BERLIN. In etwa 14 Tagen erscheint Heft 20 von „humanismus aktuell“. Diese Ausgabe hat, so hoffen die Herausgeber, vielleicht
die Chance zu einem Standardwerk in der säkularen Szene zu werden.
Der Sammelband „Säkulare Geschichtspolitik“ liefert eine erste Geschichte der organisierten Freigeisterei in Deutschland zwischen Kriegsende 1945 und 1990, eingeschlossen Rückblicke sowohl auf Verfolgungen der Freidenker unter dem Nationalsozialismus also auch auf Verwicklung von Freireligiösen in dieses System.
Im zehnten Jahr der Gründung der „Humanistischen Akademie Berlin“ am 13. Juni 1997 in Berlin ist die ehemalige Zeitschrift zu einer Buchreihe geworden – wohl die einzige in Deutschland, die sich ausschließlich der Theorie und Geschichte des säkularen Humanismus widmet. Sie dokumentiert in erster Linie die wissenschaftlichen Tagungen der Berliner Akademie, der inzwischen ein Pendant in Bayern zugewachsen ist. Eine 2006 gegründete Bundesakademie „Humanistische Akademie Deutschland“ hat im letzten Herbst ihre Tätigkeit aufgenommen.
Inhalt
Die Publikation enthält neun Aufsätze, drei Rezensionen und eine Dokumentation, siehe das Inhaltsverzeichnis im Anhang. Das Heft 20 übergibt vor allem die Referate der Tagung „Säkulare Geschichtspolitik in Deutschland und freidenkerisches Erbe“ dem öffentlichen Diskurs. Die „Politische Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung“ (fes) und die „Humanistische Akademie Deutschland“ (HAD) hatten am 18. November 2006 nach Berlin zur siebenten gemeinsamen Konferenz eingeladen. Am Tag darauf wurde die Veranstaltung im Theatersaal des Kulturhauses in Friedrichshain fortgesetzt. Einlader war nun die „Humanistische Akademie Berlin“. Der hpd berichtete über diese Tagung ausführlich. Das dort Geschriebene muss hier nicht wiederholt werden.
Übergreifend und das gesamte Heft bindend ist das weite Humanismus-Verständnis im Beitrag von Hermann Glaser „Humanismus und Geschichtskultur“ und sein Plädoyer für Kulturgeschichte – aus besonderem Grund: „Die Stimme der Vernunft ist leise, aber unüberhörbar – Geschichte bestätigt dies nicht, jedoch Kulturgeschichte.“
In dieses Heft konnte ein Text über Bundeskulturpolitik von Alexander Endreß, Mannheim, aufgenommen werden, der auf einem Vortrag basiert, den der Autor an der Berliner Humanistischen Akademie am 12. Oktober 2006 gehalten hat.
In diesen Band konnten zudem drei zum Band-Thema gut passende Rezensionen eingerückt werden, von Petra Caysa, Berlin und Leipzig, über Norbert Hoersters Buch über die Frage nach Gott, von Gerhard Engel, Hildesheim, über den Atheismus-Sammelband von Richard Faber und Susanne Lanwerd (beide Berlin), und Christine Weckwerth, Berlin, über das Feuerbach-Buch von Jens Grandt.
Dokumentation
Eine Novität ist die Dokumentation am Schluss der Ausgabe. Sie versucht ein Gesamtbild der säkularen und freigeistigen Organisationen und Verbände in Deutschland im Jahr 2007. Bisher lag nur die frühere Fassung von 2001 gedruckt vor, die in aufzählender Form in die EZW-Broschüre von Andreas Fincke einging, die eine Darstellung der säkularen Szene aus evangelisch-kirchlicher Sicht ist.
In die Geschichte der EZW, der „Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen“ gibt Horst Junginger einen aufklärenden Blick, der zugleich massive Kritik an der Vergangenheitspolitik der Kirchen, hier der evangelischen, übt.
Die Verbände-Tabellen versuchen eine Zuordnung nach inhaltlichen Selbst- und Fremddefinitionen. Die Einordnung der Organisationen in Spektren deutet Überschneidungen an, kann sie aber schlecht sichtbar machen. Eine Interpretation der Gemeinsamkeiten und Differenzierungen im „säkularen Spektrum“ steht schon lange an. Es wäre sicher ein Anfang, wenn erstens die bestehenden Verbände einen kritischen Blick auf diese Tabellen werfen, auch hinsichtlich weiterer oder nicht mehr bestehender Organisationen. Zweitens ist es angezeigt, die Idee eines „Handbuches der freigeistigen Organisationen und Personen in Deutschland“ noch einmal aufzugreifen. Dieses Projekt scheiterte 2000/02 an mehreren Ursachen, die hier nicht zu erörtern sind.
Ergebnisse
Manfred Isemeyer, damals mit Volker Mueller und mir im ursprünglichen Herausgeberteam (weitere Experten wurden gewonnen, wenn auch vergeblich, weil das Projekt damals scheiterte), schreibt in seinem Beitrag „Freigeistige Bewegungen in der Bundesrepublik 1945 bis 1990“ über die „Schwierigkeit, die Historie wissenschaftlich zu rekonstruieren“. Vielleicht wird gerade sein Beitrag einige Diskussionen auslösen, gibt er doch eine ernüchternde Gesamtschau auf die Freigeisterei in der Bundesrepublik bis zum Ende der deutschen Teilung.
Isemeyer resümiert: „Fasst man die religiösen Entwicklungstendenzen in der Bundesrepublik bis 1990 zusammen, so ist die empirische Evidenz, die für die Gültigkeit der Säkularisierung der Gesellschaft spricht, sehr deutlich. Von diesem allgemeinen Säkularisierungstrend konnte die freigeistige Bewegung allerdings zu keiner Zeit profitieren.“ Der Autor gibt den Lesern in fünf Thesen seine Interpretation dieses Sachverhalts.
Unmittelbar mit diesem Beitrag korrespondieren die beiden Aufsätze von Günther Kehrer und Dietrich Mühlberg, die auf die Geschichten in beiden deutschen Teilstaaten zurückblicken und dabei zur Frage der Organisierbarkeit Konfessionsfreier überhaupt argumentieren. Kehrer schreibt: „Erst wenn es Repräsentanten des politischen Lebens auf kommunaler und auf nationaler Ebene gibt, die sich unaufgeregt, aber unmissverständlich religiösen Feiern entziehen, d.h. nicht teilnehmen, kann der Gedanke vielleicht wieder in das kulturelle Bewusstsein dieser Gesellschaft kommen, dass die organisierte Religion christlicher Prägung eine Privatangelegenheit der Bürger ist. – Aber das ist wahrscheinlich noch ein langer Weg.“ – Hinsichtlich der Organisierbarkeit ist er wie bekannt skeptisch.
Fragen
Bei Mühlberg ist herauszulesen, dass noch gar nicht erforscht ist, woran der Rückgang organisierten Freidenkertums nach dem Ende der DDR in Ostdeutschland lag, wie er sich vollzog und was in welchen Organisationen mündete. Er schreibt, wenn er „ein Projekt zur Geschichte der Freidenkerei in der SBZ/DDR zu verantworten“ hätte, würde er versuchen, die Absichten des DDR-Freidenkerverbandes mit den Ergebnissen zu vergleichen und für die DDR – das gilt dann auch sinngemäß für Ostdeutschland nach der „Wende“ – die „Wandlungen der weltanschaulichen Befindlichkeit der ostdeutschen Funktionseliten (in einem sehr weiten Sinne gefasst)“ zu analysieren.
Erschwerend für ein solches Unterfangen ist – so resümiert mein Beitrag „Atheismus und Realsozialismus in der DDR“ – dass es nur geringe Ansätze zu einer Geschichte des ostdeutschen „Volksatheismus“ gibt und fast gar keinen aus nicht-kirchlicher Sicht. „Dieses sozialpolitische Geschehen als komplexen Prozess zu sehen, haben bisherige Betrachtungen der Säkularisierungen in der DDR stark vernachlässigt. Sie bewegen sich weitgehend auf der Ebene des Staat-Kirche-Verhältnisses, als handle es sich hier um ein isoliertes Gebiet. Doch ohne das Erfassen des Phänomens Atheismus als kulturelle Erscheinung wird er für die DDR nicht erklärbar sein.“ Das gilt selbstredend auch für den Atheismus in der Bundesrepublik.
Auch das Reden über „neuen Atheismus“ macht meiner Ansicht nach nur Sinn, wenn klar ist, was mit „altem“ denn gemeint sein könnte. Jedenfalls sind Ideenüberschneidungen zwischen atheistischen Grundannahmen in der DDR, die auch einer bestimmten materialistischen Auffassung von menschlicher Evolution folgten, und einigen Thesen des „evolutionären Humanismus“ unübersehbar und bedürfen dringend der Klärung und Bewertung.
Horst Groschopp
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