Positiv positionieren und gemeinsam kämpfen

STOCKHOLM. Zweiter und letzter Konferenztag in Stockholm betonte gemeinsame Ziele

und Vorhaben.

Ein Bericht von Marie Prott.

 

Theorie und Praxis eines gelebten Humanismus standen am dritten und letzten Tag der ersten Baltic Humanist Conference in Stockholm auf dem Programm.

Wie sich bereits am Sonnabend bei der Diskussion um Meinungs- und Religionsfreiheit und die damit verbundene freie Wahl von Werteunterricht im Schulsystem gezeigt hatte, füllte sich der Raum zum Seminar „Free of Confession: Humanist approaches towards the school system“ schnell mit vielen interessierten Zuhörern.

Volker Mueller, Präsident des Dachverbands Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW), legte in seinem Vortrag zunächst das grundsätzliche Problem einer zusammen wachsenden und mit wachsender kultureller Vielfalt konfrontierten Welt dar. „Die vielfältigen Lebensanschauungen in einer globalisierten Gesellschaft erfordern angemessenen und zeitgemäßen Unterricht zu ethischen, religions- und lebenskundlichen Fragen. Um gemeinsam eine tolerante Lebenshaltung zu entwickeln und sich demokratisch mit verschiedenen Weltanschauungen auseinander zu setzen, muss es ein neutrales Unterrichtsfach für alle Schüler geben“, betonte der DFW-Vorsitzende.

Im Anschluss zeigte Gregor Ziese-Henatsch vom Humanistischen Verband Berlin, wie ein derartiges Fach in die Realität umgesetzt werden kann: In Berlin gibt es bereits seit einigen Jahren ein freiwilliges Schulfach mit dem Namen „Humanistische Lebenskunde“. Derzeit nehmen daran 42.000 Schüler teil, die bekenntnisfrei und unabhängig ihrer Konfessionen über Werte, Weltanschauungen, Ethik und ein tolerantes Miteinander unterrichtet werden wollen. Ab 2007 haben humanistische Verbände im Land Brandenburg ebenfalls das Recht, humanistischen Lebenskunde-Unterricht als Alternative zum freiwilligen Religionsunterricht anzubieten. „Ethik“ in Berlin sowie „Lebenskunde/Ethik/Religion“ (LER) in Brandenburg werden als Pflichtfächer unabhängig davon weiterhin angeboten.

Ein weiteres, positives Beispiel für freiwilligen humanistischen Werteunterricht lieferte eine Zuhörerin aus Schottland. Seit einigen Jahren werde dort das Fach mit großer Begeisterung angenommen.

Norwegen ist davon noch weit entfernt: Obwohl in dem skandinavischen Land 4,5 Prozent der Bevölkerung im humanistischen Verband organisiert sind und somit die die weltweit stärkste Weltanschauungsgemeinschaft ohne religiöses Bekenntnis bilden, kommt die Organisation nicht ins Schulsystem hinein.

Am Ende der Diskussion beschlossen die Zuhörer und Referenten, künftig gemeinsam für das Recht auf einen Lebenskundeunterricht zu kämpfen, gegebenenfalls auch vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Zudem wolle man ein Netzwerk für alle europäischen Staaten, um sich generell über schulischpolitische Fragen und humanistischen Werteunterricht auszutauschen.

 

 

Parallel zum oben geschilderten Seminar traf man sich, um über den organisierten Humanismus in den verschiedenen Lebenssituationen der Länder zu sprechen. Vor allem die Suche nach gemeinsamen Strategien trotz lokaler Unterschiede stand dabei im Vordergrund.

Bjarni Jónsson von der humanistischen Organisation „Sidmennt“ aus Island leitete die Sitzung und stellte kurz die Referenten im Podium vor. Anschließend schilderte er die Situation seines Verbandes auf dem bevölkerungsarmen Inselstaat. „Wir haben eine Staatskirche mit evangelisch-lutherischer Ausrichtung – trotzdem sprechen sich seit Jahren bei Umfragen zwei Drittel der Bevölkerung für eine deutliche Trennung von Staat und Kirche aus“, berichtete Jónsson. Die Mitglieder von Sidmennt müssten trotz ihrer bekenntnisfreien Weltanschauung eine kirchensteuerähnliche Abgabe an den Staat leisten. Der Organisation selbst stehen kaum Mittel zur Verfügung; so gibt es weder ein Büro noch einen angestellten Mitarbeiter, der sich regelmäßig um die Belange des Verbandes kümmern kann. „Zwei Mal haben wir bereits staatliche Förderung beantragt, da wir als Weltanschauungsgemeinschaft dafür alle vorgeschriebenen Kriterien erfüllen – zwei Mal wurde unser Gesuch abgelehnt“, legte Bjarni Jónsson die derzeitige Situation von Sidmennt dar. Laut Verfassung würde keine andere als die dort festgeschriebene Weltanschauungsgemeinschaft geschützt. Mit gezielter Lobbyarbeit versuchen die Isländer nun, eine Verfassungsänderung herbeizuführen. „Das ist bisher noch eine sehr mühsame Arbeit, unsere Mitglieder treffen jeden einzelnen Parlamentarier zum Gespräch, geben Seminare für politische Parteien über unsere Anliegen und stellen Anträge. Bisher blieb leider noch alles ohne Erfolg.“ Nun will die Organisation einen Prozess gegen die Regierung anstreben, der vermutlich sehr lang dauern und teuer werden wird. Im schlimmsten Fall, so Jónsson, wolle Sidmennt auch zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen.

Weniger praktische, dafür aber gehaltvolle Theorieansätze zu einem organisierten Humanismus boten Levi Fragell aus Norwegen, ehemaliger Vorsitzender der International Humanist and Ethical Union, und Terje Emberland, promovierter Wissenschaftler am Holocaust Centre in Oslo, in ihren Vorträgen an. „Ich möchte, dass alle Verbände, die sich für die Säkularisierung der Gesellschaft und eine bekenntnisfreie Weltanschauung einsetzen, das Wort ‚Humanisten’ oder ‚humanistisch’ in ihrem Namen tragen. Unsere Bewegungen müssen auf dieser Welt als Einheit wahrgenommen werden, schließlich kämpfen wir für die gleichen Ziele“, forderte Levi Fragell ein. Zum Beweis der Aussagekraft des Wortes „Humanismus“ präsentierte der Norweger verschiedene Wörterbuch- und Lexika-Erklärungen, die den Terminus ausnahmslos mit einer „religionslosen Weltanschauung“ in Verbindung setzen. „Da ich mir sicher bin, dass in Zukunft die Religionsgemeinschaften früher oder später kollabieren werden, ist es um so wichtiger, eine einheitliche humanistische Bewegung zu formen“, schloss Fragell seine strategischen Gedanken ab.

Terje Emberland ermutigte mit seinen Gedanken die weltweiten Humanimusbemühungen zu positivem Denken. „Wir müssen etablieren uns nicht nur dadurch, dass wir ständig gegen etwas sind und zum Beispiel das Verhalten der Kirche in vielen Punkten kritisieren. Viel wichtiger wird es künftig sein, die Dinge zu betonen, für die wir stehen und uns einsetzen“, sagte der Norweger. Natürlich sei ihm klar, dass sich Medienaufmerksamkeit vor allem durch provokantes Auftreten als Kritiker erreichen lässt. Trotzdem sei es wichtig, mehr und mehr auch an der zweiten Front präsent zu sein. „In erster Linie sollten wir zunächst gegen eine Staatskirche und verordnete Religion sprechen. Danach aber müssen wir mit Aktionen und humanistischem Handeln beweisen, wo und wofür wir stehen.“ Ein positiver Weltblick sollte sich für die Humanismus-Bewegungen auf der Welt durchsetzen und für alle sichtbar werden.

Babu Gogineni, Repräsentant der IHEU, bekräftigte diese Zielsetzung in der Diskussion und nannte sie als die wichtigste Herausforderung für moderne, säkulare Verbände. „Zu bestimmten gesellschaftlichen und politischen Themen beziehen wir Humanisten immer wieder Stellung – im positiven Sinne und nicht als ständiger Kritiker. So positionieren wir unsere Meinungen, um dauerhaft Gehör zu finden.“

Zum Schluss der Vorträge aus dem Panel stellte die Autorin dieses Berichtes die Arbeit des Dachverbandes Freier Weltanschauungsgemeinschaften (DFW) aus Deutschland vor. Abgesehen von den theoretischen Zielvorgaben und gemeinsamen politischen Aktionen der DFW-Mitgliedervereine wurden vor allem die praktischen, sozialen Wirkungsansätze der humanistischen Verbände in Deutschland gezeigt. Neben einer säkularen Fest- und Feierkultur, die die deutschen Freidenker und Humanisten in Form von Jugend- und Namensfeiern, weltlichen Hochzeitszeremonien und nichtreligiöser Trauerarbeit anbieten, ist es vor allem die direkte Hilfe für sozial Benachteiligte. So unterhalten die verschiedenen Vereine je nach lokaler Möglichkeit Suppenküchen für Obdachlose, Kleiderkammern und Möbelbörsen mit Waren aus zweiter Hand zu günstigen Preisen und sind Träger von humanistischen Seniorenpflegeheimen oder Kindergärten.

Steinar Nilsen von der European Humanist Federation (EHF) würdigte in der Diskussion sowohl die gedanklichen als auch die zweckmäßigen humanistischen Strategien aus den Vorträgen. „Wir müssen viel mehr weltliche Alternativen zu religiösen Festen und feierlichen Anlässen bieten. Warum sollten wir uns da auch nicht einfach einmal etwas von der Kirche abschauen und in unserem Sinne umwandeln“, spielte der Norweger auf die „civil confirmations“ an, die in skandinavischen Ländern ähnlich der in Deutschland bekannten „Jugendweihen“ oder „Jugendfeiern“ durchgeführt werden. Dies sei etwas Praktisches, das die Leute nutzen und sich so mit humanistischen Zielen bekannt machen können. Auch Carl-Johan Kleberg, ehemaliger Vorsitzender der schwedischen Humanisten, sagte, dass sein Verband in Zukunft verstärkt die praktische Arbeit betonen und so eine Säkularisierung des Staates vorantreiben wolle. Trotz der starken humanistischen Bewegung in Norwegen stehe man dort erst am Anfang, weltliche Sozialarbeit neben den Einrichtungen der Kirche anzubieten. „Ich bewundere die Arbeit in Deutschland sehr, wo sich die freien Weltanschauungsverbände mit ihren Einrichtungen ganz selbstverständlich neben denen der Diakonie zum Beispiel etabliert haben. Das sollten wir uns auch für unser Schaffen abgucken“, sagte Inge Marie Hellen von den norwegischen Humanisten.

 

Die Kaffeepause im Anschluss an das Bildungs- und Strategieseminar wurde noch sehr rege zum Vertiefen der Vortragsthemen genutzt. Das zahlreiche Austauschen von Visitenkarten ist ein wirkungsvoller Beweis dafür, dass die Weichen für eine engere Zusammenarbeit und vor allem ein intensiverer Erfahrungs- und Ideenaustausch gestellt sind.

 

Mit zwei parallel laufenden Seminaren zu den Themen „Human rights in the Baltic states – Perspective religion and secularism in Estonia, Latvia and Lithuania“ und „Europe and Islam“ endeten die Vormittagssitzungen.

 

Nach einem Mittagssnacks und weiteren persönlichen Gesprächen fanden sich die Konferenzteilnehmer zu den letzten Vorträgen, Reporten und Zusammenfassungen wieder in der Aula des Bildungsinstitutes ein. Die Sitzungsvorsitzenden aus den einzelnen Workshops lieferten kurze Ergebnisberichte ihrer Diskussionen und boten so für alle Delegierten einen abschließenden Überblick.

Lars Gule, Osloer Universitätsdozent, umriss noch einmal kurz den Austausch in seinem Seminar zum Verhältnis von europäischen Staaten und dem Islam. „Gut organisierte, radikale Islambewegungen sind für säkulare Bewegungen eine Bedrohung“, so Gule. Besonders in dieser Auseinandersetzung sei der Konflikt zwischen der Meinungs- und Religionsfreiheit zu beachten. „Der Islam muss in seiner Geschichte, in seinen verschiedenen Ausprägungen zunächst verstanden werden.“ In einer modernen Gesellschaft, in der Menschen dieser Religionszugehörigkeit leben, darf ein fundamentalistischer und radikal organisierter Islam keinen Platz haben. „Gegen Islamisten müssen wir uns als humanistische Vereinigungen klar positionieren“, resümierte Lars Gule.

Zur Session über die Menschenrechtssituation in den baltischen Staaten nahm Matthew Kott von der Russian Humanist Society Stellung. Die Diskussion dort fokussierte sich vor allem auf die schwierige Lebenssituation homosexueller Menschen, die in der Gesellschaft quasi keinerlei Unterstützung finden. Gemeinsam mit einer noch kleinen und schwachen humanistischen Bewegung in den drei Ländern wolle man in Zukunft diese Vereinigungen unterstützen und sich für ihre Anerkennung und Rechte einsetzen.

 

Das Finden vieler gemeinsamer Ziele und der unbedingte Wunsch nach künftig engerer Zusammenarbeit lassen sich als die Hauptpunkte in der Auswertungsrunde der Konferenz zusammenfassen. Passend dazu präsentierte Roy Brown von der IHEU das frisch einberufene „Committee for a vision for Europe“ unter seiner Leitung. In dieser Kommission sollen von humanistischen und liberal-religiösen Wortführern gemeinsame Werte für ein säkulares Europa diskutiert und festgeschrieben werden. Brown nutzte für seinen pointierten Kurvortrag das vor kurzem verkündete Vorhaben von Kanzlerin Angela Merkel als Aufhänger, die gemeinsam mit dem Papst (höchstwahrscheinlich) ausschließlich christliche Wertvorstellungen für die europäische Union anordnen will. Die Aufgabe des Komitees ist es nun, alle religiösen und nichtreligiösen Wertvorstellungen zusammen zu führen, zu diskutieren und ohne dogmatisierenden Tenor festzuschreiben. Um dieses große und von zahlreichen Konferenzteilnehmern als weltbewegend und -verändernd eingestufte Vorhaben zu realisieren, warb Brown für weitere Unterstützer.

 

Auch Baard Thalberg von der EHF nutzte die Gelegenheit, Organisationen als neue Mitglieder im Dachverband zu gewinnen. „Noch sind wir zu klein und zu schwach, um viel zu erreichen. Aber wenigstens eine humanistische Organisation aus jedem Land sollte bei uns Mitglied werden“, forderte er auf. So sei es künftig leichter, Fördergelder von der EU zu beantragen und sie sinnvoll in die gemeinsamen Vorhaben zu investieren.

 

Abschließend waren sich die Delegierten einig, dass nur eine starke Zusammenarbeit der humanistischen Verbände für eine Säkularisierung und Demokratisierung in Europa sorgen kann. „Wir müssen uns positionieren, klare Aussagen treffen. Eine atheistische Verbindung in den USA zum Beispiel verwendet seit Jahren keinen dieser Ausdrücke wie ‚Atheist’, ‚freidenkerisch’ oder ‚humanistisch’. Sie ist die niedlichste und liebste Vereinigung dieser Art, die mir bekannt ist. Fazit: Seit vielen Jahren konnten die Initiatoren nicht ein neues Mitglied dazu gewinnen“, erzählte Babu Gogineni in unnachahmlich ironischem Ton. So also, stellte der IHEU-Repräsentant weiter fest, kann und darf die Zukunft humanistischer Verbände nicht aussehen. „Wir müssen Gesicht zeigen, positive Aspekte unserer Arbeit und Weltanschauung immer wieder betonen und an richtiger Stelle aber auch Kritik anbringen. Nur so kann Humanismus im Leben der Menschen ankommen.“

 

Wie nützlich also auch eine klug inszenierte und immer mal wieder passend eingenommene „Querulanten-Position" für europäische Humanisten ist, bewies der letzte Einwurf Christer Sturmarks. Der Vorsitzende der schwedischen Humanisten berichtete über einen kritischen Radiobeitrag, der am Konferenzsonntagmorgen gesendet wurde und seinen Verband als eher nörglerisch und ständig kritisierend darstellte: „Bis jetzt, kurz nach drei Uhr am Nachmittag, haben wir daraufhin 42 neue telefonische Mitgliedsanträge erhalten.“

 

Die nächste Konferenz baltischer bzw. nordeuropäischer Humanisten findet möglicherweise in Polen statt. Andrzej Dominiczak von den polnischen Humanisten lud dazu herzlich in sein Land ein, bevor sich alle Delegierten voller Ideen und mit den Adressen netter neuer Mitstreiter in der Tasche auf den Heimweg machten.