer

Der zweite Impuls kam von Jörg Sommer, Publizist sowie Gründungsdirektor und Leiter des mitveranstaltenden Berlin Institut für Partizipation. Er habe den ersten Bürgerrat überhaupt als wissenschaftlicher Beirat mitbegleitet. Die Bürgerkammer wäre nicht ausreichend, um die Demokratie zu retten, ging er auf seinen Vorredner ein. "Die Demokratie erneuert sich nicht von selbst, (…) und sie ist weitaus fragiler als wir das immer dachten und hofften." Ihre Feinde kämen von innen und von außen, es gebe soziale und politische Spaltungsprozesse. Der Trend in vielen Ländern sei ähnlich, die Erosion dauere lange. Ratgeber, was man dagegen tun könne, blieben oft ohne konkreten Lösungsvorschlag. Bei Erhebungen würde das Vertrauen in das Konzept Demokratie nicht berücksichtigt.

Man müsse dem Negativtrend konkrete Demokratie-Erfahrungen der Vielen vor Ort entgegenstellen. "Demokratie muss erlebt werden, sonst stirbt sie." Und: "Unsere Demokratie kann weitaus mehr als wir ihr zutrauen und als wir uns manchmal zumuten wollen."

Demokratie sei nicht auf Wahlen reduziert, sie sei ein Modell des Zusammenlebens. Die größte Gefahr dabei sei zu wenig Demokratie. Demokratiefeindliche Gruppen zu bekämpfen und ihnen Rechte wegnehmen zu wollen hält der Vortragende dagegen nicht für zielführend. Demokratiefeinde könnten nur erfolgreich sein wenn zu viele Menschen mit Demokratie nichts anfangen können. Demokratie sei eine Einstellung und Kulturtechnik, eine Frage der persönlichen Erfahrung. Demokraten entstünden nicht von alleine. Diskurskompetenzen müssten erlernt werden, ebenso wie die Fähigkeit, verlieren zu können. Selbstwirksamkeit erfahren steigere die Chance, sich zu beteiligen.

Franz-Josef Hanke
Franz-Josef Hanke (Humanistische Union); Foto: privat

Es folgte ein dritter Input von Franz-Josef Hanke, Bürgerrechtler und ebenfalls engagiert bei der Humanistischen Union. Demokratie fuße auf einem gesunden Misstrauen gegenüber Macht, definierte er. Eine Gegenmacht könnte durch Bürgerräte und Bürgerkammern entstehen, erfolgreich werde das in der deutschsprachigen Gemeinschaft in Belgien praktiziert. Davon ausgehend hätte die HU ihr Konzept weiterentwickelt. Um die gewählten Institutionen zu stärken will sie erreichen, dass Parlamentarier und Minister nur einmal neu antreten können. Berufspolitiker entfernten sich immer weiter von der Bevölkerung, es gebe einen Hang zu Korruption und Populismus, Macht in Parlament und Regierung müsse begrenzt, Amtsmissbrauch bekämpft werden.

Das System der Checks and Balances würde lauten: Die Bürgerräte kümmern sich um Basisthemen. Die Bürgerkammer kann Politiker zur Rechenschaft ziehen. Das Parlament kontrolliert die Regierung. Das vorgestellte Konzept sei übertragbar auf kommunale und Landesebene.

Demokratie sei nicht leicht, aber "zu Hause sitzen (…) und nichts tun, (…) ist bestimmt nicht das beste in diesen Zeiten". Man müsse verschiedene Elemente zusammendenken, in allen gesellschaftlichen Bereichen, und auch auf die Straße gehen. Demokratie müsse als Abenteuer erlebt werden, das hier und da ratlos machen kann, als solidarischer Prozess, als konstruktiver Ansatz. Aktuell gebe es eine ungerechte Verteilung des Zugangs zu Entscheidungsmöglichkeiten. Mit dem Konzept der Amtszeitbegrenzung und der stärkeren Einbindung von Bürgerräten gäbe es die Möglichkeit, dass mehr Leute die Chance hätten einmal in einem Vertretungsgremium zu sitzen.

Astrid Köhler
Astrid Köhler (Kompetenzzentrum Bürgerbeteiligung); Foto: Maike Kollenrott

Astrid Köhler ist stellvertretende Vorsitzende des Kompetenzzentrums Bürgerbeteiligung, das zu Bürgerbeteiligung berät und gute Bürgerbeteiligung auszeichnet. Sie führte an, dass Bürgerbeteiligung bisher vor allem informell stattfinde. Und definierte, was eine gute Beteiligung ausmache. Dies sei der Fall, wenn viele mitmachten, man etwas lerne, sich Pläne änderten, die Menschen davon wüssten und mitmachen könnten (dabei wies sie darauf hin, dass Kommunikationskanäle heute sehr vielfältig sind) und wenn die Beteiligung nachhaltig etwas bewirke. Köhler gab zu bedenken, dass dialogische Formate nicht repräsentativ seien. Das sei auch nicht ihr Aufgabe, sondern die von Parlamenten. Doch mit einer guten Beteiligung werde man konsultativ für eine Entscheidung vorbereitet.

Gibt es schlechte Elemente in der Demokratie?

Dann wurden die übrigen Online-Teilnehmer einbezogen. Dafür hatte man sich das Format der "Fishbowl-Diskussion" ausgesucht. Diese Methode bedeutete in diesem Fall, dass die Impulsgeber als Kern der Debatte mit den bisher nur Zuhörenden in den Austausch traten und diese ihre Ideen und Erfahrungen einbringen konnten.

Ein Teilnehmer fragte, wie wir uns vor "schlechter Demokratie" schützen könnten. Denn Populisten nutzten demokratische Mechanismen für ihre Zwecke. Das sei ein politisches Risiko, räumte einer der Impulsgeber ein, dieses könne aber durch die Bürgerkammern abgefangen werden. Die direkte Demokratie könne das Problem haben, dass Interessen unterschiedlich gewichtet würden; da, wo faktenfrei argumentiert wird, werde es schwierig, gab er zu. Eine "Machtergreifung" sei immer eine "Machtermöglichung", gab er außerdem zu bedenken. Auf der anderen Seite sei es ermutigend, wie aktuell etwa über die Legitimität eines abgewählten Bundestages gesprochen werde.

Eine seit langem engagierte Frau wies darauf hin, dass es Bürgerräte zwar gebe, damit aber keine Rechte verbunden seien, es handle sich nur um eine gefühlte Beteiligung; auch Parteien hätten nicht mehr ihre ursprüngliche Funktion. Simulieren sei schlimmer als nicht beteiligen, lautete die Erwiderung darauf. Ein Vorteil sei aber, dass unmittelbare Dialoghaftigkeit Populisten wahlweise marginalisiere oder integriere. Berichte über Bürgerräte vermittelten den Eindruck einer Beschäftigungstherapie, kritisierte ein anderer Teilnehmer. In Potsdam gebe es Abgeordnete, die das Konzept Bürgerräte nicht einmal kennen würden. Diese Aussage löste einen Sturm der Entrüstung unter den Referenten aus.

"Scheitert Demokratie an der Inkompetenz einzelner Menschen?", wurde als Frage aus dem Zuhörerfeld provokant eingeworfen. Braucht es Kompetenzfilter und -kriterien für politische Ämter? Man könne schließlich keine Demokratie verteidigen, wenn Menschen in Ämter kommen können, die einen ganzen Staat ruinieren, sagte der Teilnehmer mit Blick auf das Gespann aus Donald Trump und Elon Musk in den USA. Die Leute müssten sich bewusst sein, so lautete die Antwort darauf, dass man gewisse Kompetenzen für ein Amt brauche. Es brauche in diesem Zusammenhang auch Engagement gegen Wahlkampfrisiken durch zu viel Geld.

Es gebe ein Problem wie Repräsentation gedacht werde: die Mehrheit werde ausgeschlossen, man traue den Menschen zwar zu, die richtige Person zu wählen, aber nicht, selbst Entscheidungen zu treffen. Das sei aristokratisch gedacht. "Demokratie braucht weniger Filter, Repräsentation muss eingeschränkt werden." Kritik gab es an der Repräsentativität von Bürgerbeteiligung, auch dieser Veranstaltung, sie sei elitär, wie auch die Bürgerräte hochschwellig seien; die, die betroffen sind, beteiligten sich oft nicht.

Die Kommunikation und Transparenz zwischen Bürgern und Politikern müsse verbessert werden, war noch eine Forderung aus dem Plenum. Es sei Gemeinsinn notwendig, nicht nur ein Gegeneinander.

Zwei konkrete Projekte wurden in der Runde vorgestellt: Der "Schüler*innenhaushalt", der versucht, gelebte Demokratie und Beteiligung in der Schule zu verankern, und "Das freie Parlament", das einen ganz neuen Ansatz verfolgt, was Demokratie sein soll.

Tatsächlich war auch eine amtierende Politikerin anwesend: Antje Grothus, Grüne Landtagsabgeordnete aus NRW. Sie begrüßte den Austausch und die Ansätze; Politiker müssten Mut haben, Einfluss abzugeben. Das verlange ihnen viel ab. Es sei schwierig, Bürgerräte überhaupt auf den Weg zu bringen, hier gebe es Widerstände. Politiker hätten die Auffassung, sie verträten die Bevölkerung, da sie gewählt seien. Ob man die Politik mit zu viel Progressivität verschrecke, stellte sie in den Raum. Man müsse sensibilisieren. Die Macht-Monopolisierung durch Parteien sei im Grundgesetz nicht vorgesehen.

In der Schlussrunde erging die Aufforderung zum Ausprobieren, man solle Demokratie als Prozess auch mit Verbesserungsbedarf begreifen. Die Bitte an alle lautete: "Tut was!"

Unterstützen Sie uns bei Steady!