JD Vance, einst nüchterner Beobachter der amerikanischen Arbeiterschicht und überzeugter Atheist, hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen – er tritt nun als bekennender Katholik auf. Der Autor von "Hillbilly Elegy", einst als Stimme einer verlorenen ländlichen Seele gefeiert, präsentiert sich heute als jemand, der sich im Glanz alter Rituale und Traditionen wiederfindet. Doch was verbirgt sich wirklich hinter diesem Kurswechsel? Ist es eine authentische spirituelle Erweckung oder vielmehr ein taktischer Schachzug in einem politisch polarisierten Klima?
James Donald Vance wuchs in ärmlichen Verhältnissen im ländlichen Ohio auf – eine Erfahrung, die er in "Hillbilly Elegy" eindrucksvoll schilderte. Das Buch wurde zum Bestseller, indem es die klassische amerikanische Erfolgsgeschichte erzählte: Ein Junge, der der Armut entkommt, Yale-Absolvent wird und als Risikokapitalgeber Erfolg hat – der vollendete Traum des sozialen Aufstiegs. Doch als Student war Vance ein überzeugter Atheist, der Religion als überholt und irrelevant betrachtete. Seine spätere Konversion zum Katholizismus wirft daher nicht nur Fragen zu seinen persönlichen Überzeugungen, sondern auch zu den dahinterstehenden Motiven auf.
Opportunistischer Kurswechsel oder spirituelle Krise?
Vance berichtete mehrfach, dass er an der Universität eine "wütende atheistische Phase" durchgemacht habe, aber im Rückblick empfinde er es als "eine gewisse Arroganz", sich als Atheist zu bezeichnen. Die jahrelange Lektüre der "Bekenntnisse" des heiligen Augustinus – darunter macht es Vance nicht –, habe ihm die Augen geöffnet: Er sei jemand, "der einen Großteil seines Lebens damit verbracht hat, der Lüge Glauben zu schenken, man müsse dumm sein, um Christ zu sein. Augustinus hat mir auf bewegende Weise gezeigt, dass das nicht stimmt."
Doch stellt sich die Frage: War es wirklich Augustinus, der Vance erleuchtete, oder spielte nicht eher der milliardenschwere Risikokapitalgeber Peter Thiel, den er 2011 kennenlernte, eine entscheidende Rolle? Thiel ist davon überzeugt, dass es die theologischen Grundsätze der christlichen Zivilisation seien, die die großen wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte inspiriert haben. Die Ideale der liberalen Demokratie hingegen sind für ihn Ausdruck von Sinnlosigkeit und Trägheit, die die Gegenwart plagen.
Vance, den die taz als "opportunistischen Proletenjungen" bezeichnete, konvertierte im August 2019 zum Katholizismus und ließ sich in einem Dominikanerkloster in Cincinnati taufen und firmen. Seither geht er mit seinen Kindern nicht nur jeden Sonntag in die Kirche, sondern er vertritt auch ultrakonservative Ansichten, wobei er sich in Abtreibungsfragen widersprüchlich positioniert hat. Interessanterweise stammt seine Frau Usha aus einem hinduistischen Haushalt, was die Frage nach der Authentizität seines Glaubenswandels zusätzlich aufwirft. Kaum war Vance Christ, unterstützte Thiel mit 15 Millionen Dollar seine erfolgreiche Wahl zum Senator von Ohio. Vor diesem Hintergrund wirkt Vance' Wandel wie ein wohlüberlegter Schritt, um in einem politisch konservativen Milieu als glaubwürdiger Vertreter alter Werte aufzutreten.
Christliche Werte als modische Accessoires
Vance' Konversion ist ein Symbol für die komplexe Beziehung zwischen Politik und Religion in den USA. Vance ist mit einer Ideologie verbunden, die als katholischer Neo-Integralismus bezeichnet wird; eine geistige Strömung, die den christlichen Einfluss auf Politik und Gesellschaft stärken und den Liberalismus als großen Feind bekämpfen will. Vance fügt sich perfekt in das Spiel von Hass, Widersprüchen und Agitation ein, das Donald Trump als Präsident pflegt. Trump, der sich als "nichtkonfessioneller Christ" versteht, hat bereits eine Neuinterpretation der Religionsfreiheit verkündet, die in dem Vorhaben der "Ausmerzung antichristlicher Vorurteile" gipfelte. Christliche Werte werden nicht gelebt, sondern wie modische Accessoires präsentiert. Während Trumps Regierung christliche Rhetorik propagiert, sollen in der Praxis soziale Unterstützungsprogramme für die Armen abgeschafft werden.
Vance' Transformation ist mehr als eine rein persönliche Bekehrung – sie spiegelt eine Gesellschaft wider, in der christliche Identität flexibel gehandhabt wird, um politischen Rückhalt zu gewinnen. Kann ein Wandel vom Atheismus zum gläubigen Katholizismus jemals authentisch sein, wenn er gleichzeitig bewusst als politisches Instrument eingesetzt wird? In einer Regierung, in der eine christliche Ethik vor allem der Inszenierung dient, bleibt der Eindruck bestehen, dass die Konversion von Vance mehr Schein als Sein ist. Letztlich ist dieser Wandel nur der kalkulierte Versuch, in einem Zeitalter der Opportunität alte Werte als politisches Kapital zu nutzen.
7 Kommentare
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Kommentare
Bernie am Permanenter Link
Danke für diesen hilfreichen, und interessanten, Kommentar über J.D. Vance.
Roland Fakler am Permanenter Link
Ein Politiker in den USA ist praktisch gezwungen, Glauben zu heucheln, weil er sonst keine Mehrheiten bekommt. Das Wahlvolk prägt in einer Demokratie die Politiker.
Joachim kilgus am Permanenter Link
Vielleicht hilft es, mal wieder von sinclair lewis "elmer gantry" zu lesen. Das ist ein 1928 in berlin erschienener roman über mehrfachen religionswechsel, jeweils an die spitze strebend .
Helene am Permanenter Link
Ähnlich in Deutschland bei Philip Amthor- er hat sich ebenfalls katholisch taufen lassen, dann der Bildzeitung ein Interview gegeben, dass es ihm gut tut Sonntags demütig zu knien- anschließend hat er die Netzwerke de
Assia Harwazinski am Permanenter Link
!!! Survival of the fittest..., also der Anpassungsfähigsten. Viele, zumindest einige, der Trump-Anhänger bzw. Unterstützer, gerade unter den erfolgreichen IT-Spezialisten, sind eigentlich Liberale (z. B.
Unechter Pole am Permanenter Link
Ein Mesch, der davon besessen ist, die Privatsphäre der Weltbevölkerung komplett auszuschalten, kann weder eigentlich noch uneigentlich liberal sein.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Wenn ein Politiker keine Macht mit Vernunft und Überzeugungskraft erlangt, muss er sich einen starken Partner suchen der ihm hilft, dies ist dann meist die Religion, welche per se
Wie erbärmlich ist dieses verhalten!