"Wie können wir die Welt sicherer machen?"

STOCKHOLM. Die Hochschule für Lehrerausbildung (Lärar Högskolan) war vom

10. bis 12. November ein passender Ort für die 1. Baltische Humanisten Konferenz - haben Humanismus und Aufklärung doch auch sehr viel mit schulischer Bildung zu tun.

Rund 130 Teilnehmer/-innen aus 18 Staaten hatten sich in der Hochschule zusammengefunden – und schon das deutete darauf hin, dass die Einladungen über die European Humanist Federation (EHF) und die International Humanist and Ethical Union (IHEU) weitere Kreise gezogen hatte, als nur die Ostsee-Anrainer zu erreichen. Das Leitthema lautete: „How can we make the world safe for democracy and a secular society?"

Da das Tagungsprogramm bereits <veröffentlicht> wurde und alle Redebeiträge und Diskussionen in einem Tagungsband veröffentlicht werden, kann sich dieser Bericht darauf beschränken, über Schwerpunkte und subjektive Eindrücke zu berichten.

Die Konferenzsprache Englisch bringt immer wieder neue Assoziationen, welche Begriffe gebräuchliche Bedeutungen haben und wie sie im Deutschen verwendet werden. Ein Beispiel: „Enlightment" übersetzen wir mit „Aufklärung", wörtlich heißt es „Erleuchtung" – ein schönes Bild: Das Licht des Wissens in die Finsternis der Unwissenheit zu bringen –, und dazu ‚passend' das christliche „Feindbild" des Lichtbringers (der Erkenntnis) als „Lucifer". In dieser Hinsicht ist der Gast-Status auf einer internationalen Konferenz außerhalb von Deutschland immer etwas sehr konkret zu Erlebendes: man ist Fremder unter Einheimischem.

Der Aspekt, dass eine „Konferenz" bedeutet, etwas zu besprechen, wurde von den schwedischen Gastgebern bemerkenswert realisiert, indem für individuelle Gespräche bei Kaffee, Tee und Gebäck immer wieder Pausen vorgesehen waren, sich kleine Gruppen bildeten, wieder auflösten und es jedem möglich war, jedem anderen zu begegnen. Der Hauptzweck der 1. Baltischen Humanisten Konferenz - die Vertreter von humanistischen Organisationen miteinander bekannt zu machen und persönliche Kontakte herzustellen, war somit eine Leichtigkeit.

Je nach Thema waren die Beiträge ernst, aber auch immer wieder mit heiteren Blitzern versehen. So hatte Sonja Eggerickx – die Präsidentin der International Humanist and Ethical Union – die Lacher sofort auf ihrer Seite, als sie in ihrem Grußwort zur Eröffnung der Konferenz die Mitteilung überbrachte, dass sie am Morgen noch in Brüssel gehört habe, dass die Bibel nicht mehr das am weitesten verbreitete Buch auf der Welt - es sei inzwischen der IKEA-Katalog.

Morgan Johansson – Parlamentsabgeordneter und vormals schwedischer Minister für Gesundheit und Soziales –, beschrieb den Erfolg der Säkularisierung in Schweden, der darauf beruhe, dass das Land eigentlich niemals christianisiert worden war. Das Christentum und die Kirche wurden von der Elite des Landes getragen, nicht vom Volk. Und schließlich hätten 70 Jahre sozialdemokratischer Regierungsführung – von 85 Jahren Demokratie in Schweden –, auch dafür gesorgt, dass Religion keine starke politische Kraft in Schweden sei. Die 1964 gegründeten Christlichen Demokraten hätten erst Erfolg gehabt, als sie die „christlichen Themen" reduzierten und politischer wurden.

Diesen Faden nahm Babu Gogineni – Internationaler Repräsentant der IHEU aus Indien – auf, indem er feststellte, dass die Idee, religiöse Führer könnten den politisch gewählten Führern erzählen, was gute Politik wäre, ein Witz sei.

Lars Gule (Universität Oslo) bekräftige, dass Säkularisierung die positive Einstellung zu Menschenrechten und Wissenschaften bedeute und der Kern des Humanismus die Toleranz sei. Diesem Sog könne sich niemand widersetzen und er meinte: „Wir leben in einer Zeit der Humanisierung von Religionen."

Die schwedischen Humanisten nutzten die Gelegenheit, vor internationalem Publikum ihren Humanismus Preis (Ingemar Hedenius-Priset) zu verleihen. Zum Preisträger des Jahres 2006 wurde < Björn Ulvaeus > gewählt, der für sein öffentliches Eintreten zur Unterstützung des Humanismus und seine explizite Religionskritik geehrt wurde. Er war jedoch beruflich in Brasilien unterwegs; so nahm seine jüngste Tochter Anna Preis und Blumen in Empfang und – zur Überraschung der meisten Teilnehmer –, es verdunkelte sich der Saal und Björn Ulvaeus bedankte sich in einer persönlichen Video-Botschaft.

Am späten Nachmittag sprach Thorleif Pettersson (Universität Uppsala) über „Religiöse Werte und säkulare Ideale im Ostseeraum.". Auf der Makro-Ebene stellte er einen immer deutlicher werdenden Unterschied zwischen religiösen und säkularen Institutionen fest. Die Religiösen würden auch immer stärker an Einfluss in ihren traditionellen Tätigkeitsfeldern (Erziehung, Gesundheit, Soziales) verlieren und zunehmend „reine Religionen" werden. Auf der Mikro-Ebene betrachten immer weniger Menschen die Religion als wichtig für ihr Leben. Fazit: Religion verliert durch sich selbst an Einfluss – da sie die Menschen nicht mehr erreiche –, und nicht durch äußere soziale oder ökonomische Faktoren.
Auf Datenbasis der European Values Studies und der World Values Studies erläuterte er zwei grundlegend unterschiedliche Werte-Orientierungen. Zum einen die traditionelle Werteskala, in der die Werte Familie, Vaterland und Religion eine enge Verbindung eingehen, und zum anderen eine emanzipatorische „Selbstverwirklichungs"-Werteorientierung, für die soziales Vertrauen, Toleranz und Minderheitenrechte die Kernelemente sind.

Am späten Nachmittag und frühen Abend war dann Raum für „social activity", bei dem die großen Namensschilder das gegenseitige Ansprechen und die Aufnahme von Unterhaltungen erleichterten.

In der ersten allgemeinen Debatte am Samstagvormittag („Secularism, Tolerance and the Freedom of Speech"), einer Aufarbeitung der Situation nach den Mohammed-Karikaturen, bekräftigten alle Teilnehmer die allgemeine Meinungs- und Redefreiheit, sowie – hinsichtlich der religiösen Erziehung –, auch die allgemeinen Menschenrechte der Kinder.

Die zweite Debatte betraf „Sterbehilfe - eine Herausforderung für die Humanisten weltweit". (Die im Englischen und allen anderen Sprachen gebräuchliche Verwendung des Begriffs der „Euthanasia" wird im Deutschen – aufgrund der historischen Belastung hinsichtlich der Tötung Behinderter durch die Nazis unter diesem Begriff –, nicht verwendet.)
Der Geschäftsführer der niederländischen „Gesellschaft für das Recht zu Sterben", Rob Jonquiere, beschäftigte sich mit einer Reihe von Vorurteilen und Missverständnissen, die in der polemischen Frage gebündelt werden: „Wollen Sie etwa hier bei uns Zustände wie in den Niederlanden?"
So belegte er, dass die Angst alter Menschen, nicht in ein Altersheim zu gehen, da sie dort getötet werden würden, keinerlei empirische Grundlage habe. In 70 % aller Fälle sterben die Menschen zu Hause, 27 % im Krankenhaus und 3 % in Altersheimen. Auch das Argument, dass eine optimale palliative Versorgung die Sterbehilfe überflüssig mache, trifft nicht zu, da nur 29 % der Befragten die Angst vor Schmerzen als Grund für Sterbehilfe angeben würden. Auch das behauptete „mercy killing" habe keinerlei Grundlage, da Sterbehilfe den ausdrücklichen eigenen Wunsch der betroffenen Person voraussetze.
Er betonte sehr ausdrücklich: „Sterbehilfe ist keine Beendigung des Lebens, sondern eine Beendigung des Leidens."
In der Debatte meinte er zu Bedenken von den Teilnehmern – ob es nicht einen familiären Druck auf die alten Kranken gäbe, ihr Leben zu beenden –, dass man ein solches Problem nicht ausschließen könne. Aber in den Niederlanden ist eher die Situation, dass die Hausärzte, die ihre Patienten und deren Familien kennen würden, für Sterbehilfe zuständig seien und dadurch zumindest weitestgehend solche Situationen nicht entstehen könnten.

Babro Westerholm - Parlamentsabgeordnete der Liberalen Partei - erläuterte die Situation in Schweden. Sterbehilfe sei verboten und die damit zusammenhängenden Fragen seien im schwedischen Parlament bisher nicht diskutiert worden.

Der Wissenschaftsautor und Philosoph George Klein betonte die Furcht in Schweden, überhaupt über den Tod zu sprechen. Auch wenn immer mehr Menschen in Krankenhäusern und nicht mehr zu Hause sterben würden, vermeide man, sich damit auseinanderzusetzen. Als Beispiel dieser Haltung nannte er die Verordnung, dass Altersheime nicht so gebaut werden dürfen, dass sie einen Ausblick auf einen Friedhof hätten. Auch sprachlich gäbe es Vermeidungsstrategien, indem man sage „Er ist von uns gegangen", „Sie ist dahingegangen", etc.

Nach dem Mittagessen teilte man sich in zwei Seminargruppen.

Im Seminar „How to be Visible? Humanism and the Media" stellte der Redakteur des polnischen Magazins „Fakty i Mity", Adam Cioch, die dortige Situation vor - mit Zeitungsauflagen von 70.000 bis 100.000 Exemplaren pro Woche und einem humanistischen Internetangebot der <Rationalisten>, das seit sechs Jahren besteht und täglich rund 15.000 Besucher zählt. Insgesamt sei jedoch die Situation in Polen so, dass jemand, der sich als Humanist öffentlich äußere, als „zu kontrovers" isoliert werde.

Für Norwegen berichtete Even Gran, Redakteur des Freidenker-Magazins „Fri Tanke", dass die Zahl der Print-Ausgaben von sechs auf vier jährlich reduziert wurde und es seitdem - mit den frei gewordenen Mitteln - seit August dieses Jahres - ein entsprechendes <Interangebot> gibt. Die norwegischen Freidenker sind – mit 4,5 % der Bevölkerung als organisierte Humanisten – der weltweit stärkste Verband und gesellschaftlich als den Kirchen ebenbürtig akzeptiert.

Christer Sturmark – Präsident des Humanistischen Verbandes Schwedens –, referierte über die verschiedenen Ansätze der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die eher auf eine indirekte Beeinflussung und Meinungsbildung abziele, als sich spezifisch politisch darzustellen.

Schließlich ergab sich auch für den Berichterstatter die Möglichkeit, den deutschen Humanistischen Pressedienst vorzustellen, da über eine Funkverbindung ein direkter Internetzugang vorhanden war.

An weiteren (parallelen) Seminaren (zu „State and religion in a Secular Society" sowie „Empowering women - Empowering humanism") konnte der Berichterstatter leider nicht teilnehmen.

Am Abend wurde zum offiziellen „Conference Dinner" geladen. Eine kulinarische Veranstaltung, die durch mehrere alt-schwedische Lieder zum Anstoßen begleitet wurde. Zur Überraschung aller Teilnehmer lagen neben den Gedecken jeweils zwei Blätter mit Kopien des deutschen <„Die Gedanken sind frei"> und des englischen <„Last Night I Had The Strangest Dream">. Nach dem gemeinsamen Singen von zwei Strophen der „freien Gedanken" auf deutsch, bildeten die rund zwanzig norwegischen Teilnehmer eine Gesangsgruppe und trugen das Lied auf norwegisch vor, so, wie es bei den humanistischen „Konfirmationen" in Norwegen jedes Jahr gesungen wird.
Ein heiterer und beschwingter Ausklang eines langen Tages mit vielen Worten, Gedanken, Eindrücken, Gesprächen und Begegnungen.

Carsten Frerk

(Ein zweiter Teil des Berichtes folgt.)