Die „Neocons" der Außenpolitik

(hpd) Die achtjährige Präsidentschaft von Georg W. Bush nähert sich unweigerlich ihrem Ende. Viele außenpolitische Entscheidungen

in jenen Jahren – und dabei insbesondere der Irak-Krieg – werden auf den Einfluss einer neokonservativen Denkströmung im Umfeld der Administration zurückgeführt.

 

Dabei kursierten eine Reihe von Klischees und Simplifizierungen, Stereotype und Übertreibungen, welche zu einem inhaltlich verzerrten Bild von Bedeutung und Positionen dieser „Neocons" führten. Ihnen will der Politikwissenschaftler Patrick Keller mit seiner Studie „Neokonservatismus und amerikanische Außenpolitik. Ideen, Krieg und Strategie von Ronald Reagan bis George W. Bush" eine differenzierte Betrachtung entgegen stellen. Darin setzte er sich das Ziel, zum einen die Besonderheiten der angesprochenen Denkschule und zum anderen deren Einfluss auf die Außenpolitik von Bush aufzuarbeiten. Methodisch vermischt der Autor hierbei ideengeschichtliche und politikwissenschaftliche Perspektiven.

Zunächst geht es um die Genese des Neokonservatismus in Abgrenzung zum traditionellen Konservatismus und Liberalismus zwischen den 1950er und 1970er Jahren, wobei die wichtigsten intellektuellen Protagonisten (Glazer, Kristol, Podhoretz) und Vorbilder (Burnham, Niebuhr, Strauss etc.) beschrieben werden. Danach zeichnet der Autor den intellektuellen Einfluss und die praktische Umsetzung von deren Auffassungen während der Reagan-Administration in den 1980er Jahren nach. Während der folgenden Präsidentschaft von George H. W. Bush Anfang der 1990er Jahre habe es eine realpolitische Restauration gegeben, gleichwohl sei durch einen Generationswechsel der Neokonservativen und die Abgrenzung von der Clinton-Politik eine Renaissance erfolgt. Den größten Einfluss entfaltete man aber nach Kellers Ausführungen im letzten größeren Kapitel während der Präsidentschaft von George W. Bush, was sich zum einen an der Entscheidung für den Irak-Krieg und zum anderen an der Ausrichtung des Kampfes gegen den Terrorismus zeige.

Sechs Kernmerkmale

Als Bestandteile des neokonservativen Programms für eine Außenpolitik arbeitete der Autor folgende Kernmerkmale heraus: erstens das Selbstverständnis als Verkörperung des Guten in der Welt, zweitens den rigiden und unabdingbaren Antikommunismus, drittens die Vermischung von Idealismus und Realismus, viertens die militärische Konfrontationsbereitschaft, fünftens die Skepsis gegenüber internationalen Organisationen und Vereinbarungen und sechstens den vom Fortschrittsglauben durchdrungenen missionarische Impuls. Über deren Einfluss bemerkt Keller zusammenfassend, „dass die Bush-Doktrin die ‚intellectual high-water mark' der Neokonservativen ist. Nie zuvor hatten ihre Ideen und Grundannahmen so umfassend Eingang in die außenpolitische Strategie eines Präsidenten gefunden. Alle sechs Merkmale des in den 1990er Jahren neu positionierten Neokonservatismus finden sich - wenn auch in unterschiedlichem Maße - in Bushs Doktrin wieder" (S. 191). Sie hätten zumindest zwischen 2001 und 2003 die US-Außenpolitik geprägt.

Kellers überaus informative und kenntnisreiche Studie beeindruckt durch das reflektierte und strukturierte Vorgehen. Aufschlussreich arbeitet er die Besonderheiten der Neokonservativen auch im Vergleich zu anderen Denkrichtungen der Außenpolitik und die Gemeinsamkeiten neokonservativer Auffassungen mit der realen Politik heraus. Mitunter kann hier aber auch gefragt werden, ob er den Einfluss durch seine Fixierung auf die „Neocons" nicht überzeichnet. Sicherlich argumentiert Keller weitaus differenzierter als die oberflächliche Medienberichterstattung. Gleichwohl müssen Parallelitäten von Auffassungen nicht zwingend auf Kausalitäten von Wirkungen zurückgehen. Daher hätte man sich in der Studie noch nähere Ausführungen zur Vermittlung der Ideologie in die Politik hinein und zu deren Wirkung für konkrete Entscheidungen gewünscht. Auch wäre zu fragen, ob die „Neocons" wirklich so idealistisch sind, wie sie auch hier dargestellt werden. Die Einbettung dieser Gesichtspunkte in die Arbeit hätte den Wert der Studie noch mehr erhöht.

Armin Pfahl-Traughber

 

Patrick Keller, Neokonservatismus und amerikanische Außenpolitik. Ideen, Krieg und Strategie von Ronald Reagan bis George W. Bush, Paderborn 2008 (Ferdinand Schöningh-Verlag), 344 S., 29,90 €